Brief vom 13. September 1758, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 13. September 1758

den 13. Sept. 58.

Mein theuerster Freund.

Sie haben mir das sehnliche warten auf ihre briefe recht wol vergütet. Dank dem Höchsten, der Berlin, der sie – aus dem Feuer gerettet hat. Es war ein grosses Intervallum vom 20 May, in welchem sie mir geschrieben bis zum 2. Septemb. an welchem ihr lezteres datiert ist. Aber ich sahe doch aus ihrem schreiben an unsern Hn. provisor daß sie mir ungefähr im anfang Augusti geschrieben hatten, welches aber in profane hände gefallen seyn muß. Es war vermuthlich voll trauer wegen des vortrefflichen Pr. von Preussen, den Sie verlohren haben. Die erste seite ihres briefes an Hn Künzli ließ mich den vornehmsten Inhalt des verlohrnen vermuthen. Könnte ich Ihnen meine Johanna Grai zu lesen geben, so wäre das der beste trost den ich Ihnen in diser betrübniß mittheilen könnte. Vermuthlich hatten sie auch ihre furcht vor den Russen reden lassen, sie konnte doch nicht grösser seyn als sie bey uns war, etliche grössern seelen ausgenommen, deren einer sagte: plus le Roi est à letroit plus sa vertu et son grand coeur saffermiront plus les coups eclateront. Je le plains seulement detre obligé de combatre des canailles; j'aimerais mieux que toutes ces canailles se precipitassent dans la mer glaciale de la meme façon que les cochons de levangile dans la mer de Galilée. Wir fiengen an zu fürchten diese Welt wäre nicht für Brutus, die Erde nicht zum size der unschuld und Rechtschaffenheit verordnet. –

Daun war schon ein Held, der sich mit dem König messen dürfte, ein Fabius cunctator, und man soll in Preßburg eine münz mit diser aufschrift gepräget haben. Izt ist der König wider der gröste, der einzige heerführer. Die grossen hoffnungen werden wider hervorgesucht; die weissagungen kommen wider in die Erfüllung.

Unterdessen bin ich immer ungewiß ob sie die sachen, die ich ihnen durch die ostermeßleute geschikt habe, empfangen haben, den Abel Geßners, Hexameter eines unbekannten p. wovon sie mir nicht ein wort melden. Ferner ob sie meinen Brief vom 3. Junius empfangen haben, den 2ten Sept. habe ich Ihnen auch durch die post geschrieben. Durch die Michelismesse schike ich ihnen Iselins patriotische träume.

Die Larve und das Banket sind mir zugekommen, aber ohne brief von ihnen, von Hn Neugebauer war ein brief dabey. Niemand schreibt hier dise stüke ihrem wahren verfasser zu.

Sie werden wissen daß Wieland ein trauerspiel von der Joh. Grai gedrukt, welches mir so übel gefallen daß ich selbst eine andere geschrieben, die ich aber nicht druken darf damit er nicht sich beleidiget halte; wie er schier sich durch die blosse arbeit beleidigt halten wollen.

Gottsched hat sich in der Dedication eines werkes von deutschen Aequivocis wider über mich unnütze gemacht.

Ein bösewicht von den unserigen hat eine Dunciade für die schweizer geschrieben, die eine boßhafte lästerung ist.

Der verstorbene Baron von Cronek hat mir ex ⟨testato ein schönes gedicht, die Einsamkeiten, hinterlassen, in Hexametern. Er hatte sonst gute bekanntschaft mit Uzen. –

Ebert hat Wielanden überaus freündschaftlich geschrieben. Er wollte gern subscriptionen für s. Youngh haben. Geßner und ich haben ihm etliche procurirt.

Ich habe den Noah von neuem überarbeitet, und viele veränderungen, doch meistentheils wegen des wolklanges gemacht.

Ein Luzernischer Rathsherr hat ein project von verjüngerung der Eidsgnft. publicirt. Er wollte ein seminarium politicum für junge Hhn aus allen Cantons aufrichten. Wieland hat s. project unterstüzet, und Dr. Hirzel wird es für uns thun. Hr. Iseli ist ganz davon eingenommen.

Dr. Zimmermann schreibt 3. Bande von der Einsamkeit, ihren vortheilen und nachtheilen.

Ich habe Hn von Kleist sehr freundschaftlich geschrieben, Ich wollte ihn gern gut machen. Man hat ihm in den Kopf gesezt daß ich nicht s. bewunderer sey. Ich liebe und ehre ihn. Es ist recht affektirt, wie hartnäkigt gewisse Hhn sich hüten der zürcherischen poeten zu gedenken. Ramler würde es sich nicht verzeihen, wenn man glaubte, daß sie seines Lichtwehrs und Gellerts wehrt wären. Lessing ist uns heimlich Feind. Die Nicolaisten, die Rostocker und Wißmarer machen sich recht unnüze.

Hr. von Kleist hat vom Abel ein seltsames, unverständliches urtheil gefällt. Er meint er wäre unverbesserlich, wenn er nicht hier und dar affektirt schrieb.

Sie haben doch das Epigramma empfangen:

Jeglicher tag ist der vater von einer neuen geschichte.

Man sagt in Paris sei verboten worden zu glauben daß das Cap Breton erobert worden. Chavigni leugnet es auch, und spricht ganz gebietend. Ein reitender bot ist von Costniz nach Einsiedeln gegangen mit der nachricht, daß vierzehn 1000. Russen zwar, aber eben so vil Preußen geblieben.

Die Calomnie hat erdichtet, daß der fr. König sein fontaineblau um 30. millionen feil geboten habe. Man trägt sich hier mit einem Epigramma:

Lobet die fromme that, die von der Rha und der Dwina
Und dem tatarischen Oby die wilden Krieger geholt hat
Menschen zur Helfte, halb thiere, ein mittelding zwischen den beyden;
Lobet den der sie warb, daß er nicht die hölle geworben
Nicht die Teufel, die Russen sind doch noch gelinder als teufel,
Nur die männer zu töden, die töchter zu schänden, die Kinder
In den sclavischen Dienst zu verschiken erpicht, auf die seele
Lauern sie nicht, sie fliegt vor ihnen gesichert gen Himmel.
Fromm war der grosse Entwurf, wenn man deutschlands schuzgeist bezwungen,
Friederich, der ohne Gefährten noch für das schmachtende kämpfte,
Würd ihm Religion und vernunft und geschmak und freiheit bald folgen.
Deutschland in Bande zu zwingen ist einer überlthat würdig,
Aber in andern dingen seyd immer getreu den verträgen.
Ists ein verbrechen die uncatholischen Menschen zu martern?
Nein es ist kein verbrechen Roms aposteln zu martern,
Denen der ewige Richter die Hölle zur strafe gebaut hat.

Mein schwager wundert, wenn der schiffbrüchige schwarz einmal wider zu Kräften käme, ob er für das verlohrne nicht einigen Regress auf ihn hätte; od. ob auf alles renoncirt sey.

Adieu. Leben sie munter mit uns auf die grossen aussichten die uns Fr. bereitet und die nicht mehr fern sind. Wir machen poetische Entwürfe davon, und wissen doch daß er sie übertreffen wird. Bald wider einen angenehmen brief.

Der ihrige.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Einschluss und mit gleicher Sendung

Abschriften aus Laurenz Zellwegers Briefen vom 12. Juni 1758 und 26. Juni 1758 (ZB, Ms Bodmer 6a, Nr. 420–421).

Eigenhändige Korrekturen

hüten der zürcherischen
hüten über der zürcherischen

Stellenkommentar

schreiben an unsern Hn. provisor
Nicht ermittelt. Zwischen dem 11. März und dem 2. September 1758 sind keine Briefe von Sulzer an Künzli überliefert. Im Schreiben vom 2. September 1758 (übermittelt in der Abschrift Künzlis) findet sich dazu nichts.
trauer wegen des vortrefflichen Pr. von Preussen
August Wilhelm von Preußen war im Juni verstorben.
deren einer sagte
Zellweger an Bodmer, Trogen, 6.--7. September 1758 (ZB, Ms Bodmer 6a, Nr. 425).
ein Fabius cunctator
Beiname Dauns. Der römische Feldherr Fabius Cunctator war der Gegner Hannibals im Zweiten Punischen Krieg.
verstorbene Baron von Cronek
Cronegk war am 1. Januar 1758 an einer Blatterninfektion gestorben. Uz veranstaltete nach dessen Tod eine Werkausgabe in zwei Bänden, 1760–61.
Ebert hat Wielanden
Eberts Brief an Wieland ist nicht erhalten. Vgl. Wielands Antwortschreiben an Ebert vom 27. August bis Oktober 1758, in dem er sich für dessen »freundschaftliches und verbindliches Schreiben« bedankt und berichtet, dass er dessen Werk »den wenigen Liebhabern und Kennern des Wahren und Schönen, die ich hier kenne, bekannt gemacht« habe. (Wieland Briefwechsel 1963, Bd. 1, S. 357).
ein project von verjüngerung
Der Luzerner Ratsschreiber Franz Urs von Balthasar hatte bereits 1744 in einer programmatischen Schrift die Erneuerung und patriotische Durchdringung der Eidgenossenschaft gefordert. Die Schrift wurde allerdings erst von Isaak Iselin 1758 unter dem Titel Patriotische Träume eines Eydgnossen, von einem Mittel, die veraltete Eydgnoßschaft wieder zu verjüngeren veröffentlicht.
Hr. Iseli ist ganz davon eingenommen
Vgl. Iselin an Bodmer, Basel, 23. Juli 1758 (ZB, Ms Bodmer 2b.26): »Ew. Hochedelgebohrnen sende ich Hn. W. Entwurf einer Akademie mit vilem Danke zurükke. Ich habe solche mit ausnemendem Vergnügen gelesen. Ich habe sie kleiner geglaubt und daher gewünschet solche meinen Gedanken von der Verbeserung unsrer hohen Schule beigefügt zu sehen. Ich glaube aber dennoch das Hr. W. Unrecht tuhn würde wenn er dise vortrefliche Schrift dem Publico länger vorenthielte. Ich bitte Sie also Ihn dahin zu vermögen das er dieselbe dem Drukke überlasse. Es wird nächstens eine sonderbare und mit vilen schönen Sachen angefüllte Schrift, die eine solche allgemeine eidsgenösische Akademie anräht, in dem Drukke erscheinen. Ich wünsche das derselben Verfaser in die Ideen des Hn. Wielands eingetreten wäre: oder das Hr. W. in der seinigen den Entwurf des patriotischen Verfasers, in einer Anmerkung, oder in einem besondern Absazze erweiterte, und verbeserte. Ich kann Ihnen den Verfaser noch nicht nennen. Es ist ein Eidsgenose aber kein Basler. Ich weis ihn selbst nicht recht. Er soll ein Lucerner sein. Gewis ist er ein redlicher und weiser Mann. Ich lase sein Werk in hiesiger Nachbarschaft drukken – und werde Ew. Hochedelgeb. so bald es fertig sein wird ein Exemplar davon übersenden.« Iselin hatte mit derselben Absicht 1758 die hier erwähnten Unvorgreiflichen Gedanken über die Verbesserung der B...schen hohen Schule veröffentlicht.
Dr. Zimmermann schreibt
Johann Georg Zimmermann hatte 1756 die Betrachtungen über die Einsamkeit publiziert. In den nächsten Jahren arbeitete er an seinem Hauptwerk Ueber die Einsamkeit, das 1784–1785 bei Weidmanns Erben und Reich in vier Bänden erschien.
Hn von Kleist sehr freundschaftlich
Nicht ermittelt. Vgl. Kleist an Gleim, Lager bei Maxen, 30. September 1758: »Von Herrn Bodmern und Gessnern habe ich sehr freundschaftliche Briefe. Aus des Erstern Schreiben aber sieht doch etwas Falschheit heraus. Der Mann hat einen abscheulichen Zorn und Eigenliebe.« (Sauer (Hrsg.) Briefe von Kleist 1880, S. 522).
Lessing ist uns heimlich Feind
Vgl. Sulzer an Künzli, 8. Oktober 1758: »Leßing ist sehr empfindlich worden über eine Critik, welche in den critischen Nachrichten, die in Zürich herauskommen, über seine Tragedien gemacht worden. Er halt Wieland für den Verfaßer und wird gewiß die erste Gelegenheit ergreiffen sich deßhalb zu rächen. Unsre hiesige Dichter bleiben bey allen den Wunderthaten Friedrichs stum. Was soll man von solchen Leüten denken? Gleim verdienet eine Ausnahm. Seine Lieder sind voll Rührung und voll Feüer. Aber den lezten Sieg hat noch keiner von denen besungen, die gelesen werden.« (SWB, Ms BRH 512/73).
Cap Breton erobert
Die französische Kap-Breton-Insel im Nordatlantik, die 1758 von den Briten erobert worden war.
Costniz
Früherer Name für Konstanz.
mit einem Epigramma
Das Gedicht stammt von Bodmer selbst. In Bodmers Nachlass finden sich leicht abgewandelte Fassungen unter dem Titel Die fromme Politik, die Bodmer im Oktober 1758 abschrieb und abschreiben ließ (ZB, Ms Bodmer 31.7.III.2 und 31.7.V, Bl. 72).

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann