Brief vom 14. August 1759, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 14. August 1759

Mein theürester Freünd.

Ich ergreiffe die erste Gelegenheit Ihnen die schweere Nachricht zu geben, daß unser große Friederich unglüklich gewesen und vorgestern den 12 August von den Rußen einen großen Verlust erlitten hat, der von betrübten Folgen seyn kann. Dieser Feind hatte sich seit 14 Tagen der Statt Frankfurth bemächtiget. Der König eilte zu Hülffe, konnte aber nicht verhindern, daß nicht eine Ansehenliche Oesterreichische Parthey zu ihnen stieß. Es kam an bemeldtem Tage, nahe bey Frankfurth jenseit der Oder bey Cunersdorff zum Treffen. Unsre Trupen hatten von 11 Uhr an des Mittags bis um 5 Uhr den Feind beständig getrieben und etliche Batterien, in allem 55 Canonen erobert. Wir bekamen zwey mal hintereinander Curire, welche uns den größten und Herrlichsten Sieg über die Feinde verkündigten: alles war in der größten Freüde, als der dritte Curier kam, welcher berichtete, daß sich alles umgekehrt. Unsre Völker waren bis an die lezte Baterie gekommen, auf welche sie, ihres Sieges gewiß voll Muth anrükten. Allein das Feüer davon war so heftig, daß in einem Augenblik einige Tausend (wie man sagt) gefallen sind. Der König, welcher zugegen war entsezte sich so sehr über dieses Blutbad, daß er befahl mit dem Sturm inne zuhalten. Die große Mattigkeit der Trupen kam dazu, und alles wiech zurüke. Dieses sind alle Umstände, die wir bis jezo von diesem fatalen Tag wißen, denn seit 24 Stunden haben wir keine Nachricht von der Armee. Ein Corps Öestreicher steht 7 bis 8 Meilen von hier, und wir vermuthen, daß dieses sich der Umstände nüzlich bedienen werde hieher zu kommen. Der Hof ist diese Nacht nach Magdeburg geflüchtet, und ein großer Theil der hiesigen Einwohner geht fort. Ich bleibe mit meinem Haus hier und sehe der Gefahr ohne große Unruh entgegen. Seyen Sie um mich und die meinige unbekümmert, wer Muth hat, der weis sich zu rathen und wer sich rathen kann, der komt allemal am besten aus der Sache. Es kann kaum ohne Wunderwerke geschehen, daß wir von Feinden befreyt bleiben. Allein da wir noch nicht eigentlich wißen, wie groß der Verlust des Königs ist, oder wie viel ihm von etwa 45 Tausend Man übrig geblieben sind, so können wir von unserm Schiksal noch keine Vermuthungen machen.

Mich schmerzt bey dieser Sache meine privat Gefahr gar nicht, denn diese verliehrt sich in der Sorge vor das allgemeine, wie ein Tropfen in dem Meere.

Wenn bis auf den nächsten Posttag kein Feind hier ist, so werde ich künftigen Sonabend unserm Freünd in Winterthur von dem geschehenen Nachricht geben, schreibe ich nicht, so wird daraus zuschließen seyn, daß der Feind hier ist. In diesem Fall müßen Sie sich mit den öffentlichen Nachrichten begnügen, bis der Weg für die Briefe wieder wird offen seyn.

Leben Sie wol mein theüerster Freünd ich grüße alle Freünde von Herzen.

Dienstags den 14 Aug. 59.

P. S. Eben da ich den Brief schließen will kommt wieder ein Courier der uns benachrichtiget, daß der König mit seiner Armee sich wieder bey Lebus an der Oder gesezt habe. Daher sind wir für feindlichem Überfall sicherer, als wir gestern glaubten. Der Verlust des Königs an todten beläuft sich noch nicht auf 2000 Mann, der bleßirten sollen an 7000 seyn, die meiste leicht bleßirt. Dem König sind 2 Pferde unter dem Leib todt geschoßen worden und eine Kugel durch den Schoos des Roks gefahren.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Anonym Über Friedrich den Großen II 1807, S. 245–247 (Auszug).

Anschrift

A Monsieur Bodmer Professeur trés celébre à Zurich frco Nrnb.

Vermerke und Zusätze

Siegelreste.

Stellenkommentar

große Friederich unglüklich
Zur preußischen Niederlage in der Schlacht bei Kunersdorf am 12. August 1759 vgl. Kunisch Friedrich der Große 2012, S. 402–405. – Bremm Der Siebenjährige Krieg 2017, S. 257–270.
eine Kugel durch den Schoos des Roks
Die Kugel prallte an der legendär gewordenen Schnupftabaksdose Friedrichs II. ab und der König blieb unverletzt. Vgl. den häufig zitierten Brief Friedrichs II. an den Etatminister Finck von Finckenstein: »Mein Rock ist von Schüssen durchlöchert, zwei meiner Pferde sind getötet; mein Unglück ist, daß ich noch lebe.« (Zit. nach Kunisch Friedrich der Große 2012, S. 405).

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann