Brief vom 1. November 1757, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 1. November 1757

Mein werthester Freünd

Wenn mein Brief vom 22 Oct. richtig an Hrn. Künzli gekommen ist, so werden Sie bereits durch diesen Freünd erfahren haben, was den 16 Oct. hier vorgefallen. Weil aber dieser Brief leichte kann verlohren gegangen seyn, so will ich Ihnen doch kürzlich melden; wie es unsern Feinden gelungen ist bis nach Berlin zu dringen, und uns zu brandschazen.

Seit dem die beyden großen Armeen aus der Lausiz nach Schlesien gegangen, hat sich ein Corps von 15 Tausend Man, allerhand oesterreichischer Trupen in der Lausiz aufgehalten, und meisten theils Dresden beunruhiget. Da dieses Corps einmal Miene machte durch die Lausiz gegen die Gränzen der Mark anzurüken, wurd der Prinz Moriz von Deßow, der bey der Armee des Königs in Thüringen gestanden, mit 8000 Man gegen Torgau geschikt. Da aber die dortigen Gegenden wieder ruhig geworden, Marschirte der Prinz mit seinem Corps wieder zur Armee des Königs in die Gegend Naumburg.

In dem der Prinz auf diesem Marsch begriffen war, zogen die Feinde in der Lausiz sich eiligst zusamen, und eilten mit starken Märschen nach unsrer Gegend zu. Der König erfuhr es zwahr bald; aber doch erst nach dem sie ein paar Märsche gethan hatten. Der Prinz Moriz ward mit seinem Corps wieder abgeschikt, wo möglich die Hauptstatt zu retten.

Den 15 erfuhr man hier erst, daß der Feind im Anmarsch auf Berlin wäre. Die Nachricht verursachte um so mehr Bestürzung, weil wir einen Commandanten hier hatten, der keine Erfahrung im Krieg und gar wenig Kopf hat. Dieser Man ist an der ganzen Beschimpfung Schuld. Er ließ den Anrükenden Feind nicht recognosciren, sondern machte blos Anstallten sich mit seiner Garnison nach Spandau zu ziehen. Der ganze 15 Octob. war also hier unruhig.

Den 16 frühe Morgens wurd berichtet, daß die feindl. Husaren vor den Thoren wären. Die ganze Garnison, die ungefehr aus 5000 Man bestanden wurd in der Gegend des Königl. Schloßes versammelt, und die Wachen an den Thoren verstärkt. Aber niemand wußte, wie stark der herannahende Feind war. Indeßen war die Königin, nebst allen Prinzeßinnen und einigen Prinzen noch hier, und machten Anstallten nach der Festung Spandau zu flüchten, welche 2 Meilen von hier ist.

Den ganzen Vormittag brachte man mit Nachfragen zu, wie stark der Feind wäre und wo er eigentlich stühnde. Aber niemand wußte etwas gewißes. Indeßen war die eine Hälffte der Statt, welche an der abend Seite der Spree liegt ruhig, weil vor ihren Thoren sich kein Feind zeigte.

Um 1 Uhr ließ der General Haddigk durch einen Trompeter die Statt auffodern. Alles was von unsrer Garnison nicht an den Thoren war wurd an den nächsten Zugängen des Königl. Schloßes in Schlachtordnung gestellt. Die Gewehre wurden geladen und die Ordre gegeben, wie man schießen sollte. Wir glaubten also eine Schlacht vor unsren Augen zu haben; denn ein Detachement stuhnd an einer Brüke wenige Schritte vor unsrer Hausthüre.

Mittlerweile warff der Feind an einem Orte, wo die Statt keine Mauren hatte, die halb verfaulten Pallißaden, welche nicht besezt waren, um, drang in die Vorstatt hinein, und formirte sich in Schlachtordnung auf einem großen Feld, das innerhalb der Mauren am Ende einer Vorstatt ist. Das eigedrungene Corps war etwa 1000 Man stark, Infanterie, Croaten, Panduren, Schweere Cavallerie und Husaren. Die Wache an dem nächsten Thor wurd gleich verjagt, und es befanden sich unweit von dem Plaze 400 Man von unsrer Garnison, welche den Feind angriffen, und von ihm eine ziemliche Menge todeten. Allein der Hauffen war zu klein, nicht unterstüzt, und nicht zum besten angeführt. Er wurd vom Feinde umringet. Ein großer Theil zu Schanden gehauen, und ein andrer gefangen genommen, so daß von diesen 400 Man kaum der zehente Theil davon gekommen. Diese Action ist an einem vom Schloße so weit entlegenen Orte geschehen, daß wir kaum die Schüße der feindlichen Canonen hören konnten.

Nachdem dieses vorbey war hielt der Feind in guter Ordnung auf dem Wahlplaz und Haddigk schikte einen zweyten Trompeter, durch welchen er dem Magistrat sagen ließe, daß er nunmehro Meister von der Statt sey, und von ihr 600 tausend Thlr. Brandschazung verlangte.

Damals wäre es leichte gewesen den Feind, welcher nur 3 Straßen zum Eindringen in die Statt vor sich hatte, wieder zu verjagen, oder ihm wenigstens alles zu versagen, weil man überflüßig im Stande war ihm das eindringen in das innere der Statt zu verwehren. Allein der Comandant beredte die Königin mit der ganzen Hofstaat wegzufahren, und er folgte dem Hof mit der ganzen Garnison. Durch einen Canonen Schuß, der gerade vor unsern Fenstern geschah, (und der das einzige ist, der meine Frau in Schreken gebracht hat) gab er das Zeichen zum Abmarsch. Alle Thore wurden darauf verlaßen, und wir mußten den Hof und 5000 Man guter Trupen vor unsern Fenstern sehen vorbey aus der Statt ziehen. Der Zug dauerte von 3 Uhr Nachmittag bis beynahe um 5 Uhr.

Währender Zeit hielten sich die Feinde ruhig auf dem Wahlplaz. Sie waren so schwach, daß sie sich nicht tieffer in die Stadt wagen konnten, weil Ihnen unbekannt war, was darin vorginge. Nur einige Morodeurs drangen in einige ihnen nahegelegene Häuser und plünderten. Inzwischen finge man auf dem Rathause an zu capituliren. Die Feinde hatten zwahr 600 tausend Thlr. gefodert, und droheten die Statt in Brand zu steken, wenn diese Summe nicht um 8 Uhr des Abends da wäre.

Der Magistrat that was er konnte die Summe zu mildern, und weil die Feinde wol wußten, daß der Prinz Moriz bald würde vor Berlin anlangen, so bezeigten sie sich ziemlich unruhig. Man merkte ihre Besorgnis und machte sich dieselbe so gut als möglich war zu nuze. Die Brandschazung wurd auf 200 Tausend Thlr. gesezt, und dem Feind in die Vorstatt hin geliefert. So bald der lezte Transport da war, welches gegen 4 Uhr des Morgens war, machte er sich eiligst davon. Weil ich den Abend zuvor um 10 Uhr durch einen ausgeschikten Kundschafter erfahren, daß die Feinde sich auf der Wahlstatt um Feüern gelagert und stille hielten, ging ich mit den meinigen ruhig zu Bette und hatte des Morgens das Vergnügen zu erfahren, daß die Feinde wieder abgezogen wären.

Wenige Stunden nachher, nämlich den 17 um Mittag ließen sich schon einige Husaren von dem Morizischen Corps hier sehen, und um 9 Uhr des Abends rükten schon 2 Regimenter Cavallerie hier ein, welche 30 Feindliche Husaren und einen Wagen mit Geld einbrachten, welche sie unterwegens dem Feind abgenommen hatten. Den andern Tag traf der Prinz mit seinem ganzen Corps hier ein. Er schikte gleich ein Husaren Regiment dem Feind nach. Allein er war zu weit voraus und wir bekamen nichts, als noch 30 oder 40 Gefangene.

Dieses ist die wahrhafte Beschreibung, der für Berlin so schimpflichen Expedition. Den Dienstag traf der Hof aus Spandau wieder hier ein. Da sich der Comandant wieder vor dem Volke sehen ließ stürmte es mit unzehligen Flüchen und Scheltworten auf ihn, und würde ihn ermordet haben, wenn er nicht das Glük gehabt hätte sich in ein gutes Haus zuflüchten.

Seit der Zeit ist hier alles ruhig. Der Hof ist nach Magdeburg gegangen weil der Commandant darin eine Entschuldigung sucht, daß er mit seinen Trupen den Hof habe dekken sollen.

Mit der Armee des Herzogs von Richelieu ist ein Waaffen Stillstand auf 7 Monat geschloßen. Der König steht mit 30 000 Man bey Leipzig und sucht die Reichs Armee anzugreiffen. In Schlesien stehen die Sachen sehr critisch. Unsre Armee daselbst stehet sehr sicher und hat Überfluß. Die feindliche hat an allem Mangel, und muß nothwendig, weil sie keinen festen Plaz hat, noch das äußerste Versuchen um Winterquartire zu bekommen. Nach Böhmen kann sie nicht anders, als mit großem Nachtheil zurüke gehen. Also ist man höchst begierig zu sehen, wie dieser Feldzug sich endigen wird.

Unsre Armee aus Preüßen ist im Anmarsch nach Pommern, wo die Schweden sich ziemlich unnüze machen. Die Preüßischen Trupen sind der Kern der Macht des Königs und werden die Schweden in kurzer Zeit übern Hauffen werffen. Allein es gehen noch 14 tage darauf, ehe sie an einander kommen konnen.

Nun muß ich Ihnen noch sagen, wie die Sachen Ihres Hrn. Schwagers mit Schwarzen stehen. Die Unruhen haben die Sache verzögert. Ich habe Execution gegen ihn, aber er ist weg. Jezo hat er mir anbieten laßen in Waaren zu bezahlen. Er hat Seidne Waren und Pelze. Ich möchte mit der ersten Post wißen, ob ich mich mit ihm einlaßen soll. Ich habe Bekannte, welche im Stande sind, die Waaren zu schäzen. Die Sachen stehen so, daß man risquirt es möchte zum Concours kommen. Alsdenn bekomt man kaum 40 pr: C. Jezo hoffe ich die ganze Summe, doch ohne Erstattung der Umkosten, in Waaren zu bekommen. Mein Rath ist, daß Hr. Orell dieses annehme und ein kleines Übel einem großen, das gewiß erfolgen würde, vorziehe.

Wenn Hr. K. meinen vorigen Brief nicht bekommen hat, so laßen Sie ihm diesen zukommen, damit er unserthalber außer Sorgen sey.

Ich bin mit Aufrichtigkeit

Ihr ergebenster Dr.
Sulzer.

Berl. den 1 Nov. 1757.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Anonym Über Friedrich den Großen II 1807, S. 63–68.

Anschrift

A Monsieur Bodmer Professeur tres celebre a Zurich frco Nrnberg.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Bodmers auf der Umschlagseite: »primavera del tagliazucchi ⟨sua⟩ Edizione/ riccomandargli di traduere Wielands Erzelungen«. – Auf der letzten Seite »Ihres Hrn. Schwagers« nachträglich von Bodmer geschwärzt und unkenntlich gemacht. – Nachträgliche Korrektur von »22. Oct.« in »20. Oct.« von einer nicht identifizierbaren Schreiberhand (eventuell Bodmer). – Siegelreste.

Stellenkommentar

mein Brief vom 22 Oct.
Der Brief Sulzers an Künzli vom 22. Oktober 1757 (SWB, Ms BRH 512/73) beginnt mit den Zeilen »Sparta hat den Feind in seinen Mauren gesehen« und berichtet ausführlich von der eintägigen Besetzung Berlins (sogenannter Berliner Husarenstreich) durch österreichische Truppen am 16. Oktober 1757.
Prinz Moriz von Deßow
Moritz von Anhalt-Dessau.
einen Commandanten hier hatten
Hans Friedrich II. von Rochow war während dieser Zeit Kommandant von Berlin.
recognosciren
Auskundschaften.
General Haddigk
András Hadik, der Berlin an seinem und auch Sulzers Geburtstag einen Tag besetzt hielt.
eigedrungene
eingedrungene.
konnen
können.
pr: C.
Prozent.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann