Brief vor dem 1. Dezember 1749, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: vor dem 1. Dezember 1749

Mein Herr und werthester Freünd.

Da Hr. Schultheß mir sagt, daß er an Sie schreibe, so bediene ich mich dieser Gelegenheit auch einige Minuten mit Ihnen zu sprechen. Wir haben ihre lezte Briefe erst vergangene Woche bekommen. Der Zusaz zum Pygmalion kam zu späthe. Von dieser Art Zusäze hätte man noch viel machen müßen um der Fabel wahrscheinlichkeit zu geben. Aber eben dieses viele schrekte mich ab anzufangen, weil man an vielen Zusäzen eher zweyerley Federn gemerkt hätte, als in wenigen.

Hr. Simonetti, nunmehriger Prof. in Frankfurth hat dem Dunzen Krause glüklich nachgebetet, daß diese Übersezung fast für ein Original könne gehalten werden. Solche Leüte dirigiren hier den Geschmak des Publici. Hr. Sak hat großen Geschmak an dem Pygmalion gefunden. Ich wundre mich nicht, daß Sie etwas kaltsinnig gegen ihn geworden, nach dem Sie den Noah geschrieben haben. Wir machen hier anstallten die 2 ersten Bücher druken zu laßen. Ich war willens um den Verdacht des Verfaßers halber auf eine Zeit lange desto ungewißer zu machen ein Avertissement von wenig Zeilen dazuzuthun, wenn Sie aber das 3 Buch in Zürich druken laßen, so möchte etwa daßelbe das Avertissement zu Schanden machen. Also bleibt es weg. Schreiben Sie doch bald, was für einen Format Sie nehmen wollen, damit wir uns danach richten können. Ob es Opizens, oder der Critischen Lobgedichte oder der Critischen Briefe Format seyn soll. Ich erwarte mit der größten Ungeduld die Söhne des Noah, als Freyer zu sehen. Wie viel Schönes werden Sie da anbringen? Das Gemüthe hat bald nach dem 2ten Buch einer Besänfftigung nöthig. Wird dem epischen Gedicht nicht auch die Regel vorgeschrieben, welche in der großen Musik so nothwendig ist, und die die Abwechslung des sanfften mit dem starken, des geschwinden und des langsamen bestimmt. Homer hat sie gewiß nicht gehabt. Mich dünkt man wird von Schlachten und Zweykämpfen gar zu müde ehe angenehmere Vorstellungen succediren.

Nun sind Uzens Lieder endlich an des Tages Licht gekommen. Sie werden Sie vermuthlich nun auch haben. Wie schlecht kömmt mir Haller in s. Vorrede zu den Werlhoffschen Gedichten vor! –

Henzis Helden Muth hat mich recht sehr gerühret. Kann man s. Messagerie du Pinde noch haben? Wäre es nicht thunlich eine Saml. seiner Schrifften zu machen? Wenn Sie jezo nicht so viel Arbeit vor sich hätten, so würde ich suchen Ihnen Lust zu machen noch eine Fabel zu machen, nach art des Pygmalions, da Pyrha und Deucalion die Helden wären. Das Sujet wäre viel schöner Gedanken und Einfälle fähig. Ich muß enden.

Ich verbleibe von ganzem Herzen

Ihr ergebenster Dr.
Sulzer.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a.

Stellenkommentar

Haller in s. Vorrede
Albrecht von Hallers Vorrede zu Paul Gottlieb Werlhof, Gedichte herausgegeben von der deutschen Gesellschaft in Göttingen, 1749.
Pyrha und Deucalion
Der griechischen Mythologie zufolge war Deukalion Sohn des Prometheus und Gemahl der Pyrrha. Die Geschichte der Eheleute erinnert an Noah und die Sintflut in der Bibel. Beide überleben als einzige eine von dem Göttervater Zeus gesandte Flut (»Deukalionische Flut«) in einem selbstgebauten kleinen Schiff. Die Geschichte wird u. a. im ersten Buch von Ovids Metamorphosen (Vers 208–415) erzählt.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann