Brief vom 9. Oktober 1745, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Datum: 9. Oktober 1745

Hochedler, Hochgelehrter p.
Insonders Hochgeehrter Herr.

Dero zwey Schreiben vom 22 Aug. und vom 6 Herbstm. habe vor acht Tagen, mit dem Päkgen an Herrn Langen richtig bekommen. Den freündschafftlichen Liedern aber sehe ich noch entgegen. So bald ich sie bekommen, so werde nicht saümen, sie an Hrn. Langen und den Hr. von Hagedorn mit dem Misodème und den Freymüthigen Nachrichten zu schiken. Sie haben eine allzu große Meinung von mir wenn Sie glauben, daß ich im stande wäre den übeln [→]Geschmak in Deütschland vertreiben zu helffen. Weder meine Kräfte noch meine Geschäffte erlauben mir hieran zu gedenken. Das wenige von den Kleinigkeiten, so bis dahin von mir herausgekommen sind, ist die Frucht der müßigen Stunden, die ich in der Schweiz noch genoßen, und ich sehe nicht vor, daß ich, so lange diese Umstände währen, jemal etwas zusamen hangendes werde zu stande bringen können. Ich habe schon seit langer Zeit meine Gedanken auf einen Aufsaz von dem Nuzen der Scherzhafften Gedichte gerichtet, aber noch niemalen habe ich Ruhe genug gehabt meine Gedanken in Ordnung zu bringen. Sonst dünkt mich, daß das Reich des Tyrannischen Teutobochs seinen fatalen Periodum erreicht habe. Es sind nicht nur andere die dieses erkennen, sondern er selber hat gewiß bisweilen lebhaffte Empfindungen davon. Wenn ich mich nicht sehr betrüge, so habe ich in seiner Mine so wol als aus seinen Reden die Zeichen eines bösen poetischen Gewißens klar entdeket, und die übertriebene Prahlereyen, womit er so groß thut, geschehen meines Erachtens weniger aus Verstokung, als aus Überzeügung seines Elendes und aus Vorsehung seines nahen Falls, welchen er dadurch verhindern will. Aber es wird umsonst seyn. Bald werde ich Mitleiden mit ihm haben. Haben Sie die vorrede zu den übersezten Schrifften des Lucians gelesen? Da siehet man, wie er sich windet und krümmet um sein Ansehen aufrecht zu erhalten.

Hr. Lange fähret fort fleißig zu arbeiten, er wird viel gutes stifften, nichts gefällt mir so sehr, als seine Horazische Oden, die unser Gleim herausgeben wird. Neülich hat er eine Ode von der Freündschafft gemacht, in welcher er meiner gedenket. Dieses reizte mich auch etwas zu versuchen. Hr. Waser wird Ihnen meine Ode zeigen. Mit der Monat-Schrifft wird es wol noch eine Zeit lange anstehen, weil der Arbeiter zu wenig sind. Ich habe gedacht Hr. Lange hätte Ihnen die Nahmen der hällischen Bemüher schon entdeket, ich werde ihm deßwegen schreiben.

Die Satyren von Hr. Waser und Künzli sind sehr fein. Ich habe aber viel zu thun, wenn ich die Deütsche an ihren Vers will gewöhnen. Er ist allzu nachläßig. Ich habe Hr Langens Doris aufgemuntert diesen Spöttern zu antworten, sie schreibt eine gute Anakreontische Ode.

Gleich jezo erhalte die Davidischen Oden. Es ist Schade, daß er gereimt hat. Der Reim gefällt mir nicht mehr, seit dem ich Langens Horazische Oden ohne Reimen gelesen habe. Hr. Lange wünscht gar zu sehr einen Beytrag zu seiner Monat Schrifft aus der Schweiz zu haben. Wo mir recht ist, so haben E Hochedl. schon etwas versprochen.

Unser König hat wieder gesieget, aber auf eine verwegene und gefährliche Weise. Es ist besonders merkwürdig, daß er nicht den Umständen nach mit der ganzen Armee ist in die Pfanne gehauen worden. Man hofft hier noch immer auf den Frieden, aber ich besorge, daß die Hoffnung noch zu frühe ist. Die Armee bey Halle ist nun würklich über 30 000 Mann stark. Das Land wird hierherum gar zu sehr mit genommen. Wie glüklich ist unser Vaterland, wer es nicht erkennt, der komme hieher.

Ich verharre

Hochedler, Hochgelehrter p.
Insonders Hochgeehrter Herr.
E Hochedl. ergenster Diener
JGSulzer.

Magd. den 9 Oct. 45.

P. S. Ich erhalte indeßen noch ein Schreiben von Hrn. Lange, worinn er mir meldet, daß er ein Gedicht gemacht auf der Schlacht bey Friedeberg, die in Berlin gedrukt wird und eine Horazische Ode, die Siege Friedrichs betittelt die in Halle heraus kömmt. Wie viel kann man sich noch von diesem fleißigen Man versprechen. Seine Doris hat mir diese Anakreontische Ode geschikt.

Doris an Sulzern.
Freünd bükst du dich noch immer,
Und suchst noch immer Blumen,
Wie dich lezt Gleim gemalet,
Der dich so wol getroffen,
Daß wenn ich einen sehe,
Der auf den wiesen kriechet,
So sprech ich das ist Sulzer.
Suchst du noch immer Blumen?
Doch wenn du Blumen suchest
So siehst du keine Mädchen
Nun lauffst du nach den Bergen,
Und mißest ihre Höhen
Da findst du keine Mädchen.
Nun nimst du lange Röhren
Und siehest nach den Sternen,
Und mißest ihre Ferne.
Da siehst du auch kein Mädchen.
Tritt einmal in die Ebne
Und schau nicht in die Höhe
Und schau nicht in die Tieffe
Und schau nur in die Runde
Da wirst du Mädchen sehen,
Da wirst du fröhlich ruffen
Lebt wol ihr Berg und Sterne,
Lebt wol ihr bundten Auen
Hier find ich beßre Sterne
Hier find ich beßre Blumen.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Körte 1804, S. 25–27 (Auszug).

Vermerke und Zusätze

Vermerk einer weiteren Schreiberhand auf der ersten Seite: »Erster Brief«. – Bearbeitungsspuren (Rahmungen, Streichungen, Einkreisungen) mit rotem Stift.

Lesarten

mir
Textverlust. Ergänzung durch Herausgeber.
Geschmak
Textverlust ab »mak«. Ergänzung durch Herausgeber.
noch
Textverlust. Ergänzung durch Herausgeber.
wenige
Textverlust. Ergänzung durch Herausgeber.
herausgekommen
Textverlust ab »gekommen«. Ergänzung durch Herausgeber.
Schweiz
Texverlust ab »weiz«. Ergänzung durch Herausgeber.

Eigenhändige Korrekturen

Friedrichs betittelt
Friedrichs gen betittelt

Stellenkommentar

vorrede zu den übersezten Schrifften des Lucians
J. C. Gottsched, Vorrede. In: Ders. (Hg.), Lucians von Samosata Auserlesene Schriften, 1745.
Ode von der Freündschafft
Die Ode erschien 1747 in S. G. Langes Horatzische Oden nebst Georg Friedrich Meiers Vorrede vom Werthe der Reime, 1747, S. 146: »Erlaubst Du denn die andern zu nennen,/ Du Eyfersüchtiger, der Du mein Herze/ Tyrannisch liebreich herrschend bewahrest?/ Doch eifre nur./ Es kommt nun Dein Sulzer,/ Aus dessen schwarzen Augen die Treu,/ Und Schweizerische Redlichkeit lacht./ Er rührt mit ernsten Blicken die Seelen,/ Er rührt mit sanftem Lächeln die Herzen,/ Aus seinem Munde lehret Minerva;/ Sein forschend Aug mißt die Gestirne,/ Ihm zieret sich mit Blumen das Jahr,/ Ihm öfnet sich der Schatz der Natur.« Daneben ist Sulzer bzw. Langes Freundschaft zu ihm auch Thema in den Oden Auf das Gerücht, daß ein Adler den Einzug des Königs begleitet, an Hr. Sulzern und Die rechte Grösse, oder das Lob der Schweizer.
meine Ode
Beeinflusst von seinen Freunden Lange, Gleim und Ramler übte sich Sulzer in dieser Zeit im Verfassen von Oden. U. a. sind in dem unveröffentlichten Briefwechsel mit Gleim zahlreiche Oden und Odenentwürfe enthalten. Um welche Ode es sich hier handelt, konnte allerdings nicht ermittelt werden.
Satyren
Nicht ermittelt.
Davidischen Oden
[S. G. Lange], Oden Davids, oder poetische Uebersetzung der Psalmen, 1746.
König hat wieder gesieget
Schlacht bei Soor am 30. September 1745.
ergenster
Verschreibung Sulzers. Gemeint ist »ergebenster«.
Schreiben von Hrn. Lange
Schreiben Samuel Gotthold Langes nicht ermittelt. Vgl. S. G. Lange, Der Sieg bey Friedberg, Besungen im Jun. 1745. In: Ders., Horatzische Oden, 1747, S. 29–38. – Ders., Die Siege Friedrichs, besungen im September 1745. In: Ebd. S. 4–21.
Doris
Der vermutlich dem Schreiben ihres Mannes beigelegte Brief Anna Dorothea Langes mit der erwähnten Ode konnte nicht ermittelt werden. Allerdings sind Sulzers Antwort, ebenfalls in Form einer Ode, sowie weitere Briefe an Anna Dorothea Lange veröffentlicht in: S. G. Lange, Sammlung gelehrter und freundschaftlicher Briefe, 1770, Bd. 2, S. 336–350. Sulzers Ode findet sich auf S. 336.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann