Brief vom 2. September 1758, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 2. September 1758

Mein werthester Freünd.

Ich stehe aus meinem Bette auf, in welchem mich ein kleines Brustfieber seit ein paar Tagen gehalten hat, weil ich diesen Posttag nicht kann vorbey gehen laßen, ohne Ihnen von dem herrlichen Sieg Nachricht zu geben, den Gott unserm Friederich über die Rußen verliehen hat. Dieser Feind war mit seiner ganzen Macht bis vor Cüstrin, 10 Meilen von Berlin gerükt und hatte zum Zeichen, was er zu thun willens war, diese Statt in weniger als 24 Stunden zu einem Stein und Aschen Hauffen gemacht. Dieses geschah den 15 dieses. Unser Trost war, daß der König im Anmarsch war den Grafen von Dohna, der dießeits der Oder stuhnd mit 16 tausend Man zuverstärken. Er langte den 20 in Frankf. an. Den 23 ging er mit der Armee ein paar Meilen unterhalb Cüstrin über die Oder. Den 24 hielt er Rasttag und den 25 Rükte er mit einer Armee von nahe 40 Tausend Man gegen den Feind, der etwa 80 T. stark war an. Die Maneüvre des Königs war so, daß er sich mit seiner Armee dem Feind halb in der Flanke und halb im Rüken befand. Die ungewöhnliche (und wie sich unsere von der Schlacht kommende Soldaten ausdrüken, mehr als viehische) Standhaftigkeit des Feindes machte, daß das Treffen von 9 Uhr des Morgens bis zur angehenden Nacht währte. Viele Regimenter vom Feinde sind gänzlich nieder gehauen ohne einen Schritt zurüke gewiechen zu haben. Die meiste feindliche Amunition, ein großer Theil ihres Geschüzes und ihre Ganze Krieges Caße wurd erobert. Die Nacht machte dem Mezeln ein Ende. Der Feind wiech nicht weit vom Waalplaz gegen Cüstrin zu. Den Andern Tag wurd er aufs neü angegriffen, aber meistentheils nur von Ferne mit dem Schweeren Geschüz, weil es an Ammunition für das MusketenFeüer fehlte. Der Feind wiech diesen Tag etwas weiter, als den vorigen. Den dritten Tag, defilirte selbiger längst der Warte. Jezo hat er sich zwischen Cüstrin und Landsberg verschanzet. Ist aber so eingeschloßen, daß er keine Zufuhr haben kann. In wenig Tagen muß er sich entschließen durch zu brechen. Die Anstallten sind aber so gemacht, daß er als denn allem Vermuthen nach theils aufgerieben theils zerstreüt werden muß. Alle vom Schlachtfeld hiehergekommene versichern, daß sie eine solche Niederlage noch nicht gesehen. Die, welche am mäßigsten Urtheilen versichern, daß über 25 Tausend Feinde auf dem Walplaz liegen. Die meisten aber schäzen diese Zal über 30 tausend. Ich habe verschiedene Augenzeügen gesprochen, welche außagen, daß auf mehr als anderthalbe Meilen die Todten Hauffen weise über ein ander liegen und daß man alle mal 30 auch 40 Rußen gegen einen Preüßen liegen sehe. Unser Verlust ist unglaublich gering in Ansehung des feindlichen da soweit die Listen der Regimenter weisen noch nicht 1000 Todte und nicht 2000 Verwundete sind. Die Ursache davon ist, weil die Cavallerie das meiste dabey gethan hat.

Man weiß noch nicht wie die feindliche Generale heißen, welche geblieben sind, aber 6 derselben sind gefangen, nebst ohngefehr 100 Offizieren von allerley Rang.

Gott sey gedanket, der uns auf eine so herrliche Weise, von einem so grausamen und in der That so sehr fürchterl. Feind gerettet hat. Das Treffen hat etliche Stunden gedauert, ehe sich der Sieg entschieden hat, den wir nächst Gott dem König allein zu danken haben. Denn da einige Trupen über die unerhörte Standhaftigkeit des Feindes zu stuzen anfingen und nicht weiter vorwerts wollten, nahm der Große Heerführer eine Fahne in die Hand, stellte sich vor die Trupen und rief ihnen zu. Kinder! wer seinen König und sein Vaterland retten will, der folge mir nach. Worauf alles gleich willig war. Denn man muß gestehen, daß auch der gemeinste Soldat auf eine Ausnehmende Art für den Heerführer eingenommen ist.

Nun hat also dieses barbarische Volk alle die Schandthaten, welche es, so lange es die Oberhand gehabt ausgeübet mit dem Blute, so vieler Tausenden bezalt.

Die Oesterreicher haben sich Mittlerweile durch die Lausiz unsern Gränzen auch wieder genähert und unsre Schlesische Armee geht ihr immer zur Seite. Es ist daher zu vermuthen, daß es nächstens noch zu einem Treffen kommen könnte, insonderheit, wenn der König in kurzem mit den übrigen Rußen sollte fertig werden.

Nun muß ich Ihnen noch sagen, warum ich an ihren Hrn. Schwager das aus dem Schwarzischen Schiffbruch gerettete Geld noch nicht geschikt habe. Er hatte mir aufgetragen ihm einen Amsterdamer oder Pariser Wechsel zu schiken. Ich bin einige male darüber im Handel gewesen. Meine hiesige Freünde, welche diese Sachen verstehen haben mir immer gerathen des Hohen Curses halber noch zu warten. Vor 14 Tagen war der Wechsel auf Amsterdam 158, welches noch nie erhört worden. Ein ehrlicher Banquier hier hat mir gesagt, daß er allem Ansehen nach in kurzem um 10 bis 15 pr. C. fallen müße. Ich machte mir daher ein gewißen daraus mit so vielem Verlust das Geld zu übermachen. Vielleicht wäre das beste, wenn das Geld in Frankf. am Mayn baar bezalt würde. Wenn Hr. Orell mir jemand nennen will, an welchen es dort kann ausgezalt werden, so hat mir ein hiesiger Freünd versprochen, es dort auszalen zu laßen.

Sagen Sie doch unserm Hrn. Künzli, daß der Hr. Gonzenbach der in Preüßischen Diensten ist noch lebe und jezo in Glaz sich aufhalte. Der Huber aus Basel, welcher in der Bat. von Colin leicht bleßirt worden lebt auch noch und steht jezo im Lager bey Dippoldswalde, wo unser Hr. v. Kleist ihn gesprochen hat.

Ich muß enden weil es mir nicht möglich ist mit meinem XXX kopf, den das Fieber so sehr abgemattet hat weiter fortzufahren. ⟨Ich⟩ bin von Ganzem Herze der ihrige.

S.

den 2 Septemb.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Anonym Über Friedrich den Großen II 1807, S. 183–185 (Auszug).

Anschrift

à Monsieur Bodmer membre du Grand-Conseil & Professeur tres-celebre à Zurich frco. Nrnberg.

Vermerke und Zusätze

Auf der zweiten Seite die Passage »Nun muß ich Ihnen noch sagen, warum ich an ihren Hrn. Schwager das aus dem Schwarzischen Schiffbruch gerettete Geld noch nicht geschikt habe.« und auf der dritten Seite »Hr. Orell« von Bodmer gestrichen. – Siegel.

Stellenkommentar

von dem herrlichen Sieg
In der Schlacht von Zorndorf am 25. August 1758 trafen die preußische und russische Armee aufeinander, die anschließend beide den Sieg für sich beanspruchten. Vgl. dazu Bremm Der Siebenjährige Krieg 2017, S. 183–195.
Huber aus Basel
Künzli hatte sich offenbar schon 1757 in einem nicht erhaltenen Schreiben nach den Schweizer Landsleuten (Paul von Gonzenbach und Huber), die in preußischen Diensten standen, erkundigt. Vgl. Sulzer an Künzli, 6. September 1757: »Die Comißion wegen des Hubers aus Basel werde gern ausrichten, wenn ich nur erst zuverläßig erfahren werde, wo iezo das deßauische Regiment steht. Aber iezo wißen wir hier noch nicht, wie unsre Regimenter unter die verschiedenen Corps vertheilet sind«. (SWB, Ms BRH 512/73). Paul von Gonzenbach, Angehöriger einer St. Gallischen Familie, wohnte ursprünglich in Leipzig und war seit 1760 als Adjutant des Generals La Motte Fouqué am Siebenjährigen Krieg beteiligt. Er wurde in der Schlacht bei Landeshut (Kamienna Góra) 1760 verwundet und kam in kroatische Kriegsgefangenschaft. Nach dem Krieg war er weiterhin in preußischen Diensten als Festungsbaudirektor tätig. Zu Gonzenbach und anderen Schweizern in preußischen Diensten vgl. Eisenmann Friedrich der Grosse im Urteil seiner schweizerischen Mitwelt 1971, S. 36.
Dippoldswalde
Dippoldiswalde bei Dresden, wo sich Kleist von Ende Juli bis zum 20. August 1758 aufgehalten hatte und von wo aus Briefe u. a. an Gleim adressiert sind. Kleists vermutlich an Sulzer adressierter Brief mit den Aussagen über den Basler Huber nicht ermittelt.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann