Brief vom 6. Oktober 1768, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 6. Oktober 1768

den 6 Octob. 68.

Ich sehe doch, wie mich dünkt, immer mehr, mein theürester, daß ich richtig geurtheilet habe, es schike sich für uns nicht, es mit den Klozen und Weisen aufzunehmen. Daß Weiße ein Kind sey beweisen seine Trauerspiele, und daß Kloz und Jacobi Straßenjungen der Literatur seyen, liegt nun am Tage. Welcher Man wird sich denn mit Kinderspielen abgeben, oder an den Muthwillen der Straßenjungen stoßen? Es scheinet doch, als wenn Sie noch glaubten, man müßte sich der guten Sache annehmen um das Publicum für Verführung zu bewahren. Aber ich bitte Sie um des Himmels willen, welcher verständige Man drengt sich denn unter den um einen Marktschreyer herumstehenden Pöbel um ihm zu beweisen, daß in seinen Paketen Quaksalbereyen sind. Und dann weiß ich bey meiner Ehre noch nicht, wo ich das Publicum suchen soll, das in Gefahr steht verführt zu werden. Sie werden doch glauben, daß ich einen Theil unsers lesenden Publici kenne. Es ist aber unendlich rar, daß mir jemand aufstößt, der von den Kindereyen der neüsten deütschen Literatur etwas wüßte, oder der, wenn ihm der Zufall diese Phenomene vors Gesicht führt, sie anders ansähe, als wie man etwa die seltsame Gestallten der Wolken, an einem stillen Abend betrachtet. Es ist bey uns nicht, wie in Frankreich oder England, wo sich das Lesen und Denken schon über den beträchtlichsten Theil der Nation ausgebreitet hat. Die deütschen Musen, wohnen hauptsächlich nur auf Universitäten und an Örtern, wo die von der Universität kommende Jugend sich aufhält um Befördrung zu erwarten. Wir haben noch zur Zeit kein denkendes Publicum, wenigstens kenne ich es nicht, wenn es da ist. Denn die wenige Männer, die ich für Glieder eines solchen Publici ansehen könnte, machen kein Publicum aus.

Also ist denn auch unser Heß denen nachgefolgt deren Verlust wir noch beklagen? Er verdient ein Denkmal. Ob aber der Verfaßer von dem Leben Jesu der rechte Man dazu ist, weiß ich nicht. Was ich bis izt von seiner Feder gesehen, scheinet mir einen noch gar nicht reiffen Kopf anzuzeigen. Doch glaube ich er könne reiff werden. Diese Hoffnung aber habe ich von dem Verfaßer des Gedichts über die Ewigkeit nicht. Ich bin seinetwegen sehr besorgt; Nicht blos seiner Person halber, sondern auch derenthalber, die er in seine Schwermereyen hineinziehen wird. Warum laßen Sie mich noch immer in der Ungewißheit über den Verfaßer der Broch. sur l’origine de la Religion und zeigen mir nicht einmal an, wie man dazu kommt das Werkgen selbst zu sehen?

Müller scheinet sich nach und nach in seinen Zustand zu schiken, wie wol es damit sehr langsam zugeht. Er spricht von Meister, wie Sie. Und doch giebt mir dieses nicht Muth genug den Entschluß zu faßen, den Sie von mir zu erwarten scheinen. Ich halte nicht nur für nothwendig ihn selbst zu sehen, um mich zu versichern, daß er für die Stelle, die niemand so gut kennet, als ich, gemacht sey; aber auch zugleich um ihm dieselbe in der Nähe zu zeigen, damit er urtheilen könne, ob die Stelle für ihn seyn würde. Beydes ist mir gleich wichtig. Ich därff das Publicum nicht anführen und hüte mich auch den einzeln Menschen anzuführen.

Ich wünsche Ihnen zu ihren Schulanstallten mehr Glük, als ich gehabt habe. Man hat mich Geseze, Verordnungen, Vorschriften, Anleitungen, Einrichtungen, kurz, was ich wollte machen laßen, und fährt fort nach dem alten Schlendrian zu handeln; läßt mich aber dabey im Zweifel, ob es aus unvermögen beßer zu handeln, oder aus Eigensinn geschähe. Was helffen die besten Einrichtungen, wenn man die Leüthe nicht hat, die sie ausüben sollen? Es herrscht bey der Unterweisung der Jugend überall eine Barbaray, die der Vernunft höchst anstößig ist. Aber ich sehe noch nicht ab, wie dieselbe zu überwältigen sey. Der ehrliche Basedow hat sich izt mit seinem gewöhnlichen Enthusiasmus in diese Materie eingelaßen. Aber auch er ist der Man nicht, der die Reformation bewürken wird.

Helffen Sie mir doch einen Gedanken zur Reiffe zu bringen, wenn er ihrer Hülffe würdig ist. Ich fange an, bey meinen Zerstreüungen und der großen Schwierigkeit mich in freyen ZwischenRäumen, gehörig zu sammeln, die Hoffnung zu verliehren, mein Wörterbuch nach dem Plan zu vollenden, den ich dazu gemacht hatte. Izt würde ich mich entschließen, das, was davon einigermaaßen ausgearbeitet ist, herauszugeben. Aber ich kan keine schikliche Art es einzurichten, ausdenken. Die Form einer Wochenschrift, wär ohngefehr, der Art etwas ähnlich, die mir nur dunkel vor Augen schwebt. Es will mir aber kein erträglicher Plan einfallen, die Sache auszuführen.

Der Huber, den ich hieher geführt habe ist vermuthlich noch hier, aber ich weis nicht wo. Vor ein paar Monaten habe ich ihn auf der Straße gesehen. Er ist einige Jahre bey einem Kauffman gewesen, der aber izt Banquerout ist. Allem Ansehn nach ist er dabey sehr zu kurz gekommen.

Ich umarme Sie von Herzen.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13b. – E: Zehnder-Stadlin 1875, 428–429.

Anschrift

Herrn Bodmer Profeßor in Zürich frcò Nrnberg

Vermerke und Zusätze

Siegelreste.

Stellenkommentar

ehrliche Basedow
Johann Bernhard Basedow, Philanthrop, Theologe, Reformpädagoge und einer der führenden Vertreter der Aufklärungspädagogik in Deutschland, hatte 1768 die Schrift Vorstellung an Menschenfreunde und vermögende Männer über Schulen, Studien und ihren Einfluß in die öffentliche Wohlfahrt, mit einem Plane eines Elementarbuchs der menschlichen Erkenntniß publiziert.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann