Brief vom 8. Februar 1751, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 8. Februar 1751

den 8 Februaris 1751.

Wie angenehm war es mir neülich statt eines bloßen Briefs, den ich von Ihnen mein werthester Freünd, erwartete ein großes Paket zu erhalten, und mit was für Freüde sah ich darin nicht nur die Gesänge vom Noah, sondern auch noch den neüen Gesang von Joseph. Ich bin Ihnen für beydes so sehr verbunden, als ein Höfling seinem König für die beste Ehrenstelle. Ich habe mich im Noah schon ofte müde, aber noch nicht satt gelesen, und weiß jezo keine angenehmere Beschäfftigung als dieses, da ich ihn meiner liebsten Freündin laut vorlese und dabey alle Augenblike Gelegenheit nehme, das Lesen zu unterbrechen um sie von meinem werthesten Freünd mit angenehmen Reden zu unterhalten. Ich habe viele besondere Stüke schon etliche mal mit immer neüem Vergnügen gelesen, und das ganze Gedicht heüte, den vierten Tag nach dem ich es empfangen zum zweyten male ganz vollendet. Dieses wird mich desto eher in Stand sezen, ihnen über alles, auch selbst wo sie es nicht begehren meine Gedanken zu schreiben, die Sie denn brauchen können oder nicht, je nachdem sie gründlich sind oder nicht.

Überhaupt finde ich von dem Kometen und andern Astronomischen Dingen beynahe nichts zu erinnern. Sie haben alles mit so viel Wißenschafft als Klugheit angebracht. Doch wünschte ich, daß Sie die viele Wißenschafft der Astronomie und Naturlehre, ofte mit beßrer Vorbereitung und bisweilen mit leichterer und angenehmerer Einkleidung und Ausdrükung angebracht hätten. Doch hievon so wol, als von andern Artikeln, werde ich Ihnen ein andermal weitläufftiger schreiben, in dem ich meine Anmerk. aufschreibe. Ich sage Ihnen nichts von den Entzükenden Stellen, weil ich hoffe, Sie trauen mir zu, daß sie mir nicht entgangen. Es hat jemand, dem ich ein Stük vorgelesen, Tages darauf mit ernsthaffter Mine zu mir gesagt: Wahrhafftig man hat Lust fromm zu werden, wenn man dies Gedicht ließt.

An dergleichen seeligen Früchten, die weit höher sind, als der Ruhm des Wizes, wird es ihrem Gedicht nicht mangeln. Vom Joseph sage ich nichts, weil ich ihn jezo nur noch flüchtig gelesen.

Meine Liebste trägt mir auf, Ihnen in ihrem Nahmen so viel verbindliches und zärtliches zu sagen, als ich weiß, daß sie für Sie fühlet, aber sie soll Ihnen einandermal selbst so viel sagen, als sie kann. Von den Charaktern der Frauen gefällt ihr der Happuch ihrer am besten, weil er dem ihrigen am nächsten kömmt. Der Charakter des Philokles hat sie vorzüglich gerührt. Ich habe ihr versprochen, ihr das Vergnügen zu machen, den Dichter ihr von Person kennen zu laßen, deßen Herz und Geist, sie über alles verehrt. Unter deßen aber, können Sie, mein werthester, ihre Freündschafft gegen uns auf keine angenehmere Art versieglen, als wenn Sie uns ihr Portrait schiken. Wenn ich wählen därff, so wähle ich das gemalte, theils weil es schon zum verschiken bey Ihnen fertig liegt, theils, weil es sich zu den Bildern unsrer Freünde von Winterthur schikt, die ich neülich bekommen habe. Sie sollen Mitten zwischen Waser und Künzli stehen. Ich will schon verhintern, daß es nicht ausblaßt.

Die Nachrichten von K. sind mir betrübt, nicht nur seinethalber und des Ärgernißes halber den er giebt, sondern auch deßwegen, weil Sie sich dadurch betrüben. Ich erwarte mit Verlangen auf die Guten Würkungen, die der Brief von Hr. S. haben werde.

Ich bitte mich dero werthester Fr. Liebsten und Herrn Can. Br. zu empfehlen und verharre ihr getreüster

Sulzer.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.

Anschrift

Herrn Bodmer, Mitglied des großen Raths und Profeßor in Zürich.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Bodmers auf der Umschlagseite: »IX. 23. Aber der theil der sich jenseits des Erdballs verbreitet – fragt sich, ob diser theil damals auch tag gehabt habe; als ihn Noahs Theil hatte.« – Siegelreste.

Eigenhändige Korrekturen

Der
Sie können Der
unsrer Freünde
meiner unsrer Freünde

Stellenkommentar

Happuch ihrer
Zu Kerenhapuch siehe Kommentar zu Brief letter-sb-1750-03-10.html.
Charakter des Philokles
J. J. Bodmer, An Philokles. In: Critische Lobgedichte, 1747, S. 133–136.
zwischen Waser und Künzli
Vgl. Sulzer an Künzli, 15. November 1750: »Ihre Portraits habe ich noch nicht erhalten, aber ich habe schon einen Plaz dazu ausersehen, den sie zieren sollen. Ich habe eine schöne und sehr angenehme StudierStube, und sie wird durch diesen Zusaz mir um ein beträchtlichers angenehm werden. Ich habe schon in Zürich gemerkt, daß unser Waser sich zu dem kleinen Häuflein derer neigte, die Klopstoken nicht unrecht geben wollten, weil sie sonst Bodmer recht geben müßten.« (SWB, Ms BRH 512/72). Von Waser und Künzli existiert zudem ein Doppelporträt aus späterer Zeit (Tafel 7). Um welche Einzelbildnisse es sich hier handelt, konnte nicht ermittelt werden. Sulzer legte sich im Laufe der Jahre eine Porträtgalerie seiner Freunde an, die allerdings nicht überliefert ist. Ramler zufolge befand sich darin auch »ein gemahltes Porträt von Leibnitz« (Schüddekopf (Hrsg.) Briefwechsel zwischen Gleim und Ramler 1906, Bd. 1, S. 351). Vgl. auch Sulzer an Künzli, 1. Oktober 1756: »Ich habe schöne Portraite von Newton, Leibniz und Wolffen, in deren Gesellschaft Sie nebst unsern andern Freünden mein Cabinet zieren. Vielleicht bringe ich es so weit, daß ich diese Männer auch für Sie werde malen können.« (SWB, Ms BRH 512/72).

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann