Mein Herr und werthester Freund.
Ich habe Ihnen zum wenigsten auf drey angenehme Schreiben zu antworten. Wiewol ich die antwort auf unbeschnittenes papier werffe, so haben sie die gütigkeit zu glauben, daß sie von keinem unbeschnittenen herzen dictirt worden. Ich bin ihnen sehr verbunden für die mühe, welche sie mit bestellung des päckgens von Hr. Hagedorn gehabt haben; es ist mir sehr wol zugekommen. Indessen habe ich Ihm einen Freund in Leipzig angewiesen, durch dessen Canal er mir künftig briefe und bücher zufertigen wird. Es war eine glükliche Stunde für die schönen Wissenschaften als sie auf den Entschluß gefallen, nach Magdeburg zu gehen, wo sie à portée sind das Commercium zwischen den deutschen und den schweizerischen Musen zu befödern, und wo sie dises mit solcher Activitet thun. Was würden sie nicht auf einem vortheilhaften Posten zu Berlin oder Leipzig thun! Doch mit der Austheilung des Ansehens und des Ruhmes gehet es wie mit der Austheilung andrer Glükesgüter. Sollte Sulzer Pädagogus bey Hn Bachmann, Lange Pastor in Laublingen, Fuchs der Sohn eines Akermannes seyn! Der letzte brief, den ich von Hn Langen habe, war den 4ten Januar geschrieben. Damals hatte er meinen brief mit der Critik seiner Oden noch nicht empfangen. Ich werde innen werden, ob er das genus irritabile vatum vermehren wolle. Ich habe kein großes Verlangen nach der Auslegung der 7 lezten Worte; doch von disem Werke hat er mir nichts gemeldet. Ich gebe ihm alle Freiheit (denn man muß gewissen leuten freiheiten geben, auf die sie von Natur ein Recht haben) en revange meine Gedichtgen zu beurtheilen.
Ich darf bald meine freunde nicht mehr bitten, daß sie meine Gedichtgen, den Sittenmahler, die Critischen Briefe, beurtheilen sollen, denn dise bitte scheint bey unsern verderbten Zeiten keinen anderen Verstand zu haben, als daß wir ein lob von ihnen erbeteln wollen. Sie selbst haben von dem Sittenmahler mit solchen Ausdrüken geurtheilt, daß ich fürchte, sie haben mich in Verdacht gefaßet, ich hätte eine Lobrede verlanget, da ich eine Censur begehret hatte. Ich sehe, wie viel ein Verfaßer einem geschikten Criticus zu danken hat, bey ihrem Exempel, da sie die Stelle wo Mann und Frau wie Lind und Mag zusammenfließen, durch eine so geschikte anmerkung erhöhet haben, daß ich die Schönheit darinnen erkennen muß, wiewol ich gestehen muß, daß ich die Ähnlichkeit nicht biß auf die Vermischung der beyden Nahmen erstreket hatte. Ich habe in einem von unsern alten allemannischen Poeten ein Gleichniß über dise Vereinigung bemerket, welches noch weit kräftiger ist, als dises, wenn es mir vor dem Schluße dises Briefes wider zu Gesichte kommt, will ich es Ihnen zu lesen geben. Ich bin eine Zeit her mit Abschreiben der Handschrift von disen alten Minnesingern, welche wir von Paris erhalten haben, stark beschäftigt gewesen. Hr. Breitinger hat doch weit mehr damit zu schaffen. Zumal da er leserlicher schreibt. Der Codex ist in folio, auf Pergament, mit mehr als hundert Figuren von Zinober, purpur, Gold, silber p.
Der Cimon ist ein exponiertes Kind, welches jemand großmüthigen erwartet, der es pflege. Der geringste fehler wird vielleicht seyn, daß man nicht sieht, was aus Ismenen wird. Ich habe dises doch einigermaßen voraussehen lassen. Man könnte ihr zu guter letzt noch irgend einen Trostreichen Einfall von Cefisen sagen lassen. Also habe ich auch daran genug gehabt, daß ich Cimons Veränderung, da er aus einem Kloz ein artiger Mensch geworden, in ihrem schwersten Stüke vorgestellt habe. Ich wollte ihn nur in einen höflichen Menschen verwandeln, eben nicht in einen Ehmann. Man könnte so lange fragen, was ist aus dem Cimon geworden, bis daß ich ihn verheurathet hätte, und wer weiß, ob man nicht weiter fragete, ob er auch Kinder gezeuget, ob er eine vergnügte Ehe gehabt hätte. Ich überlaße dises aus den Zügen, die ich von seinem und der Iphigenia Charakter gebe, zu schließen. Meine vornehmste sorge war, die verwandlung dises bäurischen Menschen wahrscheinlich zu machen; ohne daß ich Sprünge machete; ihm nach seiner Verliebung Empfindungen zuzuschreiben, welche die Stelle von Wiz vertreten könnten; vor seiner Verliebung ihn nicht als ein Thier, sondern nur ungesittet vorzustellen. In disem stüke fürchte ich sehr, daß ich zu starke Schritte gemachet habe. Und das ist Arbeit für den gutherzigen Freund, der sich mit Auspuzung und Versification dises dinges abgeben will. Ich weis wol, daß es niemand beßer, ich habe schier geschrieben, daß es niemand kan, als Hr. Gleim, aber ich weiß auch, daß er ein solches und noch ein beßeres stük aus seinem kopfe machen kan. Nach den Mustern zu urtheilen, so sie mir von Hn Kleistens Muse gesandt haben, hat diser alle Tüchtigkeit zu einer solchen Arbeit. Mars ligt im brandenburgischen dem Apollo allzu stark im Widerspiel. Warum hat das Schiksal, welches mit Gleim so schön angefangen hatte, so häßlich stille gestanden! und wie lange soll er warten, bis daß es ihn wider auf die schultern nimmt? Und warum hat es aus Kleist einen Soldat gemacht? Wie schlimm, wenn es ihn auch zu einem Generalen machete!
Pigmalion ist unter der Presse, für die Vorrede steht ein Schreiben an den Mägdefreund. Vielleicht kan ich ihn mit disem briefe übersenden. Hr. Orell hat ihn gesehen und haben wollen. Der Mägdefreund wird ihm nichtsdestoweniger nutzen können, wenn er ihm anständig seyn wird.
Sagen sie dem Hn Gleim, daß ich sein herz, wie seinen kopf kenne, daß ich in seinem herzen lesen kan, und daß ich darinnen eine Freundschaft für mich lese, welche unveränderlich ist, wenn sie gleich durch schriftliche Urkunden nicht verinstrumentirt ist. Was seinen Geist anlangt, so sage ich euch ins Ohr: Gleim hat nicht seines Gleichen, es wäre denn Gärtner; Gärtner hat nicht seines Gleichen, es wäre denn Gleim. Fragen sie, wo Hagedorn bleibe, so fange ich meinen Machtspruch wider an: Gleim hat nicht – – – –
Der Hr. von Hagedorn schiket mir statt seiner eigenen Geburten die besten Englischen, er empfängt und gebiehrt sehr langsam, wie die Elephanten, aber was er gebiehrt hat denn auch die Stärke der Elefanten. Er fraget mich, woher es komme, daß die freundschaftlichen Briefe in Gottscheds Büchersaal ein so günstiges Urtheil erhalten. Ohne Zweifel daher, weil Gottsched à l’avanture urtheilet, und dießmal recht geworfen oder recht getroffen hat. Ich bin ihnen für das Exemplar der Fr. Briefe verbunden, ich hatte sie aus dem buchladen auf braunes Papier; nun soll Philokles eines von beyden Exemplaren bekommen, dann soll ers an den Wurzeln der Alpen zu einer Zeit lesen, wenn Höhen und Klüfte derselben von Kuhreigen widerklingen. Ich besize den Weltbürger schon, nur mit einem defecte von ein paar Stüken; Wer mag der Übersetzer der Siege Friderichs seyn? Die Übersetzung hat einem jungen Menschen von hier so abscheulich geschienen, daß er sie scharf angegriffen und zur Befestigung seines Urtheils eine bessere verfertiget hat.
Was soll ich denen antworten, welche sagen, in meiner Elegie, die gerechtfertigte Trauer, sey sich der Leibnitianer in denen Zeilen entronnen:
2. Das Übel, das ich litt konnt’ über ihn ergehn,
1. Ein andrer konnte wol an meinem plaze stehn,
Wobey die Welt so gut, so schön geblieben wäre,
Als wie sie iezund ist, da ich mich so beschwere.
Ich gestehe, er ist sich entronnen. Die traurigkeit ist keine stärkere philosophie, als irgend eine andre leidenschaft. Der Inhalt obiger Zeilen ist nicht vil besser, als die Klage eines von euren Mitbürgern, von dem man sagt, als ihm seine Frau gestorben, habe er geschrien: Ich hätte nicht gemeint, daß unser Herr Gott mir dieses thäte. Die ewige Allmacht, und ewige Weisheit konnte es der Eigenliebe nicht recht machen. Denn wären diser ehrliche Bürger und ich mit diesem Unglüke wie wirs nennen verschonet geblieben, und zwey andere wären davon getroffen worden, (denn etwas so determiniertes nach allen umständen, wie er und ich, kamen in den Inbegriff des Ganzen,) so hätten denn diese zwey andre solche klagen mit der Ungeschiklichkeit geführt, mit welcher wir sie izo führen. Ich verlange nichts weiters, als daß man mir dise Stellen wegen der natürlichen vorstellung verzeihe.
Sie sind auf dem rechten Wege, da sie in den Alten die herrlichen stellen sammeln, die wegen ihrer Einfalt vortrefflich sind. Sie werden in den Griechen ungleich mehrere und schönere von diser Art antreffen, als bey den Römern. Was Terenz und andre Lateiner haben, das haben sie aus den Griechen. Man muß gestehen daß Rom wenige originale hat. Seine Regierung war militarisch, der soldate hatte den grösten Ruhm; der Gelahrte muste mit dem Zweyten Range vorlieb nehmen. Und eben zu der zeit, da Virgil und Horaz in Credit kamen, entstuhnd ein junger Tyrann, und warff den Römern eine last von fesseln an, welche sie bis auf den heutigen Tag nicht haben von sich werffen können. Wenn ich mich jemals stark genug spürte ein Trauerspiel zu schreiben, so wollte ichs von Augustus schreiben, den ich aber in einem ganz andern lichte zeigen wollte, als er von Virgil, Horaz, und tausend andern vorgestellt worden. Wer kan ohne Ereiferung die lästerliche Schmeicheley lesen:
[→]O Melibœe Deus nobis hæc otia fecit
Namque erit ille mihi semper Deus.
Oder was sollen wir von folgender denken:
[→]Sive mutata juvenem figura
Ales in terris imitaris, almæ
Filius Maiæ, patiens vocari
Cæsaris ultor.
Horatz hatte damals seinen ersten Patron, den Brutus, und alles was er zu Athen gelernt hatte vergessen; als er disen blutigen jungen Römer gelobt, und darum gelobt, weil er die Verfechter der alten Freiheiten auf den Tod verfolget. So hat mich einer von meinen neuen Englischen Bekannten, mit welchen Hr. Hagedorn mich bekannt gemacht, zu denken gelehrt.
Der Hr. Professor Meyer hat in dem schreiben vor seiner Beurtheilung der Gottsch. Dichtk. so prächtig von den Zürchischen kunstrichtern gesprochen, daß er mir damit den Mund beschlossen hat. Ich sage nur, [→]quel fleau pour le pauvre Gotsched qu’un géomètre! Mad. Dacier hat dises von dem Abbé Terrason gesagt, und dazu gelacht; aber wenn ein deutscher Mathematicus und was schlimmer ist, ein Metaphysikus sich ins Critisieren legt so ist es keine Zeit zum lachen. Ich gratuliere Ihnen zu der freundschaft mit Hn Spalding. Wiewol ich ihn nur aus der Übersezung des Moralists kenne, so ist das doch schon genug, daß ich ihn vor hunderten hochschäze. Er kan übersezen, doch hätte seine Übersezung noch mehr licht und leben gehabt, wenn er die Verse in Versen übersezt hätte.
Ich gebe mich zufrieden, daß sie nicht schon disen Frühling in die Schweiz kommen, weil ich die zuversichtliche hoffnung habe, daß sie zu ihrem bessern Vortheil ihren ersten Entschluß geändert haben. Daneben ist die dankbarkeit eine so schöne Tugend, daß man um ihretwillen sich an seinen lustbarkeiten billig abbruch thun soll; und dankbarkeit sind sie dem Hn Bachmann schuldig.
Die Nachricht daß Sie philosophische Gespräche schreiben, daß sie neue Memoires zu moralischen betrachtungen über die Werke der Natur sammeln, daß sie doch den Mädgenfreund dabey nicht vergessen haben, ist eine von den besten in ihren drey briefen. Ich wünsche Ihnen Kraft und Geist von oben, alle dise Sachen so auszuführen, wie sie thun müssen, wenn die Arbeit den Beifall ihres eigenen Verfassers bekommen soll.
Ich habe dem Hn von Hagedorn mit Swifts Worten geschrieben: I have a little repined at my being hitherto slippd by you in your poems, not from any other ambition that the Title of a friend. Ich suche damit nichts weniger, als eine dedication von ihm zu erjagen, dedicationen sind unterthänigkeiten der kleinern gegen größere, und schiken sich nicht zu der Gleichheit, die zwischen freunden herrschen soll; [→] Ich suche nur ein paar zeilen die in einem Gedichtgen, wo sie niemand erwartete, unserer freundschaft gedächten. Also bin ich beflissen, ihn bald bey disem bald bey einem andern Affekt anzugreifen, damit ich ihn aufmuntere die feder zu ergreifen.
Wenn Hr. Pastor Lange sich über eine naife Erzehlung in meiner Beschreibung der Tagreise von Trogen nach Gaß ärgern wollte, so reden sie ihm das Ärgerniß aus dem Kopfe. Die Weidsprüche arcus nimium tensus – und pagina lasciva vita – werden ihnen zu dem Ende nicht fehlen.
Zu Azmoos im Sarganserland ist ein junger pfarrer, Nahmens Joachim Heer, ein Glarner von Extraction, der ehmals hier studirt hat, er ist der erste Glarner, der einen Geschmak an der schönen Literatur, der philosophie und den Sprachen gehabt, er ist ziemlich stark in allen disen Stüken, von einem trefflichen Ingenio, und sonst von Umgang ganz artig und natürlich. Diser wakere mann schreibt mir in einem geschikten lateinischen Briefe, daß er gerne an einem Ort leben möchte, wo er Bekanntschaft und Umgang mit gelehrten und hurtigen Köpfen haben könnte. Ein predigerdienst in irgend einer deutschen Stadt, oder nur eine InformatorStelle wäre ihm schon anständig; er ist unverheurathet, und gar nicht geldbegierig, wie seine landesleute, von denen er gänzlich degenerirt und eben darum nicht anders als mit Verdruß unter ihnen wohnet. Nun ist es mir eingefallen, daß er künftig sehr geschikt seyn würde, Ihre Stelle bey Hn. Bachmann wieder zu bekleiden, wofern indessen die Söhne des Hn Bachmanns nicht hors de paye gesezet werden. Ich bitte der Sache nachzusinnen oder wenn sonst anderswo ein Rectorat, eine kleine predigerstelle oder etwas dergleichen sich hervorthäte, wo man einen geschikten mann suchete. Er ist unverheurathet, ungefehr von 25. 26. Jahren, im Lateinischen, Französischen, Italienischen, sehr geübt p.
Itzt ist es einmal Zeit zu enden; ich sende dises mit dem ersten Kaufmann der auf die Messe reiset. Also werden die neuen Erzählungen erst nachkommen. Ich habe die Ehre und Freude zu verbleiben
Ihr ergebenster freund und diener
Joh. Jac. Bodmer.
Zürich den 15 Merz 1747
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13a. – E: Zehnder-Stadlin 1875, 388–392.