Mein wehrtester Hr. und Freund.
Wegen der Minnesinger und der Gesellschaft, die wir in diser Absicht gemachet haben, gedenke ich Ihnen absonderlich zu schreiben. Ich begleite mit disen Zeilen allein die Monima und einige seltsame stücke der Freymüthigen Nachrichten. Mich freut daß sie so unermüdet an dem dictionaire arbeiten. Ich will sehen ob ich die Artikel Ilias, Odyssea, Pharsalia, Argonautica, Aeneis, Verl. Parad. verfertigen könne: Aber den Artikel von der Messiade bitte jemand andern aufzugeben: Mir ist er verboten. Vielleicht schreibt ihn Hr. Wieland. Ein Lindauer, nahmens Hr. Obereid, ein ascetischer, sonderbarer, Mensch hat davon gesagt, der poet bewege vor zu grosser eigener bewegung seine leser mehr über sich selbst als über den Messias. Es giebt über den zweiten Band sehr dreiste urtheile, welche dem Poeten einen Evangelisten sehr nöthig machen. Hr. Canonicus Breitinger könnte den Artikel vom Erhabenen besser herausbringen als Wieland; er hat schon lange daran gedacht, aber er hat seine begriffe noch nicht in der ordnung. Ich will beyde spornen. Das Vornehmen wegen des Dictionaire hat ihren vollkommnen beyfall, und sie wissen, daß es in die rechten Hände gefallen ist.
Ich hatte nicht geglaubt daß die larve und das banket so beschaffen wären, daß Vos, der den Geissel hat leiden müssen, sich davor gesegnen würde. Dieser mann hat ein delicates gewissen. Ich meine die Larve sey in dem Tone der popischen Dunciade geschrieben. Gewiß ist sie nicht ärger. Vielleicht ist das ding Nicolai in die hände gefallen, und er hat sich darinnen erkennt. Ich übergebe ihnen beyde stücke auf Tod oder Leben. Doch wäre mir lieber, daß sie lebeten. Vielleicht wäre besser, daß sie dieselben à drittura Hrn. Zachariä schiketen. Ich weis nicht, ob wir dem Zweydeutigen Hr. Gleim so etwas vertrauen dürfen. Handeln sie aber nach gut befinden.
Hr. profess. Wiedeburg in Jena hat mir ein Carmen de Dei Exsistentia geschiket, das einen jungen Genie entdeket. Der Autor ist ein studierender, von Lübeck gebürtig, nahmens Munter. Wenn er in gute hände fällt, so kan er etwas Wielandisches werden. Ich lasse aber keinen mehr nach Zürich kommen; es ist zu gefährlich. Man erzählt unangenehme Dinge von unsern bekannten in Kopenhagen. Vergessen sie nicht Placii Gedicht de navigatione Colombi nachzufragen.
Hr. von Haller ist kein Gönner der Minnesinger. Er besorgt, der Geschmak an ihrer veralterten Sprache dürfte der neuern Poesie schaden und manchen harten Ausdruk wieder zurükbringen. Eine wunderliche Furcht! Ich danke für die Nachricht von Renner, der in der bibliothek des Klosters Heilbronn liegen soll. Es wird Heilbron in Schwaben seyn. Man hat uns hoffnung zu Gotfrieds von Strasburg Mære von der Minne gemacht; es scheint ein Liebesgedicht zu seyn; dieser Gotfrid ist einer von unsern Minnesingern, von welchem der Manessische Codex artige strophen hat.
Ich hielte es für eine Art der untreue, wenn man diesen alten poeten unsere heutige orthographie andichtete; sie hatten um die ihrige eben so gute, und vielleicht bessere gründe, als wir um die unsere, und wie vielmal würden sie nach der heutigen orthographie falsche Reimen machen? Was für ein Recht haben wir auf ihre ⟨manier⟩ diese sehr äusserlichen sachen anzusehen? Eine übersezung würde so weitläuftig, so umschreibend, werden, daß sie dem original alle Anmuth nähme. Mittelst des Glossarii kan man den sinn mit leichter Mühe herausbringen, und wer diese geringe arbeit scheuet, der hat die nöthige Neugier nicht, die man für die sitten und die denkungsart dieser alten Deutschen haben muß, wenn man an ihren werken Geschmak finden soll.
Ich sehe Hrn. Escher nicht oft; wiewol er ein Nachbar ist, doch hat er mir die Ehre gethan mich zu besuchen. Ich zweifle nicht er werde noch sehr brav werden. Sie sind bey ihm in hoher achtung.
Hr. Wielands Fryhling ist ein gedicht in hexametern von ein paar Bogen, das er schon 1751. in Tübingen publiciert hat. Er beschreibt den Frühling darinnen nach den Wirkungen, die er mit allen seinen lieblichkeiten auf das gemüthe thut. Kleists Fryhling ist eine Mahlerey von landschaften, Wieland schildert Menschen. Dieses stük hat sich durch die Kraft seiner eigenen Schönheit nicht vermocht das aufsehen der deutschen zu erhalten, und anpreiser hat es nicht gehabt. Er will eine neue Auflage veranstalten.
Sagen sie mir ein Wort von der Monima. Ich verharre mit der zärtlichen Ergebenheit
Ihres gehorsamen Dieners
Joh. Jac. Bodmer
Zürich den 8. Xber 1756
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.
[J. J. Bodmer], Monima. – Freymüthige Nachrichten.
Vermerk Sulzers am oberen rechten Rand der ersten Seite: »8 Dec. 56«.