Mein werthester Herr und Freünd.
Dero geehrtestes vom 6 Christmonat, habe vorgestern mit der Nachricht erhalten, daß das Päkgen, welches Sie durch Hrn. Escher geschikt ist abgegeben worden. Ich kann ihnen nicht sagen, mein werthester Hr. und Freünd, wie sehr ich dero Gütigkeit gegen mich verehre, und wie leid es mir deßwegen ist, daß ich mir von ihnen einige wol verdiente vorwürffe muß machen laßen, die mich ganz beschämen. Ich bin auch einer von denen, die den neüen Sittenmaler von ihrer Gütigkeit bekomen und dazu stille geschwiegen, und auch ich bin mit Hr. Langen schuld daran, daß Sie kein Exemplar der Freündschafftl. Briefen bekommen, weil sich einer auf den andern verlaßen hat, daß er es schiken würde. Ich denke, das beste ist, daß ich mich den geraden weg selbst schuldig gebe, und Sie versichere, daß ich ins künfftige ihrentwegen weit aufmerksamer seyn, oder vielmehr meine Aufmerksamkeit nicht mehr werde einschlaffen laßen.
Der Hr. v. Hagedorn hat mir ein Paket für Sie geschikt, welches nun in Leipzig ist und dem Fuhrman Crepp wird übergeben werden. Jezo schicke ich noch einen Brief von dem Hrn. v. Hagedorn, mit den Freündschafftlichen Briefen an Sie, welche demselben Fuhrman werden übergeben und wol recommendirt werden. Noch lege bey, Hrn. M. Meyers Beurtheilung der Gottsched. Dichtkunst.
Ich arbeite daran, daß Hr. Lange mit dem Hrn. v. Hagedorn näher bekannt wird. Dieser leztere würde ihm gewiß nüzlich seyn. Der WeltBürger ist neü aufgelegt. Die Zeit ist zu kurz, als daß ich ihn noch überschiken konnte, es soll auf Ostern geschehen. Diese Schrifft aber hat, so viel mir bekannt nicht den seel. Pyra sondern Lamprecht zum Verfaßer. Ich werde auch noch ein paar Gedichte von dem Hrn. v. Kleist beylegen. Jezo arbeitet er an einem größern Gedicht, das Landleben.
Der Hr. Mag. Kästner ist mir nicht sonderlich bekannt. Ich höre, daß er sich unterstanden ein schweeres Problema Mathematicum, das Hr. Eüler aufgegeben zu solviren, ein Freünd, dem ich traue und der es gelesen hält nicht viel davon. Er muß aber doch kein Anfänger seyn. Als einen Metaphysicum kenne ich ihn gar nicht. Ich habe die Leipziger Belustigungen nicht gelesen.
Hr. Sukro ist nicht mehr hier, er ist Profeßor in Coburg. Gleim, der ihn auch kennt, hält nicht sonderlich viel von ihm. Ich habe ihn wol hier auf den Straßen gesehen, aber niemal mit ihm gesprochen.
Den Sittenmaler halte ich über mein Lob zu seyn. Ich habe ihn schon zweymal in seiner neüen Gestallt gelesen und auch einigen FrauenZimmern zu lesen gegeben, die ihn mit Lust gelesen haben. Ich halte die meisten Stüke wenigstens für so original, als den Spectator. Eine meiner hiesigen Freündinnen hat verschiedene Stüke davon ins Französische übersezt, unter anderm auch das 8 Blatt des 1 Theils, welches von der Erziehung handelt.
Ich habe neülich bey Lesung einiger Tragedien von Sofokles die Anmerkung gemacht, daß es auch gut für unsre heütige Poeten wäre, wenn man aus den alten so viel herrliche Stellen sammelte, die wegen ihrer großen Einfallt und der puren Natur so sehr gefallen. So sind z. E. einige Stellen, wo von der Liebe zu den Eltern, von der Liebe zu einer Nachkommenschafft und andern solchen natürlichen Empfindungen gesprochen wird. Unsre heütigen Moden, machen die Poeten ganz anders von solchen Sachen sprechen, die deßwegen auch nicht so angenehm sind. Ich will mich ein andermal deütlicher Erklären.
Ich verharre
Meines werthesten Hrn. u. Fr.
ergebenster Diener JGSulzer.
Magdeb. den 5 Jan. 1747.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.
à Monsieur Bodmer tres celebre Professeur à Zurich.
Brief F. v. Hagedorns. – Ein Exemplar von [J. W. L. Gleim, S. G. Lange, J. G. Sulzer], Freundschaftliche Briefe. – Ein Exemplar von G. F. Meier, Beurtheilung der Gottschedischen Dichtkunst. – Einzelne Gedichte von E. C. v. Kleist.
Siegelausriss. – Siegelreste. Vermerk einer dritten Schreiberhand auf der Umschlagseite: »frco. Nurnberg.«