Brief vom 3. Juni 1758, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 3. Juni 1758

Mein wehrtester Freund.

Gewiß werden sie die sachen, die ich Ihnen durch Orell geschikt habe, empfangen haben: Wolle Gott (⟨nein⟩, das wäre nicht recht) daß ihnen alles so wol gefallen habe, als ich glaube daß der tod Abels ihnen werde gefallen haben. Vom Noah wäre vielleicht das urtheil besser zu begreifen daß die schreibart gezwungen aber die materie gut sey. Ich habe den Noah wieder überarbeitet, sehr stark überarbeitet. Er hat gewiß viel gewonnen – – –

Aber die Meßleute haben mir nichts von ihnen gebracht. Ich kan nicht sagen daß ich mich betrogen habe, weil ich nichts erwartete. Ich verstehe wol daß sie keinen verleger für die larve und das banket gefunden haben; in Frankfurt am main kenne ich einen mann, der ohne mich im wenigsten einzuflechten dise stüke publiciren könnte. Villeicht finden sie bald eine Gelegenheit, sie wieder an mich zurükzuschiken. –

Ich danke ihnen sehr für die ⟨fiebrischen⟩ nachrichten. Wenn die neuesten briefe nicht betriegen, so sind die grossen begebenheiten, die sie prophezeiten, geworden.

Es dünkt mich es gehe den deutschen mit den grossen thaten des Königs wie mit gewissen Epopöen, sie mögen sie nicht ertragen; sie werden dadurch so stark gerührt, daß sie in eine betäubung gerathen, in der sie nichts denken können. Die Nerven müssen sich durch widerholte Empfindungen stärken, bis sie mit den neuen Erscheinungen vertraut werden. Warum sagen sie mir nichts von dem politischen Glossario? Ich erwartete, daß man dem Verf. die Ohren abgeschnitten hätte, und daß er derselbe wäre, der die Aesthetik in einer Nuß geschmiert hat. Warum nichts vom Efraim justifié, dem unsere financiers so ziemlich recht geben. Wir, die keine Juden sind, haben nicht viel darauf zu sagen, auriculas demittimus. Aber die Bauerngespräche die man hier in oberdeutsch übersezt hat, verdienten auch ihr Andenken. Sie haben den vollkommenen Beifall unsrer leute. Wir schreiben sie aus Hochachtung unserm Gleim zu: dieser ist doch noch unser, obgleich Uz es nicht ist. Denn Gleim wird wol wissen, daß er nicht Uz ist. Uz stellt sich sehr ungebehrdig; doch ist es ihm nicht gelungen Eberts Herz von uns abzuwenden. Ebert hat Wiel. einen sehr freundschaftlichen und sehr gerechten Brief geschikt, der bey diesem schon eine gute wirkung gethan hat. –

Eine bande Comödianten, Akermanns, ist schuld daß W. seine arbeit mit dem Cyrus unterbrochen hat. Er schreibt ein trauerspiel von der Jane Gray. Sein impromtu auf Wille hat seinen ruhm nicht vermehret. A propos, ich habe sichere nachricht, daß Winkelman die Religion nicht geändert hat. Er macht anstalten sein buch zu druken, das würklich bereit ligt. Wissen sie auch daß eine Dunciade für die schweizer gedrukt ist? Aber sie ist nichts weniger als fürchterlich; sie ist nur boshaft. Der autor ist wol einer von unsern elenden landsleuten, den ich nennen könnte. Das ding ist in Tübingen gedrukt, man hat es aber bisher nicht nach Zürich wagen dürfen. Also ist es hier noch unbekannt. Der Autor giebt Breitingern und mich für die autores der dunciade für die deutschen. Waser und Künzli stehn auch unter s. dunsen.

Vor 10. tagen erschien Hr. Künzli plözlich bey uns, verschwand aber denselben tag. Wir haben sein Herz und er hat unsere Herzen.

Man hat uns geflüstert daß Hr. von Kleist nicht mit uns zufrieden sey, weil er glaubt daß wir seinen Frühling nicht zu schätzen wissen. Er thut uns unrecht; zumal wenn sein Verdacht sich auf eine stelle in den Freymüthigen nachrichten gründet, die ein würkliches Lob in recessu hat. Die Nicolaiten erheben ihn so hoch, daß wir freilich hinter ihnen geblieben sind. Gewiß sind sie es, die ihn gegen uns einnehmen. Von seinem Seneca haben wir nirgend öffentlich geurtheilt.

Können sie mir nicht den Verfasser der Vermischten Critischen Briefe, die in Rostok gedrukt sind, verrathen?

Orell hat von ihrer Lobrede nur in hiesiger stadt in Acht tagen 500. stücke verkauft. Er hat eine Zweite Auflage gemacht, bevor ihre Exemplare gekommen waren. Leben sie wol, und lassen sie die freunde des grossen und guten Königes, (καλου καγαθου) nicht lange nach angenehmen nachrichten schmachten.

den 3. Junius 1758.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Einschluss und mit gleicher Sendung

Abschriften von Briefen Laurenz Zellwegers aus Trogen vom 13. März 1758, 20. März 1758, 20. April 1758 und 2. Mai 1758 (ZB, Ms Bodmer 6a, Nr. 414–417).

Vermerke und Zusätze

Vermerk Sulzers am oberen rechten Rand der ersten Seite: »3 Jun. 58.«

Eigenhändige Korrekturen

daß sie in eine
daß sie nichts in eine

Stellenkommentar

kenne ich einen mann
Nicht ermittelt. Bodmers Larve, ein Comisches Gedicht erschien ohne Verlags- und Ortsangabe.
von dem politischen Glossario
Unter dem Pseudonym Johann Volkna von Friedrich II. im Jahr 1757 publiziertes Politisches deutsches Glossarium.
nichts vom Efraim justifié
Jean Henri Maubert de Gouvest berichtete im Ephraïm justifié. Mémoire historique et raisonné sur l'État passé, présent, et futur, des Finances de Saxe, 1758, über den Zustand des sächsischen Finanzwesens.
auriculas demittimus
Hor. s. 1, 9. Übers.: »die Ohren hängen lassen«.
Bauerngespräche
Als Verfasser des niederdeutschen Ernsthaften und vertraulichen Bauern-Gesprächs gehalten im Schultzen-Gerichte zu R. und W., 1757, wurde Johann Georg Grüne ermittelt. Bodmer besaß eine ins Hochdeutsche übertragene Fassung dieses Gesprächs sowie sechs weitere daran orientierte Bauerngespräche von unbekannten Verfassern (ZB, Sign. 25.14).
gerechten Brief geschikt
Nicht ermittelt.
ein trauerspiel von der Jane Gray
Wieland arbeitete intensiv an Lady Johanna Gray. Ein Trauer-Spiel, das von der von Konrad Ackermann und seiner Frau Sophie Charlotte gegründeten Schauspieltruppe am 20. Juli 1758 in Winterthur erstaufgeführt wurde. (Starnes Wieland 1987, Bd. 1, S. 133).
impromtu auf Wille
Wielands anonym publiziertes Gedicht Auf das Bildniß des Königs von Preußen von Herrn Wille, 1758.
sein buch zu druken
Winckelmanns Anmerkungen über die Baukunst der Alten, 1762, entstanden ursprünglich aus einer Forschungsreise, die er im Frühjahr 1758 zu den antiken Ruinen der Stadt Paestum unternahm. Winckelmann wollte die Schrift zunächst von Johann Caspar Füssli in Zürich drucken lassen.
einer von unsern elenden landsleuten
[J. K. Füssli], Ankündigung einer Dunsiade für die Schweitzer, 1758. Zu Füssli vgl. Kommentar zu Brief letter-bs-1751-10-08.html.
eine stelle in den Freymüthigen nachrichten gründet
Vgl. Kleist an Gleim, Leipzig, 27. April 1758: »Sie erhalten hierbei den Tod Abel's, den mir Gessner selber geschickt hat. Schade, daß sich Gessner bis zum Heldengedicht verstiegen, oder nur schade, daß er keinen ehrlichen und verständigen Freund in der Schweiz hat! Sie werden viel Phöbus darin finden, das Hirzel nicht gesehen und Bodmer und Wieland, um nicht übertroffen zu werden, nicht haben sehen wollen. Ich kann es nicht lesen. A propos, haben Sie schon die kritischen Nachrichten vom Jahr 57 im Jänner gesehen? Sie und Uz und Lessing und ich sind darin erbärmlich durchgenommen. Man sieht der Schweizer schlechten Charakter aus jeder Handlung. Ich meines Theils bin aber darüber so wenig böse, daß ich sie auslache. Zachariä ist nun ihr großer Freund, denn der hat sie gerühmt. Laß sie zusammen Eierkuchen backen! Bodmer backt sie gerne, und Zachariä hat viele ausdunstende Hühnerställe mit Eiern und Zwiebeln und Knoblauch in Menge, um die Eierkuchen schmackhaft zu machen.« (Sauer (Hrsg.) Briefe von Kleist 1880, S. 488 f.).
seinem Seneca
Kleists Drama Seneka ein Trauerspiel erschien in der Sammlung Neue Gedichte vom Verfaßer des Frühlings, 1758, S. 73–128.
den Verfasser der Vermischten Critischen Briefe
Die Verfasser waren Daniel Thomas und Johann Ehrenfried Dahlmann.
(καλου καγαθου)
Kalokagathos. Übers.: »guter, ehrlicher Mann«.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann