Werthester Herr und Freünd.
Ich muß Ihnen nur deßwegen wieder einmal schreiben, damit Sie nicht aus der Gewohnheit kommen sich meiner zu erinnern. Durch die Meßleüte habe ich Ihnen zulezt geschrieben und, ich weiß nicht mehr was, dabey geschikt. Neülich habe ich Sie durch Hrn. Chorh. Breitinger grüßen laßen. Seit diesem habe ich Gelegenheit gehabt dem Hrn. Von Voltaire von dem Meßias zu unterhalten. Was ich aber vermuthet habe ist eingetroffen. Was Haller mir überhaupt von den Franzosen gesagt, [→]qu’ils sont trop impies pour gouter un poème de cette nature, das habe ich an Voltaire mit der größten Gewißheit erfahren. Er wollte sich nicht nur nicht bereden laßen die Französische Übersezung zu lesen, sondern er spottete darüber, daß man ihm ein Gedicht von geistlichem Inhalt vorlegen dörffte. Er sagte: er dürffte es eher nicht annehmen, bis er mir etwas anderes von gleichem Schlag dagegen geben könne; er erwarte aus Dennemark ein Gedicht über den Engel Gabriel und die heil. Jungfrau, so bald es gekommen, wollen wir diese Gedichte gegen einander auswechseln. Unter anderm sagte er mir auch diese spöttische worte. [→] Je connois bien le Messie, c’est fils du père éternel et le frére du St. Esprit et je suis son tres humble serviteur, mais prophane, que je suis je n'ose pas mettre la main a l'encensoir p.
Ich konnte auch wol sehen, daß er von Milton nicht beßer dächte. Er sagte es wäre kein neüer Meßias nöthig, da des alten (Miltons Pardies) niemand lese. Ich glaube fast, daß er bloß aus Furcht vor den Engländern Hochachtung für Milton zeiget.
Unlängst traff er eine Dame, mit welcher er in genauer Freündschafft steht, über den Gedichten des Hrn. Hallers an, und bat sie sie möchte ihm doch sagen, was an diesen Gedichten wäre, er höre so viel Werks davon machen. Die dame übersezte ihm gleich mundlich das, was ihr am besten gefiel. Voltaire ruffte einmal über das andre aus ah que cela est pitoyable! und konnte sich nicht genug wundern, daß man an so elendem Zeüg Geschmak finden könne.
Es geht die Rede, daß Voltaire sein comisches Helden Gedicht la pucelle genennt werde druken laßen. Er hat hier schon vielen es vorgelesen, es soll aber entsezliche Spöttereyen über die Religion enthalten.
Von unsern deütschen Dichtern habe ich nichts neües zu melden. Sie werden vermuthlich von Dr. Hirzel schon gehört haben, daß der Hr. v. Kleist nunmehr eine Compagnie bekommen. Ich vermuthe, daß er künftiges Jahr unter dem Nahmen der Werbung eine Reise nach der Schweiz thun wird. Es würde ihnen mit diesem nicht gehen, wie mit Klopstoken.
Es giebt hier Leüte, die den Joseph dem Noah weit vorziehen. Ramler hält jezo diese beyde Gedichte für ein Magazin guter Gedanken und Bilder. Wie geht es denn dem Noah. Wird er bald die Gestallt haben, die sie ihm geben wollten. Därff ich Ihnen einen guten Freünd recommendiren, wenn es darum zu thun ist, einen Verleger zu suchen? Der welcher die drey ersten Gesänge verlegt hat, liegt mir stark an, ihm den Verlag des ganzen Gedichts zu verschaffen.
Der junge Hr. Escher ist hier schon einmal krank gewesen, befindet sich nun aber beßer und hat sein Quartier bey mir genommen. Er ist mehr, als die meisten jungen Züricher die ich hier gesehen habe zu seyn pflegen, und ich hoffe, daß er mit Nuzen hier seyn wird.
Ich habe endlich von Hrn. Orell die verlangten Bücher erhalten und bin also völlig von ihm geschieden.
La Mettrie hat eine Schrifft unter dem Titel L'art de jouir herausgegeben, darin er Hallers Doris übersezt, ohne zu sagen, daß er es jemandem abgeborget habe.
Leben Sie wol, mein werthester Hr. u. Fr. Ich verbleibe
Ihr ergebenster Dr
Sulzer.
den 30 Junij 1751.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – E: Körte 1804, S. 156–158 (Auszug).
A Monsieur Bodmer, Membre du Conseil Souverain & Professeur à Zurich.
Vermerk Bodmers auf der Umschlagseite: »parcifal. Schrieb ihm medio septembri 1751 durch die post. Sandte ihm 3. Octob. die 3 ersten Critone durch Franzoni.«