Brief vom 2. September 1758, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 2. September 1758

den 2. Septemb. 1758

Mein theuerster Freund.

Wie lange sollen wir noch nach ihren Briefen schmachten? Der vom zwanzigsten May war der lezte den ich empfangen. Damals hatten sie den Tod Abels, Hexameter eines unbekannten, und andere sachen, die ich ihnen durch die Meßleute geschikt, noch nicht empfangen und ich weis bis disen tag nicht, ob sie diese stücke seither erhalten haben. Ich fürchte daß ein brief von den ihren in profane Hände gefallen sey; sie werden mir zum wenigsten den Erfolg der schwarzischen schuld berichtet haben, mein schwager Orell ist darüber oft in Verlegenheit. Ich habe vor acht tagen fünf angenehme tage in Winterthur gelebt wo man um sie eben so unwissend und eben so bekümmert ist.

Ich habe durch einen kaufmann von Basel etliche stücke der Larve und des banketes bekommen, und meinte auf dem pak ihre hand zu erkennen. Dabey war es ein brief und sachen von dem wakern Neugebauer. Hier hat weder Wieland noch Breitinger auf den verfasser diser satyrischen stücke gerathen. Wieland hat ein Trauerspiel, Johanna Gray, verfertiget, und Akermann hat es aufgeführt. Es hat mir nicht so sehr, wie ihm gefallen, und unsern ältern und jüngern freunden eben so wenig. Dises hat mich veranlasset, daß ich auch eine Johanna Gray geschrieben, die nicht aufgeführt, aber nur recitirt worden, und besser gefallen hat. Wieland selbst hält sie für gut, wiewol er seine eigene für besser hält, ich habe es ihm überlassen, sie zu publiciren; ich selbst würde sie nicht publiciren aus Furcht daß das publicum ihn mit mir darüber in compromiss sezen möchte. Das penas campi von Feldheim hat eine Dunciade für die schweizer geschrieben die seiner würdig ist. Es sind Calumnien auf Breitinger, Waser, – das ding ist sine consule et die gedrukt. Ein Magister in Tübingen hat hebammenstelle vertreten. Wenn wir den Autor legaliter erweisen können so tractiren wir ihn für einen pasquillant.

Gotsched hat in einem neuen werke von Aequivocis mich auch wider verlästert. Die vermittelung, die schuldheiß Wolleb von Basel mir angetragen uns zu versöhnen, die ich abgelehnt, weil unsere meinungen so verschieden wären daß sie sich nicht vereinigen liessen, hat ihm anlaß dazu gegeben. Sie sollen hiervon mehr hören.

Der verstorbne Baron von Cronek, ein fränkischer Edelmann hat mir ex ⟨testato ein Gedicht in Hexametern, die Einsamkeiten, schiken lassen. Es ist das werk eines mannes von genie, und einem liebenswürdigen Herzen. Ich gedenke es zu publiciren.

Sie haben doch auch einen brief von mir vom 3ten Junius erhalten.

Ich habe Hn Orell, der gerichtschreiber in Weinfelden ist nicht abschlagen können, seine bitte einzuschliessen. Das gut heißt Friederichsfelde und ligt im amt Cöpenik; die Anna Catarina Antony macht ihm einen Apotheker Conto, und meint dann daß er von der Erbschaft sich mit seinen geschwisterten (es leben mit ihm noch drey und alle hier) entsagen solle, weil das gut so schlecht sey daß es nicht hinreiche sie zu bezahlen und sie aus liebe für die verstorbenen sich damit begnügen wollte. Ein Betrug scheint darunter verborgen. Indessen begehren dise guten leute nur ein Oberkeitlich Erbinventarium, die Kosten so drauf gehen offerieren sie ganz verbindlich zu bezahlen. Es ist nur darum zu thun, daß sie zuerst etwas legales von dem zustande der verlassenschaft innen werden. Sie haben mich sehr ersucht, ihnen diese sache aufzutragen p. p.

Alle posttage seufzet nach ihren briefen

Ihr ergebenster B.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Stellenkommentar

von dem wakern Neugebauer
Vgl. Wilhelm Ehrenfried Neugebauers Schreiben an Bodmer aus Berlin vom 9. April 1758. Der aus Breslau stammende Neugebauer, der später die moralische Wochenschrift Der Verbesserer herausgab, hatte über Sulzer Kontakt mit dem von ihm verehrten Bodmer gesucht und schrieb auf dessen Empfehlung hin: »Bald wolte ich Ihnen einige meiner Arbeiten zueignen, und bald solte Sie ein geschriebenes dichtrisches Opfer bewegen, mir Ihre Bekandtschaft, und nachher Ihre Freündschaft zu schenken. Alle diese Anschläge aber verflogen: blos meine Wünsche wurden immer lebhafter: bis ich endlich bey meinem Berlinischen Aufenthalt das Glük genossen, von Ihrem Herrn Landsmann, dem Herrn Profeßor Sulzer, gekannt zu werden, welcher auch die Güte für mich gehabt, mir die Beförderung meiner Wünsche, in Ansehung Ihrer, zu versprechen.« (ZB, Ms Bodmer 4a.5). Neugebauer stellte sich in dem Brief zudem als Erzieher des ältesten Sohnes des »Hr. v. Arnim auf Suckow« vor, »eine Stelle«, wie er betont, die »Herr Wieland ausgeschlagen hat«. Neugebauer übersandte Bodmer mit dem Schreiben auch »einige Verse«, die mit den Worten beginnen: »Barde, oder gefällt dir's, nennt man dich Sänger von Sion? – Nein! es nenne dich Bodmer mein Lied! der Nahme Bodmer ist den Engeln heilig: Sie erzählen mit ihm sich manch hohes Talent.« (ebd.).
penas campi von Feldheim
Gemeint ist Johann Konrad Füssli und seine Ankündigung einer Dunsiade für die Schweitzer, 1758.
mich auch wider verlästert
Siehe die Widmung an Wolleb »Dem weisen und redlichen helvetischen Patrioten in Basel« in Gottscheds Beobachtungen über den Gebrauch und Misbrauch vieler deutscher Wörter und Redensarten, 1758. Gottsched lobte Wolleb dafür, dass er dem »schimpflichen Federkriege durch Dero kluge Vermittlung ein Ende« machen wollte, und gab Bodmer die Schuld am Scheitern der Versöhnung: »Allein der Gegenpart, der doch als Eidsgenoß, noch mehr Ursache hatte, Dero Vorschlägen die Hand zu biethen, begegnete Ihnen mit lauter Stolz und Grobheit, verrieth auch durch sein wildes Bezeigen gar zu deutlich, wer an einem den schönen Künsten so schimpflichen Zwiste, bisher die ganze Schuld gehabt.«
Friederichsfelde
In der Kolonie Friedrichsfelde befand sich im 18. Jahrhundert eine Handwerkersiedlung.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann