Brief vom 29. Januar 1747, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Datum: 29. Januar 1747

Mein Herr und werthester Freünd.

Endlich ist mein Verlangen die Sammlung ihrer Gedichte zu sehen zu meinem größten Vergnügen erfüllt worden. Ich bin ihnen mehr für dies angenehme Geschenk verbunden, als ich es sagen kann. Ich hoffe, daß es diesen Gedichten gehen wird wie den Hallerischen, daß allemal bey einer jeden neüen Auflage neüe Stüke dazu kommen werden. Der Herausgeber hat eine schöne Probe seiner Geschiklichkeit so wol durch die Vorrede, als durch die Anmerkungen abgeleget. Die Schweiz wird einen Kunstrichter an ihm haben, der seinen fürtrefflichen Meistern Ehre bringen wird. Ich habe indeßen in dem Stük der eheliche Dank eine Paßage angetroffen die mich über allemaßen charmirt hat und die meines Erachtens eine Anmerkung verdienet hätte um den Ausländern ihre Schönheit so fühlbar zu machen. Diese Stelle ist diejenige, da sie sagen daß die beyden Herzen sich so in einander gegoßen, wie Lind und Mag. Das Gleichniß wäre von allen andern Flüßen, die sich in einen Strohm vereinigen nicht so lebhafft als da, wo aus beyden Namen auch einer wird. Denn dieses dünkt mich der Sache einen sehr großen Nachdruk zu geben. Wie fürtreffllich ist doch die Ode an Hrn. Dr. Zellweger? Denn diesen verstehe ich unter dem Namen Philocles. Sie hat eine ungemeine Begierde bey mir erwekt mehr Oden von Ihnen zu sehen. Mich dünkt die Schweiz sollte vor andern Ländern geschikt seyn Oden Dichter hervorzubringen.

Die Exemplare habe ich mit den freym. Nachrichten gleich an gehörige Örter bestellt. Das Schäffer Spiel Cimon habe an Hr. Gleim geschikt, wenn er die Ausarbeitung nicht will über sich nehmen, so soll es der Hr. v. Kleist thun, den ich für sehr geschikt dazu halte. Dieses Stük hat mir ungemein wol gefallen und dünket mich, einige Stellen ausgenommen vollkommen in dem Geschmak der Alten geschrieben zu seyn. Doch muß ich ihnen sagen, daß mir ein kleiner Zweifel wieder den Beschluß der Handlung eingefallen ist. Was wird endlich aus der Armen Ißmene? Hat nicht die Handlung so lange sollen fortgesezt werden bis man gesehen daß sie ihren Endzwek erhalten oder verfehlt hat? Und was ist endlich aus dem Cimon geworden? Mich dünkt es ist nur der Anfang des denouement dem das Ende fehlt? Doch Sie verstehen diese Sachen beßer als ich. Deßwegen unterstehe ich mich nicht das Stük eines Fehlers zu beschuldigen. Indeßen wäre dieses freylich ein sehr schönes Stük in den Mädchenfr. wie der Pygmalion. Ich empfehle Ihnen diese Wochenschrifft auf das beste. Ich arbeite nun daran und die Fr. P. Langin hilfft mir.

Zu Verfertigung eines Trauerspiels von dem Fall Adams halte ich den Hr. v. Kleist weit tüchtiger als Hr. Langen, der seine Einbildungs Krafft sehr schweer von der Außschweiffung zurükhalten kann. Ich habe ihm aber ehe Sie was schrieben auch schon davon gesagt. Er würde fürtreffliche Stellen machen die der andre würde brauchen können. Ich werde also diese arbeit beyden recommendiren. Hr. Lange hat mir die Critic seiner Oden noch nicht geschikt. Ich glaube nicht, daß er die Miene darüber macht. Denn ich bin ihnen mit meiner Critic, darin ich ihm nicht geschonet habe zu vorgekommen. Der Hr. P. Meyer hat das Unglük gehabt den Arm zu brechen.

Wie ich höre, so ist Hr. Gottsched mit Schwaben zerfallen. Die Leipziger können nicht genug sagen, wie sehr sein Ansehen gefallen ist, sodaß man es schon für eine Schande hält bey ihm Collegia zu hören. Er hat bey dem Durchgang der Dauphine eine sehr wäßrige und zum Theil lächerliche Cantate gemacht, darin er den Hymen mit einem PostHorn an einem gestikten Band hängend einführet.

Hr. Lange ist in einem Theolog. Journal seiner Psalmen wegen hart angegriffen worden. Hr. Meyer hat ihm gerathen eine Gegen Critic zu machen, welches ich ihm aber abgerathen habe.

Was werden Sie sagen mein werthester Herr und Freünd, daß ich mich habe bereden laßen meine Abreise nach der Schweiz noch um ein Jahr aufzuschieben? Ich habe Hrn. Bachman so viel Obligation, daß ich es ihm nicht habe abschlagen dürffen. Hr. Waser schreibt mir, daß es noch ungewiß, ob die jungen Hrn. Landolt werden künfftiges Frühejahr nach Berlin gehen. Also finde nicht nöthig deßwegen an Hrn. Eüler etwas zu schreiben, bis ich eine Gewißheit habe.

Ich habe weiter keine Neüheiten zu berichten. Ich empfehle mich dero fortdaurenden Gewogenheit und verharre

Mein Herr und werthester Freünd.
Ihr ergebenster Diener
JGSulzer.

Magdeb. den 29 Jan. 47.

P. S. Därff ich Sie ersuchen den Hr. Orell in meinem Namen zu bitten, daß er mir auf die Ostermeße 1 Exemplar von Lauffers Historie mit den Beyträgen überschikt?

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.

Anschrift

à Monsieur Le Professeur Bodmer p. à Zurich

Vermerke und Zusätze

Siegelausriss. – Siegelreste.

Lesarten

zu schreiben
Textverlust. Ergänzung durch Herausgeber.

Eigenhändige Korrekturen

mit den freym. Nachrichten
mit den freym. Nachrichten

Stellenkommentar

Herausgeber
Johann Georg Schulthess (1724–1804) hatte die Ausgabe von Bodmers Gedichten besorgt und die Vorrede dazu verfasst. Schulthess, der bei Breitinger Theologie studierte, hielt sich anschließend einige Zeit in Berlin auf, wo er mit Sulzer und anderen Vertretern der Berliner Aufklärung wie etwa August Friedrich Wilhelm Sack in Kontakt stand. In Berlin gründete er gemeinsam mit Sulzer den Montagsklub. 1750 kehrte er in die Schweiz zurück und wurde bald darauf Pfarrer in Stettfurt. Schulthess machte sich als Übersetzer englischer und antiker Autoren einen Namen.
eine Paßage
Bodmer Critische Lobgedichte und Elegien 1747, S. 118.
wie Lind und Mag
Lind und Mag sind zwei Bestandteile der etymologischen Vorform der Limmat (lat. Lindimacus). Eventuell wurde das im 18. Jahrhundert mit zwei Tälern im Kanton Glarus in Verbindung gebracht, in denen noch heute die Dörfer Linthal und Matt liegen. Aus der Mündung beider Flüsschen entsteht die Linth, die den Zürchersee bildet und zur Limmat wird.
Ode an Hrn. Dr. Zellweger
J. J. Bodmer, An Philocles. In: ebd. S. 133–136.
denouement
Übers.: »Auflösung«.
Fr. P. Langin hilfft mir
Vgl. dazu auch Langes Brief an Bodmer vom 4. Januar 1747: »Jetzo bin ich im begriff auf eine neue Art was gutes zu stifften. H. Sultzer hat vor den Mädgenfreund zu schreiben, und ich werde nicht nur ihm treulich helffen, sondern auch einige frauens Personen werben bey zu treten, ich habe einige Personen dieses geschlechts, die mir folgen, und hoffe noch mehrere anzureitzen.« Und am 22. April 1747 schreibt Lange: »Der Mädgenfreund wird ein schön Wochenblatt werden. Es arbeiten einige sehr geschickte Mädgen mit daran.« (ZB, Ms Bodmer 4.2).
Unglük gehabt den Arm zu brechen
Vgl. dazu Langes Brief an Bodmer vom 2. März 1747: »Hr. Prof. Meyer hatte einen sehr unglücklichen Fall gethan, und nebst einigen Löchern in dem Kopfe den Rechten Arm zerbrochen. Es ist aber nunmehr alles glücklich geheilet. Er wird nun bald wieder auf den Teutoboch loß gehen.« (ZB, Ms Bodmer 4.2).
lächerliche Cantate
Gottsched verfasste die Serenade anlässlich der Reise Maria Josephas durch Leipzig am 15. Januar 1747. Die Prinzessin von Polen und Sachsen war auf dem Weg nach Frankreich, wo sie am 9. Februar 1747 den französischen Dauphin Louis Ferdinand, der 1765 starb, heiratete. Die Serenade wurde 1751 im zweiten Teil von Gottscheds Neuen Gedichten publiziert (S. 274–279). Die Zeile, über die sich Sulzer hier lustig macht, lautet: »Ja Hymen selbst kömmt nicht von ohngefähr,/ Mit seiner Fackel in der Hand,/ Erfreut vorangegangen;/ Und hat, durch ein gesticktes Band,/ Das Posthorn um die Schultern hangen.« (S. 275). Hymenaios ist in der griechischen Mythologie der Gott der Hochzeit.
in einem Theolog. Journal
Nicht ermittelt.
Waser schreibt mir
Nicht ermittelt.
Lauffers Historie
Jacob Lauffers Genaue und umständliche Beschreibung helvetischer Geschichte erschien posthum in 18 Bänden, Zürich 1736–1738. Nach dem Erscheinen stellte der Herausgeber von Lauffers Werk, Johann Georg Altmann, 1739 vier Bände Historische und Critische Beyträge Zu der Historie der Eidsgenossen, Bestehend In Urkunden, Zeugnissen und Untersuchungen zusammen. Vermutlich meinte Sulzer die gesamte Publikation.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann