Mein Liebster.
Es ist mir ein schmeichelhafter, angenehmer gedanke, daß Sulzer an diesen Dingern Geschmak finden wird, dem sonst nicht nur Schnepfen und Rebhühner, sondern auch Julius von Tarent; Stella; Galotti, nicht schmecken. Julius von Tarent, der doch die Einfachheit der seele dem parterre beweiset, weil die last, die diesen tag auf seiner seele lag, ein zusammengeseztes wesen hätte gedrükt, daß die Fugen der theile nachgelassen, und der staub sich zum staube versammelt hätte! Sulzer verübelt dem Alten, der die achtzigste Weinlese gesehn hat, nicht daß er
– – [→]in den sommerlauben gewandelt,
Wo der verehrer Lauras die blümigten Kränze gewunden; –
Sie erlaubt mir die Muse der alten provence aus den dunkeln mönchischen Cellen in unsere rosenfarbene, jungfräuliche Zeit zu bringen, in welcher unsere Heinse liebäugeln wie theatercoketen, und die Jacobi ihr Lächeln vor dem Spiegel üben; während daß Braga mit menschenblute beschmirt, die Kretschman in heilige Trunkenheit wieget.
Sulzer machet mir nicht vorwürfe, die selbst Longin dem guten Homer gemachet hat, daß er in der μνηστηροφονίᾳ zu dem plauderer, dem graubart hinabgesunken sey! Wenn ich sage:
– [→]Ob ihnen das spiel der liebe geziemte
Möchte man fragen, –
– – Wie kläglich Said sich grämte
Lag bey Abdallas Kind der Margraf darum nicht unsanfter.
Wenn Sulzer böse wäre, mit welchem Rechte dürft er mir freilich zurufen,
[→]– – In mare nemo
Hunc abicit sæva dignum verāque Charybdi,
Fingentem immanes Læstrigonas et Cyclopas?
Tam vacui capitis populum phæaca putavit?
– – Ich sang doch nicht mit der Muse
Erstgeborenen zu ringen, [→]wie Bürger ringt und mit ihm ringt!
Wie Israel mit Engelskräften rang‡
Und sprach: dich laß ich nicht du seyst dann mein.
Das genie ist mir nicht gegeben, dem Heinse huldigt, und rühmt, daß es alle seine werke hervorbringe in liebe, leben, und feuer, nicht mit Zirkel, Lineal, und Compaß.
Ich kenne auch das conventionelle nicht, von dem die genialen dichter erzählen, daß es eigentlich der innere Kreis der Kunst sey.
Sie haben mir viel zu verzeihen, und sie verzeihen mir viel; aber werden die männer Gottes, die auf gemeinschaft mit Gott auf Erden warten, mir auch verzeihen, daß ich den Jüngling, der nach Erscheinungen schmachtet, durch Abraham bestrafen lasse? Wird man mir vergeben, daß ich Macaria sang, nachdem ich Isaak gesungen hatte? Wird man es nicht profan heissen, daß ich Isaaks, des sohnes Abrahams, Willigkeit, Gelassenheit, Stille in die seele der Tochter Herkules lege,
– – [→]die ihre brüder zu retten
Muthig, aus eigenem Trieb die schönen jungfräulichen Glieder
Auf den Altar gebükt und ohn Erschüttern ihr blut sah
Fliessen.
Der Kammerer von Küßnach hat es mir um der typischen Anspielungen willen verziehen, die er in meinem Vater der Gläubigen zu erbliken glaubte.
Wenn es Ihnen, mein Liebster, in den Sinn kömmt diesen Vater, der nicht ein gewöhnlicher sondern der Gläubigen Vater ist, zu lesen, so wünscht ich daß sie zuvor unsers apostolischen Lavaters Aufopferung Isaaks gelesen hätten.
Ich habe leider! seit weniger zeit noch mehr autorsünden gesündigt, und Einige gegen Klopstok und gegen Lessing, die ich mich enthalte Ihnen noch zu beichten, nachdem das Sündenregister schon so groß ist, daß ich zuerst von diesen absolviert seyn möchte.
Leben sie ewig wohl. Ich umarme Sie
Ihr
Bo.
Im November 1777.
In sinum tuum!
‡sind Bürgers Worte, der die Ilias in zehnsylbigten Verse übersezt.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 20.12. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.