Brief vom 14. Februar 1745, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 14. Februar 1745

Hochgeehrtester, wehrtgeschätzter Hr. und Freund.

Vor etlichen Tagen habe das Schreiben des Hr. von Hagedorn, durch Einschluß an Hrn Wasern, und gestrigen Tags Ihr eigenes Wehrtestes durch dem selben Weg wohl empfangen. Ich danke Ihnen zum verbindlichsten für die Mühe, so Ihnen durch dise bestellungen verursacht wird, und werde mich befleißigen solche durch Gegengefälligkeiten zu erwiedern. Diesesmal habe ich nichts in bereitschaft womit aufwarten könte, als den ersten Theil von Opizen. Sie werden in einem pake zwey solcher Exemplaren empfangen, wovon das andere bitte ferner nach Hamburg an Hn Secretar von Hagedorn zu expedieren. In demselben ligen überdies freye Nachrichten von etlichen Stüken, und Amusement de Misodeme 1. feuille, gedoppelt, wovon wider von jeglichem ein Stük an Hn von Hagedorn zu besorgen ersuche, das andere mögen Ew. behalten oder nach belieben Hn Gleim zusenden, denn ich wünschete, daß diser wakere Mann sähe, daß die gute Sache noch ihre Achillese hat. Wann dise Wochenschrift, die erst vor ein paar Wochen angefangen hat, ein wenig wird zu Kräften gekommen seyn, wird man schon Mittel ausfinden, eine Anzahl Exemplaren nach Leipzig, Berlin und Hamburg zu bringen. Der Autor will noch verborgen seyn. Er hat einen Köcher voller spitzigen und mit Widerhaken versehenen Pfeile.

Wenn Hr. Hagedorn ihnen etwa ein Pak für mich zuschikete, so bitte solches ferner durch Gelegenheit an mich zu besorgen und den Kosten so darüber gehet, zu melden, damit ich solchen mit dank entrichten könne.

Wenn etwas den leipzigern nicht gefällt, so ist es bald ein gewisses beweisthum, daß es etwas vortreffliches ist. Ich erwarte, daß selbige über die neuen Fabeln mehr als jemals rumoren werden; Zumal da die satyrische Schrift von Stoppens Kunstgriffen sie nothwendig in die Nase beissen muß. Es wäre für die gerechte Sache sehr gut, wenn Ew. solchesfalls zum Schuz der schweizerischen Fabeln die Feder ergriffen. Ich sehe gern, wenn mitten in Deutschland Vertheidiger des geschmaks entstehen damit es nicht scheine, daß die Deutschen mit ihrem Stillschweigen die gute Sache verlaßen, oder gar die andere partey halten. Vielleicht dienete es uns, wenn wir die Nahmen der Hällischen Bemüher mit Gewißheit könnten innen werden, damit wir sie alsobald mit andern Dunces verewigten.

Vergessen sie ja nicht Hn pastor Lange mit gelegenheit zu sagen, wenn ihm der Ruhm des Hn Pyra angelegen ist, daß er uns mit desselben gedrukten Schrifften, so nur auf fliegenden blättern herausgekommen, bediene; Wir haben nichts von ihm als den Weltbürger, und den Erweis. Daneben soll er sich doch um die nachgelaßenen Schriften dieses ehrlichen Mannes bekümmern. Ich werde Gelegenheit suchen Ihm ein Denkmal aufzurichten.

Der 12 theil der Samml. ist bald ein Jahr zu Leipzig, daß er da verkauft werde, Gleditsch hat es von Hn Orell in Commission, er pressiert sich aber niemals mit Verkaufen, und ich habe ihn längst im Verdacht daß er das Reich der Barbarie und der Finsterniß heimlich begünstige. Die buchhändler sind der Verbeßerung des Geschmaks von Anfang im Wege gestanden, weil ihr ganzer Verlag darunter leiden müste.

Der abentheurliche Critische Kalender ist von Schwarzen zu Regensburg. Er ist hier stark gelesen worden. Selbst die Schumacher und Schneider haben viel vergnügen daran gefunden, so wohl als wer von den vornehmen mit Ihnen in eine Classe gehört. Es ist eine Schande für Winterhur, daß einer Critischen Gesellschaft von da ein solches unsinniges Werk zugeleget wird. Es scheint der Autor habe eine schlechte Opinion von den Kunstrichtern dieser Stadt. Doch alle Schande fällt bey der ersten Reflexion auf ihn selbst. πῶς βακχεύει, πῶς χοροβατία; Diesen Augenblik empfange die Zweyte feuille des Misodeme, welche ich darum hier einschