Wehrtgeschäzter Herr und Freund.
Ich hoffe daß die bekanntschaft, die sie in Leipzig mit den Hhn Ebert, Rabener und Giseke gemacht haben, viel gutes mit sich führen werde. Es ist schade, daß sie den Hn Gärtner nicht mehr angetroffen haben; ich befinde, daß er jene an Naturell, und delicatem Urtheile weit übertrifft. Sie sollten aber in Leipzig auch den poeten des Messias gesehen haben. Von disem hat mir Hr. Gärtner das II. Buch eines langen Gedichtes auf den Messias gesandt, von welchem ich behaupten darf, daß es Miltonisch sey. Miltons Geist ruhet auf dem Verfasser. Es ist ein Charakter darinnen, der Satans übersteigt, und ein andrer, der uns mitten in der hölle mitleiden verursacht. Haben Sie nicht auch den profess. Kästner gesehen? Man schreibt mir daß der Autorneid das vornehmste Ingrediens in seinem Charakter sey. Man vergleicht ihn hierüber mit Mylius, der ein satyricus ist, wie Uhlich ein schäferdichter, ein Criticus und ein Poet wie Gottsched. Doch ist Mylius izt Gottscheds Todfeind, und noch dazu ein Freygeist.
Ist es möglich, daß Sie den Theocritus durch einen Schweizer übersezt haben wollten? Warum muntern sie zu diser Arbeit nicht einen von denen an, welche so geschikt an den Brämischen Beyträgen arbeiten? Kein Schweizer ist dazu geschikt, weil es uns an Wörtern fehlt, die in der Schäfersprache, und von den schäfergeschäften ohne Niedrigkeit können gebraucht werden.
Ich soll Ihnen mein urtheil von ihren platonischen und Shaftsbürischen Unterredungen sagen. Mit den Sachen bin ich vollkommen zufrieden; auch überhaupt mit der ausführung, doch weil die ausführung nach ihrem vornehmen eben den Sachen einen Relief geben soll, so will ich Ihnen zur Überlegung frei geben, I. Ob es nicht natürlicher wäre, daß die gespräche einer andern person erzählt würden, als eben derjenigen, welche sie mit dem Erzählenden zuerst geführt hatte. In einem Theatralischen stüke wird nicht gelitten daß dem Cäsar Antonius zu erzählen komme, was der Cäsar ihm tages zuvor gesagt hat. Sie thun dises in dem Täglichen Umgange nicht.
II. Ob sie nicht einen Sprung zu ihrer Bekehrung thun; entweder sollten sie sich nach einem längern Widerstand erst ergeben, oder sie sollten deutlicher zu erkennen geben, daß es Ihnen zur Bekehrung nur an sehr wenigem fehlte.
III. Ob nicht in ihren Beschreibungen hier und dar eine delicatere wahl der umständgen getroffen werden könnte; ob sie in den kleinen gemähldgen nicht mehr Neuigkeit beobachten könnten. Irre ich nicht so habe ich in Englischen und Italienischen poeten dinge beschrieben gelesen, welche sie beschreiben, die aber daselbst mit feinern Zügen, und lebhafter beschrieben waren. Ein Engelländer, Nahmens Akinside hat ein Gedicht of the pleasurs of imagination geschrieben, welches nach Shaftburys Ideen verfertigt ist, und Ihnen mit schildernden Beschreibungen gute dienste thun könnte. Es schadet nichts wenn ihr stilus wie Platons, wie Shaftsburys, noch poetischer ist.
Ich will nicht anmerken, daß Ihr deutsch noch einige kleine verbesserungen nöthig hat, das sagen uns unsre sächsische freunde und feinde gern genug. Ich rede aber nur von der grammatischen Reinigkeit. Ich habe sonst oft bemerket, daß die Klagen, welche die Sachsen über die dunkle und ungeschikte sprache der Schweizer führen, manchmal die Ideen und deren stellung oder Verbindung treffen; welche nicht von dem Ressort der Grammatik sind.
Von dem französischen langen briefe muß ich Ihnen sagen, daß er nicht französisch sey. Ich verwundere mich zwar, daß sie es in diser sprache so weit gebracht haben; aber sie ist so voller consacrirten wörter und Redensarten, welche keine analogischen Grund haben, und sich bloß auf das on le dit, on ne le dit pas gründen, daß man etliche Jahre in Frankreich gewesen seyn muß, wenn man alle dise delicatesses bemerken will. Gesezt sie wollten Ihre arbeit einem Franzosen zur Übersehung zeigen, so zweifle ich sehr, daß sie einen finden können, welcher in ihre Ideen und den Tour, den sie selbigen geben wollen, eintreten würde. Es gäbe gewiß eine bigarrure. Schreiben sie lieber deutsch; die sachen, von welchen sie reden, sind doch im deutschen noch immer unbekannter als im französischen. Wir haben noch weder Reaumures, noch La Pluches. Alles wird auf deutsch neuer scheinen.
Ich bitte auch nachzusinnen, ob es natürlich herauskomme, daß der brief so lange gemacht wird; an ein Frauenzimmer einen so langen brief schreiben, der ein kleiner tractat ist! Entweder geben sie dem ding die form eines Tractates, oder wenn es ein brief seyn soll, so theilen sie disen langen in 4 od. 5 kleine.
Es ist mir sonst an einem oder zwey orten vorgekommen, die Douceurs so sie dem Frauenzimmer sagen, seyn ein wenig zu gezwungen. Sie sagen pag. 16. [→]Je suis presque tenté de laisser mon sujet – Steht dises an einem orte bequem, wo sie allererst wider die Häftigkeit der Affekte geredet hatten?
Meine Anmerkungen sind keine grausamen dinge, daß ich stark besorgt seyn sollte, Sie damit zu erzörnen. Und Sie gehören nicht zu dem generi irratabili vatum; wenn sie keinen Grund haben, so werden sie lieber darüber lachen.
Ich bin mit Hn Gleim in allen Stüken zufrieden, und werde ungeduldig daß er so lange nicht befödert wird.
Wir sind gesonnen das parisische Volumen Minnesinger zu publiciren. Es wird ein ziemlicher in folio werden. Es soll uns nicht grauen, wenn Breitkopf es verlegen will; doch muß es zu Zürich gedrukt werden.
Sie werden auf dise Messe den [→]Mißhandelten Opiz in der Trillerschen Außfertigung bekommen. Ich habe keinen theil daran, ausgenommen in dem neunten Abschnitt. Ich bitte dieses unsren Freunden zu sagen. Ich mögte nicht gern den Nahmen haben, daß ich mir mit dem ehrlichen Stümper so viel Arbeit gemacht hätte.
Ich habe die Ehre beständig zu verbleiben
Meines werthgeschäzten Hn und Fr.
Ergebenster
Johann Jacob Bodmer
Zürch den 12 Augstm. 1747
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13a.
Der Brief war ursprünglich auf den 22. September datiert und wurde von Bodmer in »12 Augstm.« (12. August) korrigiert.