Brief von Februar 1756, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: Februar 1756

Werthester Herr und Freünd.

Ich habe ihren lezten Brief nebst dem Päkgen, vor einigen Tagen richtig erhalten. Es thut mir recht leid, daß meine Bestellung auf der Michaelis Meße so übel ausgerichtet worden, daß Sie nichts als einen leeren Brief von mir bekommen haben. Ihr Vorschlag wegen der Ausgabe der alten Dichter findet hier mehr Beyfall, als ich geglaubt, und so bald Sie es verlangen, werde ich anfangen Subscriptionen zu samlen. Es sind einige Hrn. Hier, welche ihre 12 Exempl. zwahr nicht verkauffen, aber doch alle für sich behalten und bezahlen wollen, und man macht mir Hoffnung in Frankf. an der Oder auch verschiedene Subscribenten zu finden, so daß ich in meinem Bezirk vielleicht 20 aufbringen werde.

Warum sprechen Sie mir von der Dunciade als von einem Werk deßen Verfaßer Sie nicht kennen, da ich zuverläßig weiß, daß es Hr. Wieland ist. Gottsched hat Leßingen dies Werk Schuld gegeben. Viele freüen sich darüber, aber vielen ist es auch nicht recht, weil sie sich fürchten, man meint sie mit, wenn man von andern Dunsen spricht.

Hr. Wieland ist glüklich wenn er bey Ihnen bleiben kann. Ich habe mich durch das Gerüchte, daß er eine Condition suche verführen laßen, ihm eine anzubieten. Seine Sympathien haben meinen Völligen Beyfall. Es ist eine sehr angenehme Wendung, die Wahrheit zu predigen.

Ich wünschte wol, daß man einmal bey Gelegenheit dem Prof. Michaelis in Göttingen, wegen seinen gezierten und läppischen Recensionen in den Göttingischen Zeitungen, etwas auf die finger Klopfte. Er hat die Nicolaische Briefe mit viel Kindischer affectation herausgestrichen. –

Eine Gesellschafft vornehmer Damen in Berlin stifften eine Subscription dem Hrn. Gellert ein jährliches BeyfallsGeschenk von 200 Rthlr.. zu geben. Darunter habe ich doch eine angetroffen, welche den Noah, Meßias p. eben so gerne liest, als das liebste. Aber an dem Hofe, därff man sich so etwas nicht merken laßen.

Ich schreibe an einem Dictionaire des beaux arts. Ein Werk dieses Nahmens von Mr. La Combe hat mich dazu veranlaset. Wenn Sie sich wollten, bey müßigen Stunden mir ihre Urtheile über die deütsche und andrer Nationen Dichter aufzuschreiben, so würden Sie mir einen theil der Arbeit erleichtern.

Ich muß auch einen Artikel machen von den Schwäbischen Poeten, und die vornehmesten davon à parten Artikeln unter ihren Nahmen anführen, dazu könnten Sie mir am besten Helffen. In müßigen Stunden überseze ich Artikel aus des Lacombe Dictionaire und wenn ich mehr Zeit habe, so arbeite ich eigene Artikel aus. Hr. Wieland könnte mir auch sehr behülfflich seyn, in Ausarbeitung einiger Artikel. Z. E. Wolklang, Reim, Hexameter, Vers, ingleichen in einigen Critischen Artikeln, die mehr das Wesen der Dichtkunst, als die Mechanik des Verses angehen. Ich denke in ein paar Jahren, wenn ich nur meine Nebenstunden dazu anwende mit einem solchen Werk fertig zu werden.

So viel habe nur in Eil schreiben können. Wenn Sie die Hrn. RathsHr. Rahn und Statrichter Meyer sehen, so sagen Sie Ihnen, daß ich ihre Hrn. Söhne hier gesehen habe und daß ich mir eine Freüde daraus machen werde Ihnen zu dienen. Meine Willhelmine empfiehlt sich Ihnen und dem Sänger Abrahams.

Sulzer.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Anonym Über Friedrich den Großen I 1807, S. 355 (Auszug).

Anschrift

Monsieur Le Professeur Bodmer

Vermerke und Zusätze

Vermerk Bodmers am oberen rechten Rand der ersten Seite: »februar 1756«. – Siegelreste.

Eigenhändige Korrekturen

davon à parten
davon xxx à parten
ich mehr Zeit
ich beß mehr Zeit

Stellenkommentar

Gottsched hat Leßingen dies Werk
Vgl. Lessing an Ramler, Leipzig, 11. Dezember 1755: »Haben Sie die Nicolaischen Briefe von dem jetzigen Zustande der schönen Wissenschaften nunmehr gelesen? Man schreibt mir von Berlin, daß Herr Prof. Sulzer mich für den Verfasser halte. Ich bitte Sie, ihm dieses auszureden. Ich habe eben so viel Antheil daran, als an der Dunciade, die Gottsched hier mit aller Gewalt auf meine Rechnung setzen lassen will. Und an dieser wissen Sie es gewiß, daß ich völlig unschuldig bin.« (Lessing Briefwechsel mit Ramler, Nicolai und Eschenburg 1794, S. 7).
wegen seinen gezierten und läppischen Recensionen
Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 5. Januar 1756, St. 3, S. 17–20. Fälschlicherweise wurde hier nicht Friedrich Nicolai, sondern Gottlob Samuel Nicolai als Verfasser der Briefe angegeben.
schreibe an einem Dictionaire des beaux arts
Sulzer begann bereits 1756 mit der Arbeit an seiner AT, die allerdings erst 1771/1774 erschien.
die Hrn. RathsHr. Rahn
Johann Heinrich Rahn (1709–1786), der von 1748 bis 1786 Rathsherr war, und der Stadtrichter und Fabeldichter Ludwig Meyer von Knonau.
ihre Hrn. Söhne
Hans Heinrich Rahn-Heß (1734–1796) und Caspar Meyer von Knonau. Zum Aufenthalt von Hans Heinrich Rahn-Heß in Berlin, wo er nicht nur mit Sulzer philosophische Studien betrieb, sondern sich auch bei Lucas Friedrich Langemack juristisch fortbildete, siehe Schnyder-Sprofs Familie Rahn 1951, S. 324 f.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann