Brief vom 9. November 1756, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 9. November 1756

Mein werthester Herr und Freünd.

Da ich währender Meße täglich das Paket erwartete, welches erst 3 Wochen nach dem Ende der selben an mich gekommen ist, so verlohr ich dadurch die Meßgelegenheit an Sie zu schreiben. Und wenn ich seit vielen Monaten nicht geschrieben habe, so ist die Musik daran Schuld, die einen beträchtlichen Theil meiner Arbeit zu dem Wörterbuch ausmacht, und die ich mit so viel mehr Fleis ausstudiren muß, je schlechter man bis dahin von ihr geschrieben hat. Dieses hat mir den Sommer über alle Zeit weggenommen, die mein Amt und die Häuffigen Zerstreüungen eines Ortes, wie Berlin ist, übrig gelaßen hat.

Ich habe 100 Exempl. von dem Prodromo der Minnensinger bekommen und werde ihnen darüber gute Rechnung halten. Bis dahin, habe ich nur noch 6 Subscriptionen zur association, aber ich zähle noch auf etliche, und für meine Person, habe ich schon außer denen den associés gelieferten Exemplaren, noch nicht mehr, als etwa 1 duzend Exemplare verkaufft. Der Preiß von 12 Rthr. ist etwas Hoch, und unsre hiesigen Buchführer hatten diese Fabeln 3 Wochen vor mir. Einige verkaufften sie sogar ein paar Groschen wolfeiler, und dieses thut dem Particularverkauff Schaden.

Ich hatte darauf gerechnet, daß Gleim auch etliche Subscriptionen aufbringen würde, aber er hat mir auf die Einladung nicht einmal geantwortet. Ramler hat sich begnüget ein Exemplar für sich zu nehmen. Ich werde auf das N. Jahr durch Hrn. Schultheß beym Rechberg Ihnen die eingenommenen Gelder übermachen, und alsdenn das mehrere melden.

Hr. Voß hat mir bald nach der Ostermeße, die Larve und das Banquet der Dunse zugeschikt, mit vermelden daß er so was nicht druke. Unsre hiesige Verleger sind selbst Dunse, die ihre Schande nicht druken wollen. Also liegen diese beyde Stüke noch bey mir und warten auf ihre Befehle. In dem Lande der Dunsen ist schwerlich zu erwarten, daß so etwas viel Beyfall finden werde. Wenn Sie es zufrieden wären, so wollte ich beyde Stüke durch Gleim an Zachariä schiken, mit dem ich nicht unmittelbar bekannt bin. Aber da dieser wie ich höre selbst etwas Satyrisches wieder Gsch. in der Arbeit hat, so würde er vermuthlich, diese Stüke am besten mit bestellen können. Laßen Sie mich hierüber bald ihre Meinung wißen. Es thut mir leid, daß ich ihre Schrifft über Hermann nicht habe wieder bekommen können. Leßing ist fort und hat sie hier unter seinen Papieren liegen laßen.

Sie haben mich durch ihren reichen Beytrag zu meinem Dictionaire sehr erfreüet. Die Artikel sind gerade so, wie ich sie gewünscht habe. Ich werde wenig historisches von den Künstlern, Virtuosos und Dichtern sagen, aber desto mehr critisches. Jezo därff ich Ihnen nichts mehr zumuthen, ob ich gleich unter anderm Folgende Artikel sehr gerne von Ihnen haben möchte. Ilias, Odyssée, Æneis, das Verlohrne Paradis, Hudibras, Pharsalia, Messiade. Von Hr. Wielanden wünschte ich unter andern auch den Artikel vom Erhabenen. Ich hoffe, daß Sie sich in ihrer Erwartung, daß mein Werk von einem allgemeinen Nuzen seyn werde nicht betrügen werden. Die Anwendung der allgemeinen Grundsäze des Geschmaks, auf alle Arten von schönen Künsten und Wißenschaften wird die allgemeine Aufmerksamkeit auf diese Sachen reger machen. Wenn mancher Liebhaber der Malerey oder Baukunst, oder Musik sehen wird, daß die Poesie und alle übrige schöne Künste, nach den Grundsäzen Handeln, die er in der seinigen kennt, so wird seine besondere Lust allgemein werden.

Die Veränderungen, die Sie mit dem Noah vorhaben, haben meinen völligen Beyfall. Die Einheit wird dadurch sehr merklich verstärket. Das Bild, welches in dem Vers liegt jener rothen verwittweten Riz etc. möchte ich nicht gerne verliehren. Aber es ist leicht möglich die Wörter etwas gelinder zu geben. Aber das Wort verwittwet scheinet mir iezt nicht viel zu sagen. Es scheinet sogar anzuzeigen, daß alles was nicht Hermaphrodit ist, verwittwet sey.

Die Unternehmer der Bibliothec für die Schönen Wißenschaften sind würklich noch nicht bekannt. Ich stimme aber ihrer Vermuthung bey. –

Der Arminius Schönaich ist volkommen gut. Wenn doch diese Dunsen so vielen sie ganz tödenden Satyren nur einmal eine kluge Zeile entgegen sezen könnten, so wäre meine Verwundrung über die närrische Aufführung der Neütralen Parthey nicht so groß.

Ich habe schon 2 Posttage auf Antwort aus Leipzig, wegen des Hrn. Heideggers gewartet. So bald sie einläufft sollen Sie sie haben. –

Von politischen Nachrichten wißen wir jezo wenig, als was Sie schon durch die Zeitungen werden vernommen haben. Die Sächsische Armee ist in hiesigen Landen Herumvertheilet, und soll den Winter über exerciren lernen. Die Rußen marschiren wieder nach Hause, wie es heißt. Sollten die Franzosen gegen uns kommen, so werden sie mit sehr blutigen Köpfen davon kommen, indem die Verbitterung des gemeinen Soldaten gegen sie ungemein groß ist. Wann Gott den König und seine Armee vor Krankheit bewahrte so fürchten wir uns gar nicht vor der Menge der Feinde.

Des Placcii gedicht werde ich, womöglich auftreiben. Der Hr. v. Arnim aus Sucow schreibt mir, daß der Renner in der Bibliothec des Klosters Heilsbron anzutreffen ist. Diesem Hrn. der auch mit von der Association ist, gefiele es beßer, wenn die Minnesinger nach der heütigen Orthographie abgedrukt würden, und andere verlangen eine Übersezung.

Was macht ihr Nachbar Hr. Escher? Wenn Sie ihn sehen sollten, so sagen Sie ihm, daß ich gerne einmal wieder etwas von ihm hören möchte.

Hrn. Wieland bitte herzlich zu grüßen. à propos. Was ist denn Wielands Frühling für ein Gedicht? Hier weiß niemand das geringste davon.

Ich verharre mit zärtlichster Ergebenheit

der Ihrige
Sulzer

den 9 Novemb.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Anonym Über Friedrich den Großen I 1807, S. 356 (Auszug).

Eigenhändige Korrekturen

wenig historisches von
wenig ↑historisches↑ von
Es scheinet
Denn Es scheinet
Dunsen so vielen
Dunsen auf so vielen

Stellenkommentar

Gsch.
Gottsched. Sulzer spielt hier auf J. F. W. Zachariae, Murner in der Hölle. Ein scherzhaftes Heldengedicht, 1757, an.
Placcii gedicht
Vgl. Brief letter-bs-1756-09-29.html und dazugehörigen Kommentar.
Hr. v. Arnim aus Sucow schreibt
Nicht ermittelt.
der Renner in der Bibliothec des Klosters Heilsbron
Die Handschriften von Hugo von Trimbergs Der Renner waren im süddeutschen Raum verbreitet. Neben Sulzer und Bodmer zeigten auch Herder, Gottsched und Lessing Interesse daran. Vgl. Weigand »Renner« des Hugo von Trimberg 2000, S. 41–142.
Nachbar Hr. Escher
Johannes Escher vom Glas, der sich in den Jahren 1753 und 1754 bei Sulzer in Berlin aufgehalten hatte. Vgl. Kommentar zu Brief letter-sb-1753-09-23.html.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann