Brief vom 25. August 1759, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 25. August 1759

Berlin den 25 Aug. 59.

Si vales bene est, ego Valeo. So wenig Worte, mein theürester Freünd sind in diesen Zeiten mehr werth, als ein langer und wolgeschriebener Brief in ruhigen Tagen. Sie müßen von mir einen Brief von 14 dieses erhalten haben, darin ich Ihnen berichtet habe, in was für Erwartung wir damals, wegen der am 12 vorgefallenen Schlacht gewesen sind. Einige Tage darauf habe ich an Hrn. Künzli geschrieben und ihm einige nähere Umstände gemeldet, wovon er Ihnen wird Nachricht gegeben haben. Ich kann Sie jezo über die weiteren Folgen dieser Sachen nicht lange in Ungewißheit laßen. Berlin hat sich von dem ersten Schreken, den ihm einige unvollständige Nachrichten gemacht haben, wieder erholt. Der König ist gesund, und wünschet nichts mehr, als daß der Feind, der durch einen Zufall von seinem gänzlichen Untergang ist gerettet worden, ihm wieder unter die Augen trete. Denn jezo sezt uns die Furchtsamkeit der Feinde in die größte Unruhe.

Der König steht mit ohngefehr 40 tausend Mann in der Gegend von Fürstenwalde, drey meilen von Frankfurth, die Rußen aber theils dießeits theils jenseits Frankfurth, ohne sich merken zu laßen, daß sie sich dem König nähern wollen. Allem Ansehen nach kann der König nicht gegen sie anrüken, weil die Oestreicher, welche an den Gränzen der Lausiz in der Gegend Mühlrose stehen, als denn einen offenen Weg nach Berlin hätten. Es ist also hier schweer eine Entschließung zufaßen. Lange kann der König nicht da stehen, wenn Er nicht die Schweden, die sich nun rühren, will nahe an Berlin sehen, und nach der Lausiz kann Er auch nicht gehen, weil sonst die Rußen Luft bekämen. Hier wird Er also seine ganze KriegsWißenschaft nöthig haben, dieses gefährlich stehende Spiel in beßere Umstände zu sezen. Zum Unglük kann man von unsrer HauptArmee unter dem Prinz Heinrich und von der oestreichischen unter Daun keine sichere Nachrichten haben. Wir leben also zwischen Furcht und Hoffnung wegen der Entwikelung dieser sehr verwikelten Scene. Doch haben wir mehr Hoffnung. Nach dem allgemeinen Zeügnis unsrer Offiziere haben die Rußen einen entsezlichen Verlust an Manschaft gelitten. Unser ehrliche Major von Kleist ist verwundet und gefangen worden. Wir wißen aber noch nicht ob seine Wunde gefährlich ist oder nicht.

Die Reichs Armee hat inzwischen Sachsen wieder eingenommen. Jezo aber gehen unsre Trupen, die in Leipzig, Torgau und Wittenberg gelegen haben, und mit einem andern Corps verstärkt worden sind, wieder nach der Elbe hin, um sie wieder zu vertreiben. Dreßden ist von den Feinden bloquirt.

Es ist ein großes Glük vor uns, daß der Prinz Ferdinand die Franzosen so mächtig wieder nach dem Rhein zu treibt. Caßel ist von ihnen verlaßen, und es ist möglich, daß er sie von Frankfurth abschneidet.

Dieses ist alles, was ich Ihnen von dem gegenwärtigen Zustand der Sachen melden kann. Ich werde Ihnen nun nicht wieder schreiben, bis sich eine merkwürdige Veränderung zugetragen haben wird.

Seyen Sie indeßen unserthalber außer Sorge, und hüten sie sich insonderheit dem Frankfurter Zeitungsschreiber zu glauben, der die Ungeheüre Nachricht schreibt, daß die Rußen eine große Menge Preüßen in die Oder gesprengt haben; solche Leüthe sind weder die Rußen noch die Preüßen.

Erfreüen Sie mich doch bald mit einem Brief. Denn jezo geht keine Arbeit recht von statten, und ich habe in meinem Leben nicht so viel lange und müßige Stunden gehabt als jezo, da ich zu keiner Arbeit aufgelegt bin.

Grüßen Sie unsre Freünde. Ich bin von Herzen der Ihrige.

S.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Anonym Über Friedrich den Großen II 1807, S. 251–253 (Auszug).

Anschrift

A Monsieur Bodmer Professeur trés celebre à Zurich frco Nrnb.

Lesarten

Veränderung
Verändrung

Eigenhändige Korrekturen

und Wittenberg
und Merselbur Wittenberg

Stellenkommentar

an Hrn. Künzli geschrieben
Nicht ermittelt. Zwischen dem 28. Juli und dem 22. September 1759 sind keine Briefe Sulzers an Künzli überliefert.
Kleist ist verwundet und gefangen worden
Kleist wurde in der Schlacht von Kunersdorf schwer verwundet, blieb eine Nacht auf dem Schlachtfeld liegen, wurde von Kosaken geplündert und starb am 24. August 1759 an seinen Verletzungen im Hause Gottlob Samuel Nicolais in Frankfurt an der Oder. Vgl. Füssel Ewald von Kleist und die Schlacht von Kunersdorf 2010.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann