Mein wehrtester Freund.
Gewiß werden sie die sachen, die ich Ihnen durch Orell geschikt habe, empfangen haben: Wolle Gott (⟨nein⟩, das wäre nicht recht) daß ihnen alles so wol gefallen habe, als ich glaube daß der tod Abels ihnen werde gefallen haben. Vom Noah wäre vielleicht das urtheil besser zu begreifen daß die schreibart gezwungen aber die materie gut sey. Ich habe den Noah wieder überarbeitet, sehr stark überarbeitet. Er hat gewiß viel gewonnen – – –
Aber die Meßleute haben mir nichts von ihnen gebracht. Ich kan nicht sagen daß ich mich betrogen habe, weil ich nichts erwartete. Ich verstehe wol daß sie keinen verleger für die larve und das banket gefunden haben; in Frankfurt am main kenne ich einen mann, der ohne mich im wenigsten einzuflechten dise stüke publiciren könnte. Villeicht finden sie bald eine Gelegenheit, sie wieder an mich zurükzuschiken. –
Ich danke ihnen sehr für die ⟨fiebrischen⟩ nachrichten. Wenn die neuesten briefe nicht betriegen, so sind die grossen begebenheiten, die sie prophezeiten, geworden.
Es dünkt mich es gehe den deutschen mit den grossen thaten des Königs wie mit gewissen Epopöen, sie mögen sie nicht ertragen; sie werden dadurch so stark gerührt, daß sie in eine betäubung gerathen, in der sie nichts denken können. Die Nerven müssen sich durch widerholte Empfindungen stärken, bis sie mit den neuen Erscheinungen vertraut werden. Warum sagen sie mir nichts von dem politischen Glossario? Ich erwartete, daß man dem Verf. die Ohren abgeschnitten hätte, und daß er derselbe wäre, der die Aesthetik in einer Nuß geschmiert hat. Warum nichts vom Efraim justifié, dem unsere financiers so ziemlich recht geben. Wir, die keine Juden sind, haben nicht viel darauf zu sagen, auriculas demittimus. Aber die Bauerngespräche die man hier in oberdeutsch übersezt hat, verdienten auch ihr Andenken. Sie haben den vollkommenen Beifall unsrer leute. Wir schreiben sie aus Hochachtung unserm Gleim zu: dieser ist doch noch unser, obgleich Uz es nicht ist. Denn Gleim wird wol wissen, daß er nicht Uz ist. Uz stellt sich sehr ungebehrdig; doch ist es ihm nicht gelungen Eberts Herz von uns abzuwenden. Ebert hat Wiel. einen sehr freundschaftlichen und sehr gerechten Brief geschikt, der bey diesem schon eine gute wirkung gethan hat. –
Eine bande Comödianten, Akermanns, ist schuld daß W. seine arbeit mit dem Cyrus unterbrochen hat. Er schreibt ein trauerspiel von der Jane Gray. Sein impromtu auf Wille hat seinen ruhm nicht vermehret. A propos, ich habe sichere nachricht, daß Winkelman die Religion nicht geändert hat. Er macht anstalten sein buch zu druken, das würklich bereit ligt. Wissen sie auch daß eine Dunciade für die schweizer gedrukt ist? Aber sie ist nichts weniger als fürchterlich; sie ist nur boshaft. Der autor ist wol einer von unsern elenden landsleuten, den ich nennen könnte. Das ding ist in Tübingen gedrukt, man hat es aber bisher nicht nach Zürich wagen dürfen. Also ist es hier noch unbekannt. Der Autor giebt Breitingern und mich für die autores der dunciade für die deutschen. Waser und Künzli stehn auch unter s. dunsen.
Vor 10. tagen erschien Hr. Künzli plözlich bey uns, verschwand aber denselben tag. Wir haben sein Herz und er hat unsere Herzen.
Man hat uns geflüstert daß Hr. von Kleist nicht mit uns zufrieden sey, weil er glaubt daß wir seinen Frühling nicht zu schätzen wissen. Er thut uns unrecht; zumal wenn sein Verdacht sich auf eine stelle in den Freymüthigen nachrichten gründet, die ein würkliches Lob in recessu hat. Die Nicolaiten erheben ihn so hoch, daß wir freilich hinter ihnen geblieben sind. Gewiß sind sie es, die ihn gegen uns einnehmen. Von seinem Seneca haben wir nirgend öffentlich geurtheilt.
Können sie mir nicht den Verfasser der Vermischten Critischen Briefe, die in Rostok gedrukt sind, verrathen?
Orell hat von ihrer Lobrede nur in hiesiger stadt in Acht tagen 500. stücke verkauft. Er hat eine Zweite Auflage gemacht, bevor ihre Exemplare gekommen waren. Leben sie wol, und lassen sie die freunde des grossen und guten Königes, (καλου καγαθου) nicht lange nach angenehmen nachrichten schmachten.
den 3. Junius 1758.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.
Abschriften von Briefen Laurenz Zellwegers aus Trogen vom 13. März 1758, 20. März 1758, 20. April 1758 und 2. Mai 1758 (ZB, Ms Bodmer 6a, Nr. 414–417).
Vermerk Sulzers am oberen rechten Rand der ersten Seite: »3 Jun. 58.«