Zürch den 21ten. VIIIb. 1777
Ich ergreife die Feder allein in dem Vorsaz mit Ihnen, mein Liebster, zu plaudern. Sie erwarten auch von dem Alten der achtzig Weinlesen gesehn hat, mehr nicht als geplauder. Die folliculaires sagen daß Homer in der odyssee den graubart verrathe; Wenn sie recht haben, so ist dieses eine seite an welcher ich dem grossen Griechen ähnlich seyn könnte. Ich habe von meinem siebzigsten bis zum achtzigsten jahre viel episches geschrieben, was den mann nicht verleugnet der gern Mährchen erzählt. Wenn Engel sie besucht, so hat er es Ihnen sagen können. Ich selbst darf Sie mit den Nahmen Sigowin, Hildebold, Adalbert nicht erschreken. Da ich noch mit dem Cörper angethan bin, ist es mir immer noch anständig zu essen und zu trinken, und es ist doch nicht unedler Hexameter zu machen. Doch ich habe auch etwas christlicheres gemachet, den Vater der Gläubigen. Mit diesem stük sollt ich meine poetische bahn beschlossen haben, daß man nicht von mir sage, wie von Wieland: er habe mit Abraham angefangen und mit dem Zaum des Maulthiers aufgehört. Der Morgenstern Lucifer ist nicht tiefer gefallen. Seitdem hab ich Orellen und Geßnern meine Odyssee gegeben, mein leztes werk. Ich muß bis Ostern leben, wenn ich sie im druk sehen soll. Eine lange frist des verwelkten lebens, um welche ich weder bitte noch sie ausschlage. Unser liebster Haller möchte gern noch 2 jahre haben seine bibliothecam medicam zu vollenden. Seine Tochter, die Frau Jennerin muste auf seinen Befehl zu mir kommen u. mich seiner liebe versichern. Der gute mann steht an der schwelle des Ausganges und arbeitet unter Schmerzen. Der alte Philosoph kann böse werden wenn die Amerikaner Vortheile erhalten, und er wird lustig wenn [→]Howe sie, obgleich nur in den Zeitungspapieren schlägt.
Unser liebe Bürgermeister hat wenig Erleichterung von dem Catether; doch ist sein Geist immer aufgeräumt und geschäftig. Er danket Ihnen sehr für Ihre Bemühungen. Beynahe mehr als seine krankheit machet ihm die populare gährung zu schaffen. Der Statrichter Bürkli und der professor Meister figurieren an der Stirne der Zeloten. Es ist wunderbar wie unsere Kannengiesser politik sprechen. Diese gährung ist eine schule. Sie wissen schon daß das Volk die gesezgebende Macht hat. Sie sind zu stark an der zahl, und Familiensöhne sind unter ihnen, daß man nicht strenge brauchen darf. Man verachtet und fürchtet sie, man mißtraut ihnen und man erweket ihr Mißtrauen. Sie verlangen daß wir ihnen den rechtmässigen Weg anweisen, wie die gemeinde ihr gesezgeberisches Recht auszuüben habe. Der geschworne brief schweigt davon, und wir fürchten wenn sie den Weg wissen, so gehen sie ihn... Da ich kaum mehr de hoc mundo bin, so seh ich die demarches von beyden seiten mit geseztem gemüthe. Ich sehe besorgnisse die nicht mehr Grund haben als Möglichkeiten. Ich sehe begierde Macht zu haben, ohne daß man für ihren Gebrauch Antwort gebe; Willen zu bessern ohne die Kräfte zu haben.
Wiewol ich von den leuten meiner mittlern lebensjahre ziemlich vernachlässigt werde, so macht es mir doch wenig mühe; meo sum pauper in ære. Ich gehe selten von haus, das haus doch drükt mich so wenig als die schneke die es auf dem Rüken trägt. Ich vergesellschafte mich mit mir selber indem ich mich in den papieren meiner Kindheit, meiner jugend, meines mittlern Alters, betrachte, und dann mich vielfältig nuanciert, doch immer denselben sehe. Die seltenen besuche, die ich empfange, sind desto empfindsamer. Empfindsam war da dise tage der Autor de l'origine des principes de la religion aus Paris zu uns kam. O qui complexus! Durch seine Erzählungen kommen Thomas, D'alembert, Diderot, und alle frivolités der frivolen Nation vor meine stirne. –
Ich bedaure Lambert, wie ich Leibnizen beweint haben würde! –
Unser grosse Lavater steht zu der Regierung, indessen daß seine Gläubigen sich bey der oppositionspartey auszeichnen. Er soll dem doctor Runk einen fulminanten brief zugeschikt haben; diser hat ihn, sagt man, bey unserm guten Antistes verklagt, und gebeten daß er ihn zu mehr Bescheidenheit anweise.
Dises sind nun die geschichten die mich ein wenig in bewegung sezen, daß ich nicht stagniere. Wie kleinlich, wie leblos gegen die Vaterfreuden, wenn die Kinder ihrer Kinder kosend um Sie herumhüpfen! Diese Wollust ist mir abgeschnitten; dennoch klag ich den frühen Tod der meinen, vor der Entfaltung, nicht:
Was für thorheiten hätte die blinde liebe verursacht?
O sie hätten vielleicht mein herz vom himmel entwöhnet,
Mich gemachet zum kind; Gott nahm sie den Vater zu retten.
Wenn ich ewig ihm danke, wie ist des Dankes so wenig!
Mit frömmern gedanken kann ich sie nicht umarmen; ich seze doch hinzu, Ihnen ihre Umstände desto empfindlicher zu machen:
[→]Mir sind die Vaterfreuden geraubt, der Anblik der Tröster
Meines Alters, der sonst die Ältern mit wollust erfüllet.
Niemand hat seinen Athem aus meinen Lenden empfangen,
Der nach meinem begräbnisse lebte den stamm zu erhalten.
Süsses Band mit der Zukunft das uns untadelich schmeichelt!
Mir bist du nicht gegönnt, mit mir stirbt, was irdisch an mir ist.
Leben Sie ewig wohl!
Ihr Ergebenster
Bodmer
p. s. Hr. Rathsherr Hirzel hat mich sehr gebeten daß ich Ihnen seine söhne anbefehle; aber vermuthlich sind sie schon bey Ihnen gewesen. Ich sagte ihm daß sie Ihnen schon empfohlen wären weil sie seine söhne wären. –
Verzeihen sie meinem Neveu sein ungestümes Verlangen Ihr portrait zu haben.
Ihr neveu, Hr. Brunner, hat für die Oberkeitliche Erkenntnissen ein paar reden auf seiner Zunft perorirt, welche mehr von seinem guten herzen, oder wenn sie wollen, von seiner anhänglichkeit an das Rathhaus Zeugniß ablegen, als von seinen politischen Einsichten.
Unser Biderman Schuldheß ist munter; der Schuldheß vom Rechberg schwazt zugunst des Raths wie ein Burgersdicus oder Salmasius. Dise Herren beweisen, daß man eine Oberkeit, einen Herrn, haben müsse, wie wenn sie selbst daran zweifelten denn kein mensch, kein Tropf von den unsern leugnet es. –
Meister der professor hat den zweiten theil über die schwärmerey, er tritt ihr recht auf den Kopf. Steinbrüchel, Tobler schweigen. Man fraget ob aus Feigheit oder bequemlichkeit.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 20.12. – A: ZB, Ms Bodmer 13b. – E: Zehnder-Stadlin 1875, 450–451.