Brief vom 30. Juni 1751, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 30. Juni 1751

Werthester Herr und Freünd.

Ich muß Ihnen nur deßwegen wieder einmal schreiben, damit Sie nicht aus der Gewohnheit kommen sich meiner zu erinnern. Durch die Meßleüte habe ich Ihnen zulezt geschrieben und, ich weiß nicht mehr was, dabey geschikt. Neülich habe ich Sie durch Hrn. Chorh. Breitinger grüßen laßen. Seit diesem habe ich Gelegenheit gehabt dem Hrn. Von Voltaire von dem Meßias zu unterhalten. Was ich aber vermuthet habe ist eingetroffen. Was Haller mir überhaupt von den Franzosen gesagt, [→]qu’ils sont trop impies pour gouter un poème de cette nature, das habe ich an Voltaire mit der größten Gewißheit erfahren. Er wollte sich nicht nur nicht bereden laßen die Französische Übersezung zu lesen, sondern er spottete darüber, daß man ihm ein Gedicht von geistlichem Inhalt vorlegen dörffte. Er sagte: er dürffte es eher nicht annehmen, bis er mir etwas anderes von gleichem Schlag dagegen geben könne; er erwarte aus Dennemark ein Gedicht über den Engel Gabriel und die heil. Jungfrau, so bald es gekommen, wollen wir diese Gedichte gegen einander auswechseln. Unter anderm sagte er mir auch diese spöttische worte. [→] Je connois bien le Messie, c’est fils du père éternel et le frére du St. Esprit et je suis son tres humble serviteur, mais prophane, que je suis je n'ose pas mettre la main a l'encensoir p.

Ich konnte auch wol sehen, daß er von Milton nicht beßer dächte. Er sagte es wäre kein neüer Meßias nöthig, da des alten (Miltons Pardies) niemand lese. Ich glaube fast, daß er bloß aus Furcht vor den Engländern Hochachtung für Milton zeiget.

Unlängst traff er eine Dame, mit welcher er in genauer Freündschafft steht, über den Gedichten des Hrn. Hallers an, und bat sie sie möchte ihm doch sagen, was an diesen Gedichten wäre, er höre so viel Werks davon machen. Die dame übersezte ihm gleich mundlich das, was ihr am besten gefiel. Voltaire ruffte einmal über das andre aus ah que cela est pitoyable! und konnte sich nicht genug wundern, daß man an so elendem Zeüg Geschmak finden könne.

Es geht die Rede, daß Voltaire sein comisches Helden Gedicht la pucelle genennt werde druken laßen. Er hat hier schon vielen es vorgelesen, es soll aber entsezliche Spöttereyen über die Religion enthalten.

Von unsern deütschen Dichtern habe ich nichts neües zu melden. Sie werden vermuthlich von Dr. Hirzel schon gehört haben, daß der Hr. v. Kleist nunmehr eine Compagnie bekommen. Ich vermuthe, daß er künftiges Jahr unter dem Nahmen der Werbung eine Reise nach der Schweiz thun wird. Es würde ihnen mit diesem nicht gehen, wie mit Klopstoken.

Es giebt hier Leüte, die den Joseph dem Noah weit vorziehen. Ramler hält jezo diese beyde Gedichte für ein Magazin guter Gedanken und Bilder. Wie geht es denn dem Noah. Wird er bald die Gestallt haben, die sie ihm geben wollten. Därff ich Ihnen einen guten Freünd recommendiren, wenn es darum zu thun ist, einen Verleger zu suchen? Der welcher die drey ersten Gesänge verlegt hat, liegt mir stark an, ihm den Verlag des ganzen Gedichts zu verschaffen.

Der junge Hr. Escher ist hier schon einmal krank gewesen, befindet sich nun aber beßer und hat sein Quartier bey mir genommen. Er ist mehr, als die meisten jungen Züricher die ich hier gesehen habe zu seyn pflegen, und ich hoffe, daß er mit Nuzen hier seyn wird.

Ich habe endlich von Hrn. Orell die verlangten Bücher erhalten und bin also völlig von ihm geschieden.

La Mettrie hat eine Schrifft unter dem Titel L'art de jouir herausgegeben, darin er Hallers Doris übersezt, ohne zu sagen, daß er es jemandem abgeborget habe.

Leben Sie wol, mein werthester Hr. u. Fr. Ich verbleibe

Ihr ergebenster Dr
Sulzer.

den 30 Junij 1751.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – E: Körte 1804, S. 156–158 (Auszug).

Anschrift

A Monsieur Bodmer, Membre du Conseil Souverain & Professeur à Zurich.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Bodmers auf der Umschlagseite: »parcifal. Schrieb ihm medio septembri 1751 durch die post. Sandte ihm 3. Octob. die 3 ersten Critone durch Franzoni

Stellenkommentar

durch Hrn. Chorh. Breitinger grüßen
Nicht ermittelt. Aus dem Jahr 1751 sind nur ein Brief Sulzers vom 21. Februar sowie ein undatiertes Schreiben an Breitinger überliefert. In dem Schreiben vom 21. Februar geht Sulzer auf den Streit zwischen Bodmer und Klopstock ein und berichtet, »daß Gottsched sich darüber sehr lustig soll gemacht haben«. Auch der undatierte Brief hat Klopstock zum Thema (vgl. ZB, Ms Bodmer 22.43). Grüße an Bodmer finden sich in beiden Schreiben jedoch nicht.
qu'ils sont [...] nature
Übers.: »dass sie zu ungläubig sind, ein Gedicht dieser Natur zu schätzen.«
Je connois [...] l'encensoir
Übers.: »Ich kenne den Messias gut, er ist der Sohn des ewigen Vaters und der Bruder des Heiligen Geistes, und ich bin ein sehr bescheidener Diener, aber profan, sodass ich es nicht wage, die Hand ans Rauchfass zu legen.«
ah que cela est pitoyable!
Übers.: »Oh, wie erbärmlich ist das!«
unter dem Nahmen der Werbung
Kleist, dem am 5. Juni 1751 eine Kompanie unterstellt worden war, hielt sich zur (illegalen) Anwerbung von Soldaten von Juni 1752 bis Januar 1753 in Zürich auf (vgl. Lütteken Ewald von Kleist in der Schweiz 2010). Vgl. auch Kleists Brief an Gleim vom 6. Juni 1751: »Von meiner Werbung wird dieses Jahr nichts, weil ich wol hoffentlich innerhalb ein paar Tagen eine Compagnie haben werde, und dieselbe also das erste Jahr recht kennen lernen und in Stand setzen muß. [...] Künftiges Jahr aber gehe ich gewiß nach der Schweiz auf Werbung. Ihr aber – verstehe ich wohl. Sie meinen entweder, daß es mir wie Klopstocken gehen wird, oder dass ich mich zu viel mit, Joseph, der Sündfluth und mit allen h. Engeln und Teufeln herumschlagen und mich ennuyiren müssen, oder daß ich bei meiner persönlichen Bekanntschaft verlieren werde« (Sauer (Hrsg.) Briefe von Kleist 1880, S. 199).
Schrifft unter dem Titel L'art de jouir
[J. O. de La Mettrie], L'Art de jouir, 1751 mit dem fiktiven Erscheinungsort »Cythère« gedruckt. Im selben Jahr erschien eine deutsche Übersetzung unter dem Titel Die Kunst, die Wollust zu empfinden. Die hier vorangestellte französische Widmung (»Zuschrift«) La Mettries an Haller wurde als ein Plagiat von dessen Ode An Doris verstanden, die La Mettrie, der Haller seit den 1740er Jahren immer wieder satirisch angriff, erotisch auslegte. Den Vorwurf des Plagiats stellte Lessing im Juniheft von Das Neueste aus dem Reich des Witzes auf, wo er La Mettries L'art de jouir besprach und ihn der Pornogafie beschuldigte. Vgl. Jauch (Hrsg.) Philosophie, Ironie und Ästhetik bei La Mettrie 1998, S. 364–385. – Lacher Lessing und La Mettrie 2005.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann