Brief vom 20. September 1757, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 20. September 1757

vom 20 Septemb.

Mein werthester Freünd.

Ich habe aus ihrem lezten Brief, den ich vorgestern bekommen habe mit Vergnügen gesehen, daß Sie mit meinen übrigen Freünden an der Wolfarth unsers Reichs einen so großen Antheil nehmen, als wenn Sie selbst zu diesem Reiche gehörten. Wenn Sie blos oesterreichische Nachrichten bekommen, so wundert es mich gar nicht, daß man bey Ihnen unsre Sachen für ganz verlohren hält. Ich will Ihnen die Ganze gegenwärtige Verfaßung, so gut ich sie kenne vor Augen legen. Sie können der Wahrheit der Dinge, die ich schreibe völlig versichert seyn. Vorher aber muß ich Ihnen melden, wie es mit den Sachen ihres Hrn. Schwagers Orell stehet.

Schwarz ist verurtheilt den Wechsel nebst den Intreßen und den Process Umkosten zu bezahlen; ich habe auch bereits die Execution gegen ihn erhalten. Heüte vernehme ich, daß er bey Hofe um ein Indult angehalten, vorgebend, daß bey diesen schlechten Zeiten kein Abgang der Waaren u. s. f. Ich hatte dieses vorgesehen und bin deshalb bey dem Groskanzler gewesen, um Ihm vorzustellen, was für ein Mensch dieser Schwarz ist und wie wenig er einer so beträchtlichen Wolthat würdig. Der GroßCanzler hat mir auch versprochen, daß er kein Indult haben soll, wofern er nicht für Capital und Intreßen hinlängliche Sicherheit stellen kan. Indeßen wird dadurch die Sache durch diesen schlauen Betrüger immer weiter verzögert. Jezo suche ich seinen Chicanen dadurch auszuweichen, daß ich auf Bezahlung in Waaren oder auf Verabfolgung derselben zur Sicherheit dringe; denn Gelt ist schlechterdings nicht da, und man muß fürchten, wenn sich die Sache länger verzieht, daß der Concours erfolge, aus welchem sehr wenig möchte herauskomen. Der Hr. Orell kann indeßen versichert seyn, daß ich sowol als mein Advocat thue, was nur immer möglich ist.

Nun mehr will ich Sie von der Beschaffenheit der oeffentlichen Angelegenheiten so gut ich kann unterrichten. Ich muß aber, weil sie vermuthlich gar zu viel falsches gehört haben, die Sachen etwas weit her nehmen.

Die Schlacht bey Collin gab den Feinden die erste Gelegenheit zum Triumf, wie wol sie keine große Ursache dazu hatten; denn niemals haben sie mehr erfahren, was unsre Truppen thun können. Es ist eine vollkommen ausgemachte Sache, daß der König sie mit mehr als dreymal geringerer Macht, und nur mit 15 tausend Man Infanterie angegriffen, ihre HauptArmee in die Flucht geschlagen, und einen vollkommenen Sieg würde erfochten haben, wenn entweder, unsre Cavallerie das ihrige gethan hätte um die Feindliche abzutreiben, so wie die Infanterie gethan, oder wenn sie nur eine Lüke, welche von einem wieder die Disposition des Königs geschehenen Angriff auf den Mittelpunkt des Feindes verursachet worden, ausgefüllt hätte. Da so wol der FeldM. Daun, als der größte Theil der Feindl. Infanterie auf voller Flucht waren, drang die Ungarische Cavallerie durch diese Lüke und kam unsrer Infanterie in den Rüken. Diese die wegen ihrer gar zu kleinen Anzal in verschiedene Corps getrennt war, konnte nicht zugleich den Feind vorwerts treiben und vom Rüken abhalten. Also mußte man der Infanterie des Feindes auf ihrer Flucht Zeit laßen sich wieder umzusehen, und sich inzwischen durch die Feindl. Cavallerie durchschlagen. Der FeldM. Daun erfuhr mit seiner Infanterie erst den folgenden Tag, daß die Preüßen das SchlachtFeld verlaßen haben, und daher komt es, daß er unsre sehr geschwächte, und gegen ihn sehr kleine Armee nicht verfolget hat. Wir verlohren dabey nach dem genauesten Verzeichnis gegen 8000 Mann. Unter den Papieren, welche man unlängst in der eroberten Bagage des Generals Nadasti gefunden hat, befindet sich eine Liste, woraus erhellet, daß der Verlust des Feindes sich auf 20 tausend Man erstrekt.

Da nun dieser Anschlag, die Feinde zu zerstreüen nicht gelungen, so mußte der König, wegen der einbrechenden Macht der Franzosen sich entschließen Prag zu verlaßen, und die Armee näher nach Sachsen zu ziehen um allenfalls einen theil gegen die Franz. zu schiken. Die Armee wurd in zwey Theile getheilt. Die größere Hälffte führte der König langsam über Leitmeriz, Lowosiz, Außig, gegen die Elbe und gegen Pyrna und Dresden. Die kleinere Hälffte, sollte über Bunzlau, Leipa, Gabel nach Zittau in die Lausiz gehen. Dieser lezten, welche der Prinz v. Preüßen und der Herz. v. Bevern führte, fiel die ganze Oestereichische Macht auf den Hals. Es kam zwahr nirgend zum Treffen, aber es gelang dem Feind durch einen mächtigen Schwarm seiner Leichten Völker, sich vor der Ankunft unsrer Armee, in Gabel einzufinden, wo wir durch sollten, und wo bereits 1500 Man voraus geschikt waren. Diese wurden von 12000 Man angegriffen, welche sie auch mit sehr großem Verlust von sich getrieben. Den Andern Tag wurd der Feind noch mit einigen Tausenden Verstärkt, und that einen neüen Angriff, worauf sich die unsrigen ergeben mußten. Dieses ist der empfindlichste Verlust, den wir jemals erlitten haben, indem es ohne Exempel ist, daß sich 1500 Man hätten ergeben müßen. Nach den mäßigsten Berichten unsrer Seits hat der Feind dabey 4000 Man verlohren. Da also Gabel vom Feind besezt war, mußte der Prinz v. Preüßen seine Armee durch beynahe unwegsame Orter führen, und kam also etliche Stunden späther in die Lausiz als der Feind, der vor der Ankunft des Prinzen Zittau überrumpeln wollte. Da der Feind, über 60 tausend Man stark vor Zittau lag, zog der Prinz von Preüßen, der inzwischen mit 25 tausend Man dießeits vor Zittau kam, die darin stehende 8 Batallione an sich und räumte die dortigen Magazine meist völlig aus, ohne, daß die Feinde sich unterstanden mit so überlegener Macht ihn anzugreiffen. Man begnügte sich oestereichischer Seits mittlerweile wir die Statt ausräumen ließen, sie in Brand zu steken.

Seit der Zeit stuhnd also die ganze Oesterreichische Armee in der Gegend Zittau, und der König kam über Pyrna und Dresden mit dem größten Theil seiner Armee auch dahin. So lange beyde Armeen da gewesen hat sich wenig wichtiges zugetragen; die Schermüzel sind von keinem Belang. Gegen Ende des Augusts, da der König sah, daß es nicht mehr möglich seyn würde den Feind der sich überaus stark auf Höhen sowol, als zwischen Bergen gesezt hatte, mit einigem Vortheil anzugreiffen, sonderte Er 30 tausend Man von der Armee ab, und marschirte damit durch Sachsen um dem Prinzen von Subise, deßen Vorläuffer schon bis nach Halle gestreifft hatten, und auch der Reichs Armee entgegen zu gehen.

Indeßen blieb der Herzog von Bevern, mit 60 tausend Man gegen den Feind stehen. Den 7 Sept. fiel zwischen einem unsrer entfernten Posten der aus 2 Batallion bestuhnd, und einem sehr starken Corps Oesterreicher ein Heftiges Treffen vor, in welchem die Feinde 3 mal zurükgeschlagen worden und jedes mal mit verstärkter Macht wieder angerückt, bis er unsre 2 Batallion von ihrem Posten vertrieben. Dabey haben wir 400 an Todten und ohngefehr eben so viel bleßirte, die Feinde aber wieder etliche tausend verlohren. Allein wir verlohren dabey einen Man, der vielleicht bey der ganzen Armee seines gleichen nicht gehabt; den General von Winterfeld.

Seit der Zeit hat sich die oesterreichische Armee aus der Lausiz längst der Böhmischen Gränzen nach Schlesien hingezogen, und der Herzog von Bevern ist ihr zur Seite gefolget. Beyde Armeen stehen jezo dort, und seit etlichen Tagen haben wir keine Nachricht davon. Also will ich die Armeen dort verlaßen um ihnen von den anderen Nachricht zu geben.

Der König marschirte also durch Sachsen gegen Erfurth hin. Überall zogen die Franzosen sich vor ihm zurüke. Den 13 Langte die Königl. Armee in der Gegend Erfurth an. Weil die Franzosen und die Reichstrupen sich überall eilig zurüke ziehen, und nun in den Thüringischen Wäldern sich hinter Verheke und Defileen gesezt, so wird der König nicht weiter gegen sie vorrüken. Genug daß er sie von Sachsen abhält. Da aber indeßen die Franzosen in das Halberstätische gedrungen, so hat der König von seinem Corps den Prinzen Ferdinand v. Braunschweig mit 10 tausend Man dahin geschikt, um das Land wieder zu reinigen. Dieser Herr hat, ungeachtet er einen Marsch von etlichen 20 Meilen zu thun gehabt, den berüchtigten Fischer unweit Halberstatt überfallen, und einen guten Theil seiner Unterhabenden Truppen niedergemacht und die andern zerstreüt. Er wird vermuthlich von der Garnison in Magdeburg noch 10 tausend Man an sich ziehen und als denn die Franzosen von unsern diesseitigen Gränzen genug abhalten.

In Preüßen geht alles gut. Die Rußen waren zwahr, wegen ihrer großen Übermacht bis gegen Königsberg an marschirt und man erwartete täglich noch ein Haupttreffen in der Gegend dieser Hauptstatt. Unvermuthet aber ist diese fürchterliche Armee wieder aufgebrochen und eilet mit eilfertigen und unsrer Armee abgestohlenen Märschen, das Land zu räumen. Noch weiß man nicht, was die Ursache dieses so eilfertigen Abzuges ist. Es müßen innerliche Unruhen im Reiche seyn. Auf diese Weise befreyet uns die Vorsehung von dem grausamesten unsrer Feinde. Sie haben in Preüßen unbeschreibliche Grausamkeiten verübet, und noch auf ihrem Abzug aus Städten und Dörffern die jungen Mädchen und junge Manspersonen mit sich geschleppet, um, wie sie sagen ihren Verlust von der Schlacht bey Wehlau zu ersezen, wo sie, nach ihrer Aussage 18000 Man verlohren haben. Der FeldMarschall Lehwald verfolget sie auf ihrer Flucht und wird vielleicht noch einige Preüßische Jugend aus ihren Händen retten. Diese Barbaren haben an die 40 tausend Calmuken und Mongolen bey sich, welche nur rohes Fleisch fressen. Einige darunter schneiden die Waden und Lenden ihrer gebliebenen Cameraden aus und freßen sie.

Die Schweden haben die Feindseeligkeiten auch angefangen. Aber es könnte ihnen übel bekommen. Ihre Macht erstrekt sich auf 20 tausend. Es sind aber in Stettin und Berlin wenigstens so viel. So bald der König diesen wird ein Haupt ernennt haben, werden sie auf die Schweden losgehen, die dann sehr schnell wieder den Rükweg nehmen dürfften.

Dieses sind alle Neüigkeiten, die ich jezo zu berichten weiß. Das einzige habe ich vergeßen, daß ganz Sachsen noch wol von uns besezt ist, und daß noch kein Oesterreicher aus der Lausiz über die Elbe gekommen, wie wol einige Leichte Trupen in der Lausiz herum schwermen.

Sie werden aus dieser Erzählung sehen, daß ungeachtet der Menge der Feinde, ungeachtet einiger Fatalitäten, ungeachtet des niederträchtigen Betragens der Allirten, welche die Neütralität ergriffen, es weit gefehlt ist, daß es mit uns aus seyn sollte, wie einige närrisch träumen. Der König hat jezo würklich 240 tausend Mann auf den Beinen. An Geld ist noch lange kein Mangel zu befürchten, und andrer Vorrath ist auch genug da. Kommt vor dem Winter kein Unglük über die Armeen, so wird Europa auf künftiges Frühejahr erstaunen, über die Heere, welche der König von allen Orten her gegen die Feinde führen wird. Es ist aber zu Hoffen, das die Feinde, denen diese Umstände nicht können verborgen seyn, merken werden, daß es Ihnen äußerst schweer fallen wird den König klein zu machen. Dieses würde in der That nicht eher geschehen, bis vielleicht ganz Deütschland völlig ruinirt wäre. Denn was können nicht 240 tausend Preüßen thun, wenn sie es aufs äußerste ankommen laßen? Vielleicht bringt dieses die Feinde zum Nachdenken, und erwekt Ihnen friedliche Gedanken.

Es ist ein wahrer Ekel zu lesen, was man von uns in auswärtigen Zeitungen schreibt. Hüten sie sich etwas davon zu glauben. Das ganze Land ist noch voll Volk, woraus die Armeen beständig können erganzt werden. Der Hauptschaz des Königs ist noch gar nicht angegriffen, und in Sachsen liegen noch 10 Millionen in Deposito, die allenfalls auch würden angegriffen werden. Die Unterthanen des Königs haben noch keinen Pfenning von außerordentlichen abgaben zu dem Krieg gegeben. Die Landesstände haben zwahr dem König große Summen gegeben, die er aber ihnen verintreßirt, und davon noch nichts angegriffen worden, weil es auf die äußerste Noth parat liegt.

