Brief vom 20. Juli 1773, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 20. Juli 1773

Mein theürester Freünd.

Beyliegender Brieff von Hr. Wegelin ist schon etwas alt, weil er sich unter meinen Papieren verstekt hatte. Ich bitte Sie, sich gegen Ihn nicht merken zu laßen, daß Sie ihn so späthe bekommen haben. Er ist so ausnehmend ombrageux, und in den Äußerungen seines mißtrauischen Verdachts bey jeder Gelegenheit, so sehr hefftig, daß ich Verdruß davon haben würde.

Seit 3 Monaten lebe ich in meinem kleinen Tusculano sehr vergnügt; aber, wie es sich für meine Gesundheit schiket, größten theils ein animalisches Leben. Doch geht die Arbeit an meiner theorie immer, wie wol etwas langsam, fort. Auf Michaelis sollen Sie bekommen, was vom 2tn theile wird abgedrukt seyn.

Mein Zustand ist in Absicht auf die Gesundheit erträglich; aber gesund kann ich, nach Außage der Ärzte nicht mehr werden. Mit einer Pythagorischen Diät sagen Sie, kann ich mich noch einige Jahre so halten. Das ist schon mehr, als ich erwartet hatte. Ich hoffe auch, daß niemand, der den zweyten theil meiner theorie lesen wird, merken soll, daß er bey abnehmenden Lebenskräfften geschrieben worden.

Von Ihnen mein Theürester, hoffe ich bald die gute Nachricht zu erhalten, daß Sie fortfahren in ihrem hohen Alter so munter und Vergnügt zu seyn, wie Sie gewesen, da mein Neveu aus Magdeburg das Glük hatte, Sie zu sehen.

Klopstok hat auch sich meiner wieder erinnert und mich aufgefodert in sein Bündnis gegen die Buchhändler zu treten. Ich habe es höflich verbeten. Er schreibet mir, daß er den Meßias keinem großen Herren, aber dem großen Rath in Zürich zugeschikt habe. Ich höre, daß seine Pension in Dännemark ausbleiben wird. Wieland ist ein Hoffman geworden. Aber allem Ansehen nach, wird er es nicht länger bleiben, als Agathon in Syracus. Er macht mit den Buchhändlern Voltairische Streiche. Sein Mercur hat ihm doch ohngefehr 4000 Rthlr. reines Geld gebracht und beynahe eben so viel der neüe Agathon. Aber, mein Theürester, ich mag nichts mit den Leüthen zu thun haben, die mit ihren Talenten in bösem Sinne Wucher Treiben, und dieses kommt izt immer mehr auf.

Ich umarme Sie von ganzer Seele.

JGSulzer

den 20 Julij 1773.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.

Anschrift

An Herrn Profeßor Bodmer in Zürich

Einschluss und mit gleicher Sendung

Nicht ermittelter Brief von Jacob Wegelin.

Stellenkommentar

ombrageux
Übers.: »empfindlich«.
mein Neveu aus Magdeburg
Heinrich Sulzer, der in Magdeburg lebte und dort ab 1777 Bürgermeister der Pfälzer Kolonie war.
Klopstok hat auch sich meiner wieder erinnert
Klopstocks Schreiben an Sulzer ist nicht überliefert. Aus einem Schreiben Sulzers vom 18. Mai 1773 an Klopstock kann erschlossen werden, dass dieser Sulzer ein Informationsblatt für Beförderer der Gelehrtenrepublik gesandt hatte. Sulzer lehnte mit Verweis auf seine Krankheit allerdings ab: »Dieses allein wird mich hinlänglich entschuldigen, wann ich ihre Subscriptionen in Berlin nicht so befördere, wie ich zu thun wünschte.« (Klopstock Briefe 1998, Bd. 6/1, S. 55).
Sein Mercur
Wielands Der Teutsche Merkur erschien erstmals 1773.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann