Winterthur den 17 Octob.
Mein theürer Freünd.
Nun mehr bin ich ganz nahe an meinen Winterquartiren. In drey oder vier Tagen werde ich das Gartenhaus der Fr. Raths Hrn. Steinerin vor dem Schmidthor beziehen, wo ich so ziemlich nach meiner Gemächlichkeit werde seyn können. Meine größte Sorge ist jezo, die Musen dahin zu loken, daß Sie mir den Winter über eine angenehme und nüzliche Gesellschaft abgeben. An meinem Guten Willen Ihnen aufzuwarten fehlet es nicht. Ich werde sie frühe und späthe suchen, und ihnen den größten und besten Theil meiner Zeit wiedmen. Sie können kaum glauben, wie sehr ich eines Lebens müde bin, das so unthätig ist und den Verstand so sehr unbeschäftiget läßt, als das, so ich seit einem halben Jahr führe. Ihren Noah laße ich mit in diese Arch eingehen; er wird mir [→]die Stelle der Gemälde vertreten, die Raphael in der Waßer Arche gemalt hatte. Meine Anmerkungen werde ich, so wie ich es angefangen habe fortsezen, wenn Sie nur die Geduld behalten, sie in Überlegung zu nehmen, und nicht etwa dabey denken, daß ich ihre Arbeit weniger zuschäzen wiße, da ich so viel daran ausseze. Ich wäre bald ein wenig erschroken, als ich ihre Gloßen über meine ehemalige Anmerkungen, die am Rand des mitgenomenen Exemplars stehen, gelesen habe. Sie fertigen mich ab, als wenn ein geringerer Gottsched die Anmerkungen gemacht hätte, und dennoch muß ich die meisten davon wiederholen. Es ist aber doch billig, daß ein Verfaßer immer das lezte Wort über seine eigene Arbeit habe. Ich werde überall ohne Rükhaltung meine Gedanken Ihnen vorlegen, aber Ihnen überlaßen, nach ihren eigenen Begriffen und Empfindungen, die lezte Wahl zu treffen.
Es wird mich doch schweerer ankommen, als ich geglaubt habe, den ganzen Winter hier zu zu bringen. Ich werde bisweilen müßen nach Zürich gehen um einige Abändrung zu haben und wenn Sie auch wollten für einige Tage herkommen, so würde dadurch mein Aufenthalt in der Winter Arche eben so verschönert werden, als jener, wenn Raphael bisweilen in der kleinen Gesellschaft erschienen ist. Bisweilen werde ich Bücher von ihrer Bibliothek nöthig haben; dabey ohne Zweifel dieses nöthig seyn wird, daß Sie dieselben in ihrem Namen nehmen und mir zu kommen laßen. Ich wollte Ihnen zwahr diese Mühe sehr gerne spahren, wenn ich es nur anders zu machen wüßte. Vor erst möchte ich folgende am liebsten haben.
Rhetores Selecti. W. 174.
Hermogenes de Arte Oratoria Gr. Lat. W. 262.
Historiæ poeticæ Scriptor. Antiqui cura Th. Gale. W. 259.
Mit denen es aber keine Eil hat. Ich werde, wie sie leicht erachten keines ganz Lesen und also auch nicht gar zu lange behalten.
Das schlechte Wetter hat alle meine kleine Reisen, die ich noch vor dem Winter thun wollte, gehindert. Ich werde also iezt an nichts anders mehr denken, als mich in meine Werkstelle zubegeben. Leben Sie vergnügt, und empfehlen Sie mich der Fr. Profeßorin bestens.
Sulzer.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.
Herrn Profeßor Bodmer in Zürich frcò.
Siegel. – Blatt an Siegelstelle abgeschnitten.