Brief vom 10. Dezember 1757, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 10. Dezember 1757

Mein werthester Herr und Freünd.

Victoria! der König hat auch die Oesterreicher in Schlesien eben so und noch mehr geschlagen, als die Franzosen bey Roßbach. Ihre große und uns vorher fürchterliche Armee ist zerstreüt und der größte Theil ihrer Mordgeschüze in unsern Händen. Ich will Ihnen kürzlich erzählen, was seit der Schlacht bey Roßbach vorgefallen ist.

Diese Schlacht war eine der merkwürdigsten Schlachten des Königs und der Sieg einer der vollkommensten. Es ist eine zuverläßige Wahrheit, daß der König nicht 25 tausend Man stark gewesen, und eben so zuverläßig, daß die dreymal so starke Macht der Feinde zerstreüt und so aus einander getrieben worden, daß der König wenig Tage nach der Schlacht den größten theil seiner Sächsischen Armee weg geführt hat, ohne daß die geringste Gefahr gewesen, daß der Reste der geschlagenen Franzosen und Reichsvölker wieder würden etwas unternehmen können. [→]NB. Es ist ganz zuverläßig, daß dieser Sieg den König nicht hundert Todte gekostet und nicht 400 Verwundete.

Unser Held ließ nach diesem Sieg seinen Bruder den Pr. Heinrich mit einigen Trupen in Sachsen stehen. Dieser hat sie so vertheilt, daß Sachsen, nebst dem Saalkreise und dem Magdeburgischen, vor allem Überfall von Seite der Franzosen gesichert ist. Inzwischen führte der König seine kleine siegende Armee wieder gegen der Elbe und in die Lausiz, um das Corps des General Marschalls, welches vorher in die Mark eingefallen war, wieder nach Böhmen zu treiben oder zu schlagen. Marschall hielt nirgend stand, sondern eilte über Zittau nach Böhmen. Dahin konnte ihn der König nicht verfolgen, weil seine Gegenwart in Schlesien nöthiger war. Der FeldMarschall Keith aber war schon durch einen andern Weg, nämlich durch das Altenburgische und das Erzgebürg nach Böhmen voraus geschikt worden. Er bemachtigte sich der Statt Leutmeriz, wo er ein großes feindliches Magazin angetroffen und zu Grunde gerichtet, weil es in dieser JahresZeit nicht fortzubringen war. Dieses Corps befindet sich nebst dem feindlichen von Marschall noch in Böhmen, und wir wißen weiter nichts davon.

Der König zog sich also wieder aus der Lausiz linker Hand Herauf nach Naumburg an der Queiße und von da gegen Glogau hin. Inzwischen erfuhr er, daß Schweidniz übergegangen. Dieser Verlust war aus einer doppelten Ursach empfindlich, erstlich weil 5000 Man nebst einem großen Vorrath an Gelde, Munition und Lebensmitteln darin war, und hernach auch deßwegen, weil man merken konnte, daß die darin befindliche Generale ihre Pflicht nicht gethan hatten. Als es der König erfahren, soll er gesagt haben. [→]C’est une vilaine affaire, mais que faire, il faut se hater de les battre.

Durch den Verlust von Schweidniz wurden die Umstände des Herzogs von Bevern äußerst gefährlich. Dieser Herr hatte sich, durch einen überaus klugen Marsch dichte vor Breßlau gezogen und stuhnd seit einigen Wochen in einem sehr vortheilhaften Lager, wo er die Hauptarmee der Feinde von etwa 60 bis 70 tausend Man vor sich hatte. Nach der Übergabe von Schweidniz zog die Nadastische Armee ebenfalls dahin und dadurch bekam der Prinz Carl eine solche übermacht über den Herz. v. Bevern, der nur 30 tausend stark war, daß der Feind ihn den 22 Nov. angriff. Es kam zu einem der blutigsten Treffen, wobey die Feinde nach ihrer eigenen Aussage 20 tausend Todte und Bleßirte bekommen. Der brave General Ziethen ruinirte das ganze Nadastische Corps völlig. Aber unser rechte Flügel, der an den Vorstädten von Breßlau stuhnd litt auch viel dabey. Die Oesterreicher schreiben sich den Sieg dieses Tages zu. Indeßen ist gewiß, daß der Herz. von Bevern sein Lager behauptet, aber doch währender Nacht sich durch Breßlau gezogen und jenseit der Oder sein Lager genommen hat. Unsre Zeitungen laßen in der Nachricht von dieser Schlacht einige bedenkliche Ausdrüke fallen, woraus man schließt, daß der König seinen Generalen etwas sehr unverantwortliches zuschreibt. Den 24 wurd der Herzog von Bevern beym recognosciren gefangen, und der General Kiau von der Cavallerie, als der älteste nach ihm nahm das Commando über sich. Dieser besezte Breßlau mit 10 Bataillon oberschlesischen Trupen, die meist alle Catholisch sind. Die Generale in Breßlau capitulirten den 27 mit dem Feind und wolten aus der Statt ziehen, allein von den 10 Batallionen wollten nur wenige Hundert Man folgen, die andern gingen alle zum Feind über.

Dieses war ein Höchst empfindlicher Streich für den König, der indeßen sich durch nichts abhalten ließe. Er rükte mit seinem Corps immer gegen der Oder und vereinigte sich bey Prommniz mit der ehemaligen Beverschen Armee. Die Feinde rükten von Breßlau an dem König entgegen. Den vierten dieses Monats kamen die Vortrupen schon an einander und der König nahm dem Feind seine Feldbekerey weg. Den 5 aber, kam es zu einem Haupttreffen unweit Neümark vier Meilen von Breßlau. Gott gab dem König einen sehr vollkommenen Sieg. Beyde feindliche Flügel wurden völlig geschlagen, und getrennt. Der eine flüchtete nach der Gegend Schweidniz, der Andre gegen Breßlau. Noch haben wir keine Umständliche Nachricht von diesem Sieg, weil die ganze Armee mit Verfolgen des Feindes beschäftiget ist. Unser Verlust muß sehr gering seyn, weil kein einziger Offizier von Rang geblieben, sondern nur 2 leicht verwundet sind. Indeßen ist schon so viel gewiß daß wir über 8000 gefangene gemacht, und 131 Canonen erobert haben, woraus man auf das übrige den Schluß machen kan. Dem nach Schweidniz flüchtenden Theil hat der König die Reüterey nach geschikt, und den Andern hält er bey Breßlau fest, und man Hoffet, daß von diesem ein großer Theil in unsre Hände fallen werde.

Durch diesen Herrlichen Sieg wird Schlesien wieder befreyt und die feindliche Macht, welche meist ganz in Schlesien versammelt gewesen, dergestallt geschwächt, daß wir Hoffnung zum Frieden bekommen. Nach der allermäßigsten Rechnung hat der Feind in Schlesien durch die Belagerung und zwey Schlachten, in allem einen Abgang von etlich und 40 tausend Man, der sich noch sehr vergrößern wird, wenn er bey dieser JahrsZeit wieder, und zwahr eilig, nach Böhmen zurüke fliehen muß.

Freüen Sie sich, mein werther Freünd mit uns, daß wir jezo gegründete Hoffnung haben, daß Friedrich, der gewiß seines gleichen nicht hat, über seine Feinde triumfiren wird. Nun muß ich Ihnen noch mit wenigem berichten, wie es anderwerts steht.

In Sachsen ist nun mehr alles ruhig. Halberstatt ist von den Franzosen völlig verlaßen und von unsern Trupen besezt. Der Prinz Ferdinand von Braunschweig, den der König nach der ObservationsArmee geschikt hat, commandirt dieselbe en chef und hat die Franzosen schon ziemlich zurüke getrieben. Er ist zwahr nicht viel über 20 tausend Man stark, aber Richelieu auch nicht. Es scheinet daß dieser sich gegen das Heßische heraufziehen werde um sich mit dem Prinzen von Subise zu vereinigen.

Die Schweden haben unser Land geräumt und sind in ihrem Pommern voller Furcht. Die ganze Preüßische Armee, die 33 tausend Man stark ist, ist nun mehr in Pommern und an der Oder angekommen. Aber ihre Bestimmung ist bis jezo ein undurchdringliches Geheimniß. Es ist der Kern der preüßischen Macht. Ihre Märsche sind so beschaffen, daß man gar nichts von ihrer Absicht errathen kan. Dieses macht mich hoffen, daß der König eine sehr wichtige Unternehmung mit ihr vorhat.

Die politischen Schrifften, deren sie in ihrem vorigen Schreiben erwähnen sind hier sehr bekannt, es ist auch darauf geantwortet worden. Allein ich habe es nicht der Mühe werth geachtet, ihnen diese Sachen zu schiken. Wer zulezt sieget, wird auch in Schrifften recht behalten. Durch eine neüe Schrifft, welche der König auf dem Reichstag zu Regenspurg übergeben laßen, ist bewiesen, daß die Feinde den Staaten des Königs an Erpreßungen und Verwüstungen an die 60 Millionen Rthlr. Schaden gethan, wodurch erhellet, wie unverschämt das Vorgeben der Feinde ist, daß man mit unsern Ländern gelinder umgehe, als der König mit Sachsen. Leipzig hat für das ganze Land ohngefehr eine Millione baares Geld hergeben müßen.

Die Franzosen haben in Sachsen unerhörte Grausamkeiten und schändliche Bubenstüke begangen. Die Catholischen Schweizer sollen nicht die lezten gewesen seyn, die Kirchen zu entheiligen. Unter anderm haben sie die Altäre mit ihrem Koth verunreiniget, und Hernach zur Verspottung Brod in den Koth gestekt, was würden die Protestanten zu erwarten haben, wenn ein solches Volk den König von Preüßen überwunden hätte?

Die Spötterey eines gewißen Freündes über den Einfall des Gen. Haddiks ist sehr frostig, und Sie haben sie am besten wiederlegt. Der Ausgang zeiget, und wird es verhoffentlich noch ferner zeigen, daß meine Hoffnungen keine träumerischen Einbildungen gewesen. Noch halte ich den König für stark genug, Oesterreich, Frankreich und Schweden zu wiederstehen und alle zum Frieden zu zwingen. Es kann von seiner Macht, und der Beschaffenheit seiner Armee keiner Urtheilen, als wer den Staat von innen gesehen hat. Denn es sind unglaubliche Umstände dabey. Man wird auch nicht glauben, daß der König diesen Krieg, der ihn alle 14 Tage wenigstens eine Millione Thlr. kostet blos aus seinem gesparten Gelde geführt, und daß sein Land bis jezo mit keinem Pfenning neüer Auflagen beschweret worden. Indeßen ist es doch eine gewiße Wahrheit.

Bey allem diesem muß man den unüberwindlichen Muth und die unbegreiffliche Thätigkeit des Königs bewundern. Jeder andrer würde schon unter dieser Last versunken seyn. Unlängst schrieb der König an eine gewiße Dame, die Ihm zu dem Sieg bey Roßbach glükgewunscht hat, ohngefehr in folgenden Ausdrüken: Je ne puis pas encore gouter la joye. À peine ai-je fini d'un coté, qu'il faut courir de l'autre. Ne me reprochez plus, que je fais la guerre par gout. Je suis surpris de survivre à tant de peines, tant de fatigue et tant de chagrin. Plaignez un pauvre chevalier errant, que le malheur porte à faire plus de veuves et d'orfelins, que tous les autres n'ont protegés.

Was sagen sie zu der Geschichte mit Gottsched? Als der König in Leipzig war, wurde er durch Deputirte von der Universität complimentirt. Er unterredete sich mit ihnen von den Wißenschaften, von der Poesie, von der deütschen Sprache. Gottsched machte nach seiner Art viel rühmens von seinen eigenen Verdiensten, von seiner Übersezung des Bayle, des Racine, von seiner Grammatik p. Der König hat sich bereden laßen, daß dieser Duns ein Licht der Deütschen sey, und kurz hernach schikt ihm der König einige französische Stances, darin G. le cigne Saxon genennt wird. Sie können leicht erachten, wie unerhört groß der Mensch sich damit dünkt. Er hat so gleich ein Gedicht auf den StiftungsTag der deütschen Gesellschaft in Königsberg an den König geschikt, das seiner würdig ist.

Ich hoffe doch, daß Sie ihre 2 Trauerspiele uns nicht werden vorenthalten. Die Larve und das Banket habe bekommen, und werde sie jezo beßer in Acht nehmen. Aber jezo habe ich nicht Zeit. Ich muß auf des Königs Geburths Tag, den 24 Jan. eine deütsche Rede halten, die mir viel zu schaffen macht, weil mich die Natur nicht zum Redner gemacht, und der Gegenstand mich noch dazu schrekt.

Wieland hat also ohne Zweifel den Cyrus selbst zu seinem Helden gewählt. Ich sehe ihm mit Ungeduld entgegen.

Ich habe einige Rapsodien von Hexametern laßen in Musik sezen u. werde ihnen bey Gelegenheit diese Stüke schiken, die sehr wol gerathen sind.

den 10. Decemb. 1757.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Anonym Über Friedrich den Großen II 1807, S. 68–74.

Vermerke und Zusätze

Auf der letzten Seite »Trauerspiele«, »Larve«, »Banquet«, »Cyrus« vermutlich von Bodmer geschwärzt und unkenntlich gemacht.

Lesarten

genennt
genannt

Eigenhändige Korrekturen

NB. Es ist [...] Verwundete.
|NB. Es ist [...] Verwundete.|

Stellenkommentar

Schlacht war eine der merkwürdigsten
Zur Schlacht von Roßbach am 5. November 1757 und zum preußischen Sieg über die Franzosen vgl. Bremm Der Siebenjährige Krieg 2017, S. 154–165.
C'est une vilaine affaire
Übers.: »Es ist eine häßliche Sache, aber was tun? Wir müssen uns beeilen, sie zu besiegen.«
recognosciren
Auskundschaften. August Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg geriet bei einem Erkundungsritt in Gefangenschaft, aus der er 1758 wieder entlassen wurde.
General Kiau
Friedrich Wilhelm von Kyaw.
in folgenden Ausdrüken
Übers.: »Die Freude kann ich noch nicht genießen. Kaum habe ich auf einer Front abgeschlossen, muss ich zur anderen eilen. Werfen Sie mir nicht mehr vor, dass ich den Krieg aus Geschmack führe. Ich staune, dass ich so viele Schmerzen, so große Last und so großen Kummer überlebe. Bemitleiden Sie einen armen irrenden Ritter, den das Unglück zwingt, mehr Witwen und Waisen zu machen, als alle anderen Ritter geschützt haben.«
einige französische Stances
Friedrich II., Vers de Sa Majesté le Roi de Prusse, addressés à Mr. Gottsched, 1757. Darin bezeichnete Friedrich II. Gottsched als »le Cygne Saxon« (»der sächsische Schwan«). Gottsched, der dem König bei weiteren Treffen in Leipzig begegnete, verfasste daraufhin eine Allerunterthänigste Antwort an S. K. M. in Preußen, den 27. Okt. persönlich überreicht von Johann Christoph Gottscheden. Vgl. Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit, Februar 1758, S. 122–138.
einige Rapsodien von Hexametern
Nicht ermittelt. Sulzer ließ schon in seiner Magdeburger Zeit Lieder vertonen. An Gleim schrieb er am 20. August 1745: »Ich habe eines von ihren Liedern, Singt Ihr Dichter, singt und lobet in Noten sezen laßen, wie Hallers Doris. Ich spiele sie und Phyllis singt dazu.« (GhH, Hs. A 4058).

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann