Brief nach dem 14. November 1749, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: nach dem 14. November 1749

Mein Herr und werthester Freünd.

Ich habe heüte das Mst. vom Noah in die Drukerey geschikt. Ich hätte auch ohne ihr Verbot mich nicht unterstanden das geringste darin auszulaßen, oder zu ändern, ich habe in allem nur etwa 4 Silben geändert um gewißen Wörtern, die entweder verschrieben waren oder sich undeütsch endigten einen beßern Werth zu geben, doch ohne der quantität zu schaden. Ich hoffe, daß Sie dieses gut heißen werden.

Meine Einwürffe habe ich nicht meinerselbst, sondern andrer wegen gemacht, von denen Sie dieselbe erwartet haben, und wenn auch ich gleich mit ihrer Antwort zufrieden bin, so werden es gewiß 34 von ihren Lesern nicht seyn, quantum video. Mich dünkt, daß Sie die Begebenheiten der ersten Welt mit völligem recht aus der Mythologie hätten nehmen können, so wo Sie einiges daraus genommen haben. Insonderheit da einige, als Whiston wahrscheinlich gemacht hat, daß einiges davon würklich aus antediluvianischen Historien entstanden, daß z. E. der Riese Typhon einer gewesen, der in der Sündfluth umgekommen p. Aber Sie müßen besondere Ursachen gehabt haben, es nicht zu thun. Wenn aber ein Mensch im Stande ist auch neüere Thorheiten und Laster, nach dem Charakter der erstern Welt zu malen, so müßen Sie es seyn. Wenigstens kenne ich niemanden, dem ich so viel natürliche Sitten und Reden zu erdenken zutraue, als die sind, die man gleich in dem 1 Buch antrifft.

Einwürffe aus der Physic könnte ich Ihnen bis dahin gar nicht machen, wenn ich auch Lust zu zanken hätte. Sie verrathen ja mehr physicalische Einsichten, als ich vielleicht selbst besize. Was den Cometen anlangt, den Sie wollen kommen laßen, so würde ich Ihnen sehr davon abrathen, wenn Sie nicht ein Gedicht schrieben, und auch in dem Gedichte selbst bitte ich Sie nur nicht alles von Whiston anzunehmen. Sein ganzes Systema ist sehr unwahrscheinlich und vieles darin ist würklich ungereimt, als was er von dem Schweif sagt. Denn es ist leicht zu beweisen, daß alle Materie des Schweifs, wenn er aus lauter wäßrigen Dunsten bestühnde, vielleicht kaum einen Eimer voll Waßer gäbe. Sie können ihn herkommen laßen woher Sie wollen, denn einige bewegen sich von Abend gegen Morgen, andre im Gegentheil, einige von Norden nach Süden, andre im Gegentheil. Aber nach ihrem System, war damals das was jezo Süd und Norden ist p. anders. Sie könnten auch eine andre viel wahrscheinlichere Sache sehr schön anbringen, nämlich, daß im Anfange der Aufgang der Sonne in Norden gewesen, und daß die Sonne ihre Bahn nach und nach ändert, bis daß sie ganz mit dem Æquator wird einfallen, zu welcher Zeit alsdenn, gleich wie im Anfange der Dinge immer einerley Jahres Zeiten seyn werden p. Sie können aber unmöglich den Cometen der Erde ganz nahe kommen laßen, denn wenn er infra regionem lunarem kömmt, so muß er entweder mit der Erde in einen Klump zusamen gehen, oder er muß ein Satelles telluris oder diese ein Satelles cometæ werden, die einmal établirte Geseze der Bewegung bringen dies nothwendig mit. Ich werde aber ihre besondere Stellen beßer beurtheilen können.

Wenn ich Ihnen Einfalle zu Erweiterungen geben sollte, so müßte ich selber ein poetisches Genie haben. Das habe ich aber nicht. Nur dieses fiel mir bey dem 2 Gesang ein, daß es in dem Anfang mehr leben würde bekommen haben, wenn Sie den Engel dem Noah hätten erzählen laßen, was im Himmel seiner Sendung halber vorgegangen. Da hätten Sie auch können Götter sprechen laßen. Vielleicht wäre auch das angenehme des 2 Gesanges zu vermehren, wenn Länder und Stätte dahin sie gekommen etwas umständlicher beschrieben würden. Dieses würde insonderheit neü geworden seyn, wenn Sie den Ländern andre Climata gegeben hätten, als sie jezo haben. Daß die Länder die jezo warm sind, damals kalt gewesen wären p. Ich begreiffe aber wol, daß die Sache viel Schwierigkeiten haben würde.

Wenn ich Hr. P. Heßen Lob übertrieben genent habe, so habe ich nicht seine Empfindungen getadelt, sondern nur das, daß er sie öffentlich gesagt hat. Stellen Sie sich in Klopstoks Stelle, was werden Sie denken, wenn Sie diese Schrift lesen? Ich gestehe Ihnen, daß ich, wenn ich Klostok wäre, mich vor Hr. P. Heßen nicht zeigen dürffte. Ich würde alle Exemplare seiner Schrift an mich kauffen um sie dem publico zuentziehen, damit ich nicht an allen orten, wo man sie hätte erröthen müßte. Ich habe gewiß eine sehr hohe Idée von ihm, aber ich würde mich nicht unterstehen ihm dieselbe vorzumalen. Hernach ist unstreitig, und ich weis es aus der Erfahrung, daß diese Schrifft Klopstoken und seinem Gedicht Schaden thun. Viele Leüte sagen, [→] qui dit trop, ne dit rien. Neülich war jemand in Magdeb. krank und war beynahe im Begriff nach Berlin zureisen um sich von Dr. Lieberkuhn curiren zu laßen. Ein Berliner der dazu kam, machte so viel Rühmens von diesem Medico, daß der Patient sich entschloß zu Hause zu bleiben, man hatte ihm jenen zu sehr gerühmt. Dergleichen Leüte sind noch mehr in der Welt. Leüte die die Messiade halb anbeten haben mir vorgeworffen, das Schweizerische Lob habe ihn verdorben. Man hat zum Beweis angeführet, daß er seinen Verleger Hemmerde sehr cujonnirt habe. Er hat ihm erst seine Arbeit versprochen, wenn er ihm 3 Rthlr.. pro Bogen geben wollte. Hemmerde accordirte. Etliche Tage darauf schreibt Klopst. er müßte ihm auch für jeden Bogen der 3 vorigen Gesänge so viel geben; accordirt. Bald darauf schreibt er wieder er wolle 5 Rthlr.. pro Bogen haben und bey jeder neüen Auflage 3 Rthlr.. mit dem Beding, daß niemal mehr, als 600 exempl. gedrukt werden p. Dies hat mir jemand geschrieben, der pretendirt seine Briefe hierüber gelesen zu haben. So erwekt das allzugroße Lob den Neid, daß man zu tadeln sucht, wo man vorher nicht daran gedacht hat.

Die Fabeln, die Hr. Lange Ihnen angerühmt sind von Hamburg gekommen, und nach dem Ausspruch der hiesigen Criticorum sehr elend. Mich dünkt daß Hr. Gleim nicht unrecht hat, wenn er sagt, Lange sey ein elender Scribent geworden. Ich höre und sehe nichts mehr von ihm. Er hat mich sozusagen gezwungen meine Correspondenz mit ihm aufzugeben. Hr. Gleim ist kaum in Umständen was beßeres zu machen, als Tändeley. Er wohnt an einem ort, wo die schlechteste Art von Leüthen sind und ist gezwungen ofte mit ihnen umzugehen. Er könnte 10 mal weniger klug seyn, als er ist, ehe er aufhörte an seinem ort der klügste zu seyn. Ich bedaure ihn. Wäre er hier geblieben, so hätte er à tous egards zugenommen, dort muß er abnehmen.

Hr. Ramler polirt so lange an Kleists Frühling, daß es wieder Sommer werden kann, ehe er damit fertig wird.

Ich habe mit Ramlern, Sucro und noch ein paar Freünden eine neüe Gel. Zeitung auszuarbeiten übernommen. Sie würden uns sehr verbinden, wenn Sie uns bisweilen einen Briefen auffangen ließen. Wenn Sie wichtige nova haben, so wollte ich sehr bitten sie uns zuzuschiken, das porto das Sie etwa ausgäben, sollte willigst restituirt werden. Wir werden mit dem N. Jahr anfangen.

Sulzer.

Da wir unsre N. Zeitung so gut wollen machen, als möglich ist, und der Verleger keine Umkosten spahren wird, so wäre uns sehr mit guten Aufsäzen und critischen Nachrichten gedienet. Ihnen können wir gar nichts zumuthen, wenn Sie uns aber einen weg anzeigen könnten solche, insonderh. auch aus Italien zu bekommen, so würden wir Ihnen viel Dank wißen.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – E: Körte 1804, S. 118–122

Anschrift

A Monsieur Le Professeur Bodmer.

Vermerke und Zusätze

Siegelreste.

Eigenhändige Korrekturen

verschrieben waren oder
verschrieben ⌈waren⌉ oder
ist sehr
ist zwahr sehr
laßen woher Sie
laßen ⌈woher⌉ Sie
es in dem Anfang mehr leben
es ⌈in dem Anfang⌉ mehr leben
weniger
düm weniger

Stellenkommentar

Klostok
Verschreibung Sulzers. Gemeint ist Klopstock.
qui dit
Übers.: »Wer zu viel sagt, sagt nichts.«
Dr. Lieberkuhn
Der Mediziner Johann Nathanael Lieberkühn war nach Aufenthalten in Leiden, London und Paris als niedergelassener Arzt und Anatom in Berlin tätig.
seinen Verleger Hemmerde
Klopstocks Verleger Carl Hermann Hemmerde hatte 1749 einen Nachdruck von Der Meßias, ein Heldengedicht veranstaltet und darin auch Georg Friedrich Meiers Beurtheilung des Heldengedichts, der Meßias und Johann Caspar Hess' Zufällige Gedanken aufgenommen.
Fabeln, die Hr. Lange Ihnen angerühmt
[M. G. Lichtwer], Vier Bücher Aesopischer Fabeln, 1748. Vgl. Lange an Bodmer, Laublingen, 20. April 1749 (ZB, Ms Bodmer 4.2): »Wie sehr die Deutschen nun den Alten nahen, zeiget nebst dem Messias, auch ein ungenannter Verfasser Aesopischer Fabeln, die in 4 Büchern eingetheilt sind. Wenn ich anders urtheilen kann, so gebe ich dieser Schrifft den Vorzug vor alle, die wir in dieser Art haben, nach ihm kommt Hr. Meyer von Knonau, und denn Hr. Gellert. Ich weiß, daß Ihre Freude über diese Schrifft dem Werth derselben beykommen, und also sehr groß sein wird.«
eine neüe Gel. Zeitung
Gemeint sind die Critischen Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit, die von 1750 bis 1751 erschienen. Vgl. dazu Goldenbaum Ramler als Mitherausgeber 2003.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann