Brief vom 5. Juni 1756, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 5. Juni 1756

Mein werthester Hr. und Freünd.

Ich bekomme ihr werthestes Schreiben vom 10 Aprill eben jezo, da ich im Begriff bin einen Brief an Hrn. Rthr. Rahn zu schließen und bediene mich dieser Gelegenheit Ihnen gleich noch ein paar Zeilen zu schreiben, wie wol ich eben im Begriff bin, meiner werthen Willhelmine entgegen zufahren, die ich nach einer Abwesenheit von 4 Wochen heüte wieder sehen soll.

Ich danke Ihnen für überschikte Neüigkeiten auf die ich mir ein rechtes Fest mache. Es ist sehr gut gethan, daß Heidegger eine Samlung der zerstreüten Critischen Schrifften machen will; ich hatte schon vorher eben diesen Einfall von denen Stüken, die in den freymüthigen Nachrichten stehen, und die ich mit Sorgfallt aufbehalte.

Mich dünkt es war nicht schweer den Verfaßer der Ankündigung der Dunz. zu errathen. Ein so warmes und volles Herz für die gute Sache, so sehr viel Vernunft in der Ausführung und ein so festlicher Ernst ließen mich nicht lange im Zweifel.

Ich habe Vossen seit seiner Zurükkunft von der Meße noch nicht gesprochen; es soll mir aber lieb seyn die Ausgabe der neüen Stüke, die man ihm geschikt hat befördern zu helffen. Hr. Geßner hat mir seine Idyllen geschikt. Wenn Sie ihn sehen, so bedanken Sie sich in meinem Namen vorläuftig, ich werde ihm selbst schreiben. Seine Prosa ist mir die meiste Zeit so gekünstelt Klangreich und scheinet der Einfallt des Inhalts nicht allemal ganz angemeßen. Eben so gehen auch ofte die Gedanken, Empfindungen und Ausdrüke von der wahren Einfallt zu weit ab. Einige Stüke finde ich vollkommen schön. Andre schlecht und gezwungen, wie z. E. Damon und Phyllis p. 44. und noch andre aus diesen beyden Vermischte. Das äußerliche an Druk und Zierrathen ist unverbeßerlich. Von Dr. Zimmermans Abhandlung über den Erdbeben weiß ich gar nichts. Ich fürchte bald, daß die Schrifften hierüber nun eben so werden Mode werden, wie vor einiger Zeit die über die Elektricität. Es sind zwey Theile von Ramlers Batteüx heraus. Ich finde immer was sehr Kleines in seiner Critik und außer dem Kleinen noch etwas lächerlich geziertes. Ich werde in meinem Dictionaire zeigen, daß das Principium des Batteux kein principium ist. Ich hoffe, daß mein Werk dem Geschmak keinen geringen Ruk geben soll. Adieu. Jezt eile ich meiner Wilhelmine entgegen. Das zweyte Wort, das ich ihr sagen werde wird von Ihnen seyn.

Sulzer

den 5 Junij

Nächstens sollen Sie Nachricht von meiner Subscription auf die Ausgabe Schwäbischer Dichter haben. Die Fabeln u. Romanzen sind von Gleim. Von den erstern finde ich kaum 2 gut.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.

Anschrift

Herrn Profeßor Bodmer des Großen Raths p. in Zürich.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Bodmers auf der Umschlagseite: »den 21 Jul. durch Hr. rathshr. Rahn empfangen./ placius. ille qui Catalogum plagiarorum scripsit composuit poema de Christoph. Columbo, quid Hamburgi 1660 vulgatum est/ Wer ist autor der hollsteinischen Streits./ Wer ist autor der Bodmerias?«. – Siegel.

Eigenhändige Korrekturen

nicht allemal ganz
nicht ⌈allemal⌉ ganz
schlecht und gezwungen
schlecht ⌈und gezwungen

Stellenkommentar

Brief an Hrn. Rthr. Rahn
Sulzers Schreiben an Johann Heinrich Rahn (ZB, Ms Z II 609).
an Druk und Zierrathen
Salomon Geßners Idyllen waren sehr aufwendig mit Kupfern und Vignetten gestaltet.
Ramlers Batteüx
K. W. Ramler, Einleitung in die Schönen Wissenschaften. Nach dem Französischen des Herrn Batteux, mit Zusätzen vermehret, 1756–58.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann