Zürch den 30sten Nov. 1776.
Ich bin noch da und desto lieber, weil Sie mein theuerster selbst noch da sind. Der rechtschafene Schaffhauser Jezeler hat uns erzählt daß sie sich verjüngt haben.
Ich dulde die Altersschwachheiten, die noch niemals unausstehlich waren. Sie haben mir doch von den Reitzen der publiken Geschäfte fast alles weggenommen. Es scheint aber nicht daß die kalten jahre mein Interesse an literatur dämpfen mögen. Lavater, Wieland, Klopstok halten mich immer noch in irdischen Bewegungen. Lav. hat [→]einen Waffenträger unter unsern jüngsten Ministern bekommen; nahmens Häfeli, der an unverschämtheit die unverschämtesten übertrift. Er hat sich erlaubt Geßnern zu buben zu gesellen. Er hat das gerippe Deismus (ich brauche seine Sprache) zu Gott aufgestuzet und zu – Tod; Er hat eine henkersgeissel, mit welcher er izt Christus Verleugner, die Semler, Teller – dann die männer peitschet, die im Lande der Kunst geometrisierend umher reisen, oder über die Nasewärzchen philosophieren. Wieland, der niederträchtige, hat eine brochure von ihm in seinen Merkur eingetragen. Man siehet ihn als einen aufblühenden Lavater an. Lavater hat immer die bewunderung der jungen geistlichen, die er nur mit dem Verfasser des Antipopen theilet.
Unser Kirchenhaupt hat den Überfluß von Indulgenz, allen bombast Lavaters zu verzeihen. Ich sage Bombast, weil ich seinen theologalen unsinn nur von der seite der meteorologie betrachte. Vor einigen Wochen fiel ich in Lavaters Ungnade. Eine brochure kam nach Zürch, betitelt: Johann Caspar Lavaters neue philosophische bluttheologie. Lavaters zwölf Sätze, in den manuscripten für Freunde gedrukt, in welchen er die Verbesserung der Seele durch feste und flüssige theile eines organischen körpers, der gespeiset wird, behauptet, werden da mit mehr Ernst beurtheilt, als das non-sensicalische Zeug wehrt ist. Vor der beurtheilung stehet eine vorrede mit einiger Laune. Unter anderm wird gesagt, ein Verfasser müsse sich in die Gedanken nehmen daß er der Worthalter der Wahrheit sey, er müsse sie sprechen wenn er gleich vorhersehe daß er damit den Tartufe beleidige. Es kam Lavatern in den kopf mich unwürdigen für den verfasser diser vorrede anzusehn und mir zu gleicher zeit zu melden daß sie eine Büberey sey. Ich kam darüber weniger in bewegung als der Tartufe gewöhnlich kömmt. Ich weis nicht ob er mich von dem Verdacht entlassen hat, oder ob er in seiner ätherischen Erhöhung dem verehrungswürdigen Greisen, dem Vater Bodmer, selbst Büberey verzeihet. Er bringt immer alle freunde zu mir, die zu ihm kommen.
Sie, mein lieber, haben ein paar stunden vergnügen verlohren, wenn sie Selkovs briefe nicht gelesen haben. Hottinger ist der Verf. Unsern Zürchern hat alles bosheit, persönliche züge, geschienen; man hat die orationem moratam für des autors meinung genommen. Selbst das haupt unserer Kirche hat ihn in dem synodo dafür bey alle dem überflusse seiner Indulgenz apostrophirt.
Ich hatte bisher das pandæmonium das doctor Zimmermann in unserer guten Zürch erblikt hat, für die Versammlung schöner weisser Geister gehalten; izt werd ich zweifelhaft ob es nicht in ein schwarzes pandæmonium ausarte.
Ich könnte hier des Attentats eines schwarzen Geistes gedenken, der den communionwein beym grossen Münster verfälscht hat. Die ersten Communicanten, die prediger und Chorherren sind, hatten die gegenwart des geistes nicht das entheiligte Amt zu unterbrechen. Lavater hat zwo predigten auf den giftmischer declamiert und gefluchet, wie zu declamieren und zu fluchen ein Apostel Mühe gehabt hätte. Dem thäter ist das incognito gelungen. Einige wollten die Übelthat für profanen muthwillen junger Voltaires halten.
[→]Steinbrüchel, der die gute sache bey uns behaupten könnte steht am Rande des Grabes.
In Schwaben wittert geschmak und literatur. Ein Rhapsodist, der in den grossen städten die Messiade declamirt, hat jedermann für sie in Entzükung gesezt. Er hat realisirt was ich vor zwanzig jahren in Edward Grandisons Geschichte von Fridolin gedichtet hatte. Aus Bayern selbst erscheinen Hoffnungen.
Unser Breitinger hat Semlern unser lavaterisches Elend geklagt, und Semler ihm hingegen die Evocationem ad curiam ratisbonensem. Wir leben in den Zeiten, welche die Epistolas obscurorum virorum nothwendig macheten.
Unser alter Homilet von Küsnach, mein Camerad ab ovo hat sich verjüngt seitdem der König Nekern zu seinem Finanzrath erhoben hat, der seines Sohnes Vertrauter der seele ist. Er stellt sich Aussichten vor die nicht ganz Erscheinungen in Wolken sind.
Doctor Hirzel sieht mich nicht mehr. Ich hab ihm den Possen gethan, daß ich weder seine Medicamente noch seine Gespräche nöthig habe. Ich befleissige mich, jeden menschen zu entbähren der mich entbähren kann.
Wird Klopstok mir vergeben, daß Adam in meinen armen freudiger gestorben ist, und daß Salomo sich aus Molochs priester in den sohn Davids verwandelt hat? Ich gebe dieses Stük nicht Ihnen, mein Lieber, sondern der Frau Grafen in Dresden, der Tochter ihrer Mutter, der Winterthurerinn. Wägelin hat mir mit seiner Introduction den geist so stark gespannt daß Tacitus es nicht sanfter thun konnte.
Nicolai hat mich durch eine gnädige zuschrift versichert daß er ungeachtet der Hiebe die er gelegentlich gewissenshalber auf mich geführt hat, mir wohl zugethan sey. Er hat dieses mit einem Geschenke geurkundet, seinem Almanach von Volksliedern. Wenn die lieder die sein Mißfallen verursachet haben, nicht besser sind als die er selbst gemacht so war es nicht der Mühe wehrt sich dabey aufzuhalten. Der Vorbericht ist leinweberisch.
Es kömmt mir zustatten daß ich von Verlegern verlassen bin; die schreibsucht fällt mich zuweilen an, ohne Zweifel eine von den Altersschwachheiten, daß ich mich kaum enthalte meine Evadne, Kreusa, Maria von Braband, Hildebold, dem publico, das ist, den Jurnalisten, an den Kopf zu werfen. Es sind kleine Epopöen, griechische Wasserbrühen für die modernen Genies.
Aber ich sehe daß ich Ihnen, mein theurer vieles sage was sie schwach interessirt. Ich kann mich von den lieblingsgeschäften meiner wärmern jahre kaum entwöhnen. Ich lese alles neue des Parnasses und werde nicht selten für meinen Vorwiz durch elende stüke gestraft. Möcht ich ein paar stunden in ihren Zusammenkünften mit Sak und Spaldingen zubringen können!
Das Philanthropin von Marschlinz ist zertrümmert. Bahrd und Salis sind unzufrieden von einander geschieden. Izt hat Bard in Leiningen ein drittes Philanthropin aufgerichtet, nicht so gar läppisch wie das Marschlinzische.
Ich besuche das Rathhaus kaum noch. Das Alte Eidsgenössische Recht vermag, daß der Obmann, der en dernier ressort entscheiden muß, der Eide zu seiner Religion, seiner Vaterstadt, seiner Verwandtschaft entlassen werde; seit kurzer zeit haben die Cantons gefunden, daß nicht entlassen werden kann was in der Natur ist; man hat eine Verbesserung vorgeschlagen nach welcher zuerst vier stände in paritate religionis zu richten gesezt, nachher aber der fünfte stand von der Religion zugegeben wird, zu welcher der angesprochene stand sich bekennt. Diser vorschlag ist izt in warmer berathschlagung. Man fürchtet die catholischen Cantons widersezen sich. Da sie besorgt scheinen daß die mächtigern Cantons auf den Einfall kommen mögten sie zu unterdrüken, ist man ganz geneigt Ihnen zu willfahren, daß man im fall einer Ruptur auf alle Eroberungen Verzicht thut.
Sie bestanden heftig darauf, daß der König im Fall Streites das Arbitrium haben sollte. Quo venitis!
Die Dissertation ist für Hr. Spalding, ich habe Lavatern schon mehrmals empfohlen, daß er noch einmal zu Spalding gehen solle, aber er hat die Ohren vor dem beschwörer verstopft.
Meine Baucis führt immer noch Philemons Wirthschaft, und das behält mich in meiner assiette. Leben Sie mein liebster nicht unangenehmer!
Ich umarme Sie.
Bodmer
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 20.12. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.
J. J. Bodmer, Der Tod des ersten Menschen, 1776, für Sulzers Tochter Auguste Graff. – J. K. Meyer, De vigilantia adversus paulatim [...], 1776, für Johann Joachim Spalding.