Mein Herr und werthester Freünd.
Dero geehrtes Schreiben auf die Michaelsmeße habe zu späthe erhalten, um noch durch die Meßleüte eine Antwort darauf zu schiken. Ich hoffe indeßen, daß Sie mein leztes Schreiben nun werden erhalten haben. Sie werden schon zur Genüge daraus sehen, daß ich selbst für Hr. Langes Ehre mich intreßire und deßwegen wünschte ihn etwas bedachtsamer zu machen. Ich habe mit Hr. Gleim schon vor langem die Anmerkung gemacht, daß er sich ofte bis an dem Horaz erhebt und bald darauf wieder fast bis zu dem Teutopoch herunter fällt. Ich wünschte daher, daß ich die alte Vertraulichkeit zwischen ihm und Hrn. Gl. wieder herstellen könnte, und arbeite nun würklich daran. Denn Gleim ist ein beßerer Criticus für ihn, als der Hr. M. Meyer. Daß Gedicht auf den Feldzug des Fürsten von Deßau liegt von selbst. Er hat gesehen, daß er die Sache zu groß angefangen hat, und was er nicht in der ersten Hize ausmacht und völlig zustande bringt, das bleibt hernach für immer liegen. Die Übersezung des Horaz macht er gewiß zu eilfertig indem er ofte Stans pede in uno vier oder 5 oden übersezt. Ich werde so viel, als möglich, wenn er fortfahren sollte, darüber wachen, daß das Exemplar dem Hrn. M. Meyer nicht in die Hände fällt.
Ich fürchte, daß man des seel. Pyra nicht so leichte werden zu bekommen seyn. Hr. Lange hat sich zwahr Mühe gegeben, aber er kann nichts thun. Gleim könnte es beßer. Aber Lange würde dieses nicht gerne sehen. Aufrichtig von der Sache zu sprechen. Diese beyde sind eyfersüchtig auf einander, und jezo versaümt Gleim alles um einer Bedienung nach zu lauffen. Könnte er diese in Berlin erlangen, so wäre es ihm leichte, einen großen Hrn. zu finden, der sich dieser Sache annähme.
Ist Ihnen der Hr. v. Kleist bekannt. Es stehen in dem 6 Theil der Leipziger Belustigungen zwey Stüke von ihm, darunter eines die Sehnsucht nach der Ruhe betittelt ist. Wenn dieser etwas mehr aufgemuntert würde, so glaube ich, daß Deütschland mit der Zeit einen trefflichen Poeten an ihm haben würde. An die Gottschediana habe ich selber schon sehr ofte gedacht. Hätten sie aber nicht in Zürich genug junge Leüte, die das Werk über sich nehmen könnten. Hier wollten wir es druken laßen. Die Samlung aus den Tragödien von dem Verhalten der Leidenschafften, wäre ein sehr schönes Werk. Wenn ich einmal mehr Muße haben werde, so wäre dies eine Arbeit für mich. Destouches würde meines Erachtens auch Stoff dazu geben.
Den Mädchen Freünd werde ich nicht vergeßen. Ich habe angefangen ein paar Stüke zu versuchen, aber ich muß nothwendig erst mehr Zeit haben, ehe ich weiter gehen kann. Ich wollte die Fables of the femal Sex selbst dazu anschaffen. Der Perroquet der in Frankf. am Mayn herausgekommen, würde mir auch dienen. Kennen sie den Verfaßer dieser Wochenschrifft nicht? Sie dünkt mich sehr geschikt zu seyn, dem Frauenzimmer Lust zum Lesen zu erweken. Ich habe gemerkt, daß unser Frauenzimmer sich sonderlich an alten Liebes Histörchen ergezt, weil sie den ungekünstelten Wiz und die natürliche Galanterie der alten Grichen und Römer bewundern. Ich möchte also gerne alle Schrifften der alten kennen und haben, wo etwas dergleichen anzutreffen ist.
Ich schike durch Hrn. Waser dem Hrn. Orell das Mst. für eine stark vermehrte ausgabe meines Versuchs von der Erziehung. Hr. Waser wird sich des Druks nicht annehmen können. Ich wollte Sie also gebeten haben, den Hrn. Orell wenn es nöthig ist zu vermahnen, daß er dafür sorget, daß das Werkgen sauber und Correct heraus kömmt und nicht zu lange liegen bleibet. Muß es noch einmal durch die Censur gehen? Ich fürchte, daß einige Stellen keine Gnade erlangen werden, und möchte doch nicht gerne was geändert haben.
Hr. Waser wird ihnen ohne Zweifel einen Brief von Hrn. Sak gelesen haben, den ich ihm geschikt habe. Können Sie die Sache befördern helffen, so werden sie mich verpflichten. Es mag aber damit gehen, wie es will, so werde ich Gel. G. auf künfftiges Frühjahr nach der Schweiz kommen und von da wieder nach Berlin reisen. Hr. Euler hat mir geschrieben, daß, wenn die jungen Hrn. auch nicht bey ihm logiren wollten, sie in seiner Nachbarschafft schöne und wolfeile quartire und gute Tische haben könnten. Wenn also ihrer etliche wären, die sich zusamen ein Haus miethen wollten, und unter der Aufsicht eines Gouverneurs stünden, der ihnen zugleich collegia lesen könnte, so würden sie in Berlin sehr gut seyn können.
Ich verbleibe dero
ergebenster Diener
JGSulzer.
Magdeb. den 28 Octob. 46.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.