Nun wißen Sie alles was ich Ihnen sagen kann. Ich bin nun müde vom Schreiben und thue nichts mehr hinzu. Grüßen Sie die Hrn. Br. W. W. K. p. p. und laßen Sie den Freünden in Winterthur meine Nachrichten zukommen.

Der Hr. D. S. braucht nichts davon zu wißen. Man mag ihn bey seinem Glauben laßen. Er urtheilt wie ein Mercator, den nichts rühret als sein Geld Gewinst und Verlust. Ich bin von Herzen der Ihrige.

Sulzer.

den 20 Septemb.

P. S. Von der Bibliothek der schönen Wißensch. ist das II Stük heraus. Es ist meist ganz von Nicolai, wie die Buchstaben N. C. L. p. und auch der Inhalt sattsam zeigen. Wieland ist darin mit viel Boßheit traktirt. Haben Sie die Gütigkeit Einlage bald zu bestellen.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Anonym Über Friedrich den Großen II 1807, S. 56–62.

Vermerke und Zusätze

Auf der ersten Seite »Schwagers Orell«, »Schwarz« und »Orell« nachträglich von Bodmer geschwärzt und unkenntlich gemacht.

Lesarten

Schermüzel
Scharmüzel

Eigenhändige Korrekturen

Infanterie
Infa⌈n⌉terie
umzusehen
umzusehehen
Rußen waren zwahr
Rußen haben waren zwahr

Stellenkommentar

bey dem Groskanzler
Philipp Joseph von Jariges.
Schlacht bey Collin
Zur Schlacht bei Kolin am 18. Juni 1757, wo die preußische Armee eine verheerende Niederlage erfuhr und zwei Drittel der Infanterie (rund 14 000 Mann) verlor, vgl. Bremm Der Siebenjährige Krieg 2017, S. 142–150. Auch die Österreicher verloren 8000 Mann in der Schlacht.
in der eroberten Bagage des Generals Nadasti
In der bei Ostritz eroberten Kutsche von Nadasdy fanden sich Briefe von Maria Josepha von Österreich, Königin von Polen, die den General über den Kriegsverlauf unterrichtete.
Prinzen von Subise
Charles de Rohan, Prinz von Soubise.
berüchtigten Fischer
Johann Christian Fischer, Führer eines französischen Freikorps.
welche nur rohes Fleisch fressen
Sulzer hatte diese Berichte über Russen und Mongolen wahrscheinlich aus der periodischen Tagespresse oder von direkten Berichten vom Schlachtfeld. Zur publizistischen Kenntnis und Rezeption Russlands im 18. Jahrhundert vgl. Dahlmann (Hrsg.) Kenntnis Rußlands im deutschsprachigen Raum im 18. Jahrhundert 2006. Vgl. auch Gleim an Ramler, 6. Januar 1759: »Ich habe ein Original-Schreiben von einem angesehenen so genanten ErzPriester aus Preußen gelesen, worin er sagte: Er hätte mit seinen Augen auf dem Schlachtfelde bey Großjägersdorf die Callmucken rohes Menschenfleisch eßen gesehn; in einem Schreiben aus der Neumarck, werden ein Haufen Mordgeschichte davon erzählt, dennoch weis ich, daß der Grenadier dergleichen Nachrichten für keine Beweise hält; die welche er dafür annimt, sind von ganz andrer Beschaffenheit. Hat er einen historischen Umstand einfließen laßen, wovon Er kein Augenzeuge gewesen ist, so hat er doch sonst von deßen Warheit die vollkommenste Ueberzeugung gehabt, so, wie man sie von einem Barden nur immer verlangen kan.« (Schüddekopf (Hrsg.) Briefwechsel zwischen Gleim und Ramler 1906, Bd. 2, S. 355).
verintreßirt
Verzinst.
Hrn. Br. W. W. K.
Breitinger, Wieland, Waser, Künzli.
Hr. D. S.
Direktor Schulthess.
das II Stük heraus
Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste, Bd. 1, St. 2. Darin findet sich auch eine Rezension von Sulzers Pensées sur les différens emplois des Sciences et des Beaux-Arts, 1757.
mit viel Boßheit traktirt
Nicolais kritische Rezension von Wielands Empfindungen eines Christen. In: ebd. S. 415–426.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann