Zürch den 11ten Jun. 1768
Ich nehme mir mehr nicht vor, als Ihnen mein liebster, einen gazetenmäßigen brief zu schreiben. Unsers Wegel. Caracteres sind noch nicht hier. Der Buchhändler sagt den Käufern die Vorübungen seyn ihre arbeit, und ich leugne es laut. Das Joachimsche schulbuch hab ich dem Canon. Br. gegeben. In 3. Wochen werden unsere Schulreformes vor den grossen Rath kommen. Wir haben auch eine revision unserer Ehgeistlichen sazungen machen wollen. Wir sind aber nicht aufgekommen. Man sagte, sie zu verändern würde unsere Constitution berühren; wir wollten Wizlinge seyn und unsere Väter hätten uns nichts recht gemachet.
Könnte ich Ihnen eine Brochure de l’origine de la religion schiken, so weiß ich daß ich Ihnen ein Chef dœuvre schikete. Sie würden den Verf. nicht in der Schweiz und am wenigsten in dem religiosen Vorort suchen. Ein Lekerbissen für unsern Wegeli!
Ich wollte ihnen noch eine brochure schiken, eine defense contre l’avant- propos de l’histoire de l’eglise par Fleuri. Der Verfass. ist der Cammerer Meister von Küßnach. Izt kennen sie das Werk und den Werkmeister. Sein sohn wäre ein vortrefflicher Mann für den professorat, der vacant werden soll, sie dürften ihn vorschlagen, ohne daß sie ihn persönlich sähen, und nicht aliena peccata befürchten: Aber er zielt höher. Ich weis zwar nicht recht, was diser professorat ist.
Der Füßli in London schreibt seinen Freunden ohne die geringste Klage, doch auch ohne das geringste Großsprechen. Er schreibt, wenn sein verstorbener Onkle ihm die Freyheit gelassen hätte, so wollte er von seinem theil des Erbes seinem Vater ein kleines geschenk gemacht haben, das doch aus dem Ganzen bestehn sollte. Wir haben ihm einen farraginem operum thuricensium geschikt.
Unser Dr. Hirzel ist mit der Recension seines Blarers wol zufrieden, er schenkt ihnen dafür die sottises die sie gegen unser Einen auskramen. Überhaupt würden unsre leute gern mit den Journalisten capituliren. Die Vorrede vor dem Archive hat sie bedünkt sey infra dignitatem nostram, und wäre beleidigend. Sie selbst wollen weder mit wahrheit nocht mit freymüthigkeit beleidigen; sie beleidigen aber mit schweigen. Einer sagte, Sulzer hätte keine vorrede vor die Noachide gesezt, damit er sich keine beschimpfungen zuzöge, oder an den meinigen nicht theil nehmen müßte. Es fehlt nicht viel die armen Geister sagen, sie vollenden das Wörterbuch nicht, weil sie die Censur der Nicolai, und Klozzen und Quintus fürchten. Ich rufe vergebens,
[→]Craignez dieu mes amis, n’ayiez pas d’autre crainte.
Der Doctor Zimmermann gehet nach Hanover. Er hat den Nationalstolz in alle Winkel verfolget, und in allen Winkeln gefunden. Er lobet in Hyperbolen und tadelt in Hyperbolen. Iseli verdient von seinem Lob nur einen Drittel. Der große Haller hat 3. 4. mal die Rathshrn. Würde verfehlt. Izt gehet er aus Verdruß nach Göttingen, sic est versatilis.
Die Berner dünken sich in ihrem Feldzuge so groß, so hoch, als wenn sie dem grossen Fr. auf den schultern säßen. Einer von ihnen sagte: da die Republik Bern die Kräfte mit dem König in Preußen zusammensezt, so wird sich jeder potentat vor ihnen schmiegen.
Wir halten die Übersezung der Charakteristiks für Mendelsohns Arbeit. Es läßt sich viel, sehr viel, über seine übersezung und seine Glossemata sagen.
Mein Verleger sagt mir, Weisse klage mit Eleganz und Gratie, daß einem Mann von seinen Verdiensten, der Amazonenlieder geschrieben so scharf begegnet werde.
Die Hoffnung hat mich betrogen, daß wir von der Messe Ugolino bekommen werden, ein Trauerspiel von dem tändelnden Gerstenberg.
Sie glauben doch, mein Liebster, daß dise leute mit ihren Arbeiten und mit ihren Schmähungen mir nur die stirne entrunzeln. Man muß uns Greisen die stekenpferde nicht mißgönnen.
Ich hoffe immer, unser Exulant werde die Sprache der Nicolai und der Kloze, und der Herder noch so Kunstmässig lernen, daß diese Hhn wünschen möchten er hätte sie niemals gelernt. Ich wünsche alle tage einmal daß ich Sulzer und Wegeli bey mir hätte, und verliesse für sie die ganze gnädige Gesellschaft, bey der ich bin: und der gute Müller hat sie beyde alle Tage und wünschet in Zürich die Gesellschaft von wem zu haben!
Vor 3. tagen ist ihr neveu der Geistliche Sulzer bey mir gewesen, ich muß Ihnen doch sagen, daß sein Kopf aufgeräumt und hell ist. Sie können mit ihm zufrieden seyn, er hat von unserm Waser viel profitirt. Und ihr anderer neveu der Hr. Brunner im Niederdorf hat den beyfall unserer herrn und bürger; er ist nicht nur ein Zwölfer- sondern ein Zunftmeistermässiger Mann.
Aber unser liebste Heß von Neftenbach! Er ist vorgestern mit grosser Mühe in hiesige stadt gekommen, die Viper-Cur zu brauchen. Er ist sehr abgemattet, abgelebt, ausgebraucht. Ich fürchte er komme nicht wieder nach Haus.
Es ist eine schlechte politik, wenn wir so alt werden, die von unsrer Epoque verlassen uns, und die von jüngern Tagen stossen uns weg.
Die Hhn Examinatores sind in tiefer Deliberation, ob sie nicht die festlichen Nachtage sollen abgehen lassen; der Magen möchte mit speisen der seele überhäuft werden, und nicht verdauen.
Ich habe Ihnen eine Gazette versprochen, und eine solche hab ich Ihnen gegeben. Ich umarme Sie.
B.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13b.