Brief vom 10. Januar 1745, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Datum: 10. Januar 1745

Hochedler, Hochgelehrter p.
Insonders Hochgeehrter Herr.

Es war mir sehr lieb von E Hochedl. zu vernehmen, daß die Nachrichten, die ich zuzeiten durch Hrn. Waser an Sie gelangen laßen nicht unangenehm gewesen; Ich werde mich bemühen, daßelbige auch ins künfftige so viel mir möglich ist zu thun. Mich dünkt doch, daß der gute Geschmak nach Graden anfängt in hiesigen Gegenden emporzukommen. Zum wenigsten habe ich hier noch niemanden gesprochen, dem die neüen critischen Schrifften bekannt sind, der nicht den großen Vorzug der Schweizerischen critischen Schrifften vor den Leipzigischen erkennt. Die neüen Fabeln haben hier auch nicht überall den Beyfall, den sie verdienen, mir gefallen sie überaus wol. Hr. Gleim hat mir geschrieben, daß er dieselbe mit großen Vergnügen gelesen habe. Wenn sich hier einige Tadler öffentlich einfinden sollten, so würde ich mich nicht enthalten können, mich derselben anzunehmen; denn mich dünkt, daß ich demonstrative Gründe habe, den Werth derselben zu behaupten.

Der Hr. Pastor Lange von Laublingen, hat mir, noch ehe er den Brief von E Hochedl. empfangen, berichtet, daß er die Verfaßer der hällischen Bemüher kenne und hat mir einige genennt, allein ich habe den Zeddel, worauf sie stuhnden Verlohren. Sie sollen nur auf ordre ihres Verlegers schreiben, und nichts hinein bringen dörffen, als was er gerne haben will. Hr. Lange wird nächstens einmal herkommen, da ich denn den Anlas haben werde mit ihm in nähere Bekanntschafft zu kommen. Der Brief an Hr. Hagedorn mit den freyen Nachrichten ist richtig bestellt geworden, ich habe zu gleich auch ein Briefgen an ihn geschrieben, und ihm meine Dienste angeboten, wenn er etwa was nach der Schweiz schiken wollte, weil ich hier öfters Anlas dazu habe. Morgen werde ich einige Blätter von den freyen Nachrichten nach Leipzig schiken, daß sie an den Hr. Rost nach Dreßden bestellt werden.

Ich erwarte alle Tage von Hrn. Gleim zwey ernsthaffte Gedichte die er mir hier vorgelesen hat und die mir sehr wol gefallen. Sie heißen die Bürger und die Schäffer Welt. Er glaubt, daß der 12 Theil von der Sammlung Critischer und Geistvoller Schrifften, entweder noch nicht nach Leipzig gekommen, oder dort confiscirt geworden, weil er ihn nicht hat bekommen können.

Haben Sie den critischen Allmanach gesehen? Es steht darauf Gedrukt in Winterthur, auf umkosten der critischen Gesellschafft. Ich hätte bald die Feder ergriffen und deßwegen einen Brief an die erdichtete critische Gesellschafft in Winterthur geschrieben, allein die Schrifft kam mir doch allzu Läppisch vor, als daß ich so viel Mühe deßwegen genommen hätte. Ich muthmaße aus einigen Anzeigungen, daß Hr. Gottschede der Verfaßer davon ist.

Hiermit habe die Ehre zu verbleiben

Hochedler, Hochgelehrter p.
Ins. Hochgeehrter Herr

Magdeburg den 10 Jan. 45.

An den Hrn. Prof. Breitinger bitte E. Hochedl. unbeschwehrt meine gehors. Empfehlung zu machen.

Die freye Nachrichten haben hier auch Liebhaber gefunden, wenn sie continuiren, so werde ich sehen, daß ich sie wenigstens alle viertel Jahr hieher kriege.

P. S. Ich höre daß Hr. Dr. Haller willens ist künfftigen März nach der Schweiz zureisen.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.

Anschrift

Herrn Bodmer, Mitglied des großen Raths und Profeßor p. in Zürich

Vermerke und Zusätze

Vermerk Bodmers auf der Umschlagseite am unteren Rand: »habe ihm den 1. Th. Opiz mit 1. feuille Misodeme gesandt nebst hiesigen freyen Nachrichten«. – Vermerk einer weiteren Schreiberhand auf der ersten Seite: »*) Meyers von Knonau«. – Siegelreste. – Siegelausriss.

Stellenkommentar

neüen Fabeln
Bodmer hatte 1744 Ein halbes Hundert Neuer Fabeln von Ludwig Meyer von Knonau mit einer eigenen Vorrede herausgegeben.
Hr. Gleim
Der erwähnte Brief Gleims ist wie alle seine Briefe an Sulzer nicht erhalten. U. a. im Gleimhaus Halberstadt und in der Krakauer Jagiellonen-Bibliothek werden allerdings mehr als 100, weitgehend unveröffentlichte Briefe Sulzers an Gleim aufbewahrt. Zu Gleims und Sulzers Briefen siehe Pott Sulzer und Gleim 2018.
Verfaßer der hällischen Bemüher
Die in Halle bei Carl Hermann Hemmerde verlegten Bemühungen zur Beförderung der Critik und des guten Geschmacks gaben Christlob Mylius und Johann Andreas Cramer heraus.
ein Briefgen an ihn geschrieben
Ein Brief Sulzers an Friedrich von Hagedorn aus diesem Zeitraum ist nicht überliefert. In der SUH befindet sich ein Schreiben Sulzers vom 27. Oktober 1745. Dieses begleitete ein »mitkommendes Päkgen von Hrn. Pr. Bodmer«, das Sulzer allerdings »allzu späthe erhalten« hatte (SUH, NFH: 107: 1–2).
freyen Nachrichten
Das seit 1744 von Bodmer herausgegebene Journal und Rezensionsorgan Freymüthige Nachrichten von neuen Büchern und andern zur Gelehrtheit gehörigen Sachen.
Rost nach Dreßden
Johann Christoph Rost, der 1742 Schäfererzählungen und 1744 Versuch von Schäfergedichten und andern poetischen Ausarbeitungen publizierte. Rost war ursprünglich ein Schüler von Gottsched, stand aber bald in Opposition zu ihm und griff ihn in dem satirischen Gedicht Das Vorspiel offen an.
die Bürger und die Schäffer Welt
J. W. L. Gleim, Die Schäferwelt, 1743. – Ders., Die Bürgerwelt, 1744. Handschriftliche Manuskripte oder Einzeldrucke nicht ermittelt. Die Gedichte wurden erst 1811 im Rahmen der Sämmtlichen Werke Gleims publiziert.
Sammlung
Bodmers und Breitingers Sammlung critischer, poetischer, und andrer geistvollen Schriften, zur Verbesserung des Urtheils und des Wizes in den Wercken der Wolredenheit und der Poesie erschien in den Jahren 1741 bis 1744 und umfasste insgesamt zwölf Stücke.
critischen Allmanach
Neuer critischer Sack-, Schreib- und Taschen-Allmanach auf das Schalt-Jahr 1744 / gestellt durch Chrysostomum Mathanasium, Winterthur 1744. Die Satire richtete sich gegen Bodmer, Breitinger und Pyra.
Hr. Gottschede der Verfaßer
Der Verfasser war Gottscheds Schüler Johann Joachim Schwabe.
Haller
Albrecht von Haller, 1708 in Bern geboren, zählte zu den bedeutendsten Dichtern, Naturforschern und Medizinern seiner Zeit. Nach einem Studium und der Promotion in Leiden wirkte Haller, der mit Die Alpen einen der prägendsten Texte des 18. Jahrhunderts verfasste, ab 1736 in Göttingen als Professor für Anatomie, Medizin und Botanik. 1745 übernahm er die Redaktion und 1747 die Direktion der Göttingischen Zeitungen von Gelehrten Sachen (ab 1753 Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen), die er als internationales Rezensionsorgan etablierte. Haller war 1745 in den Großen Rat von Bern gewählt worden. 1753 kehrte er in die Schweiz zurück. Sulzers Korrespondenz mit Haller ist teilweise u. a. in Bern und Krakau überliefert. Vgl. Gay Sulzer et Albrecht von Haller 2005. – Gay Amici della verità e della virtù 2002. – Elsner und Rupke (Hrsg.) Albrecht von Haller im Göttingen der Aufklärung 2009.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann

Autographen

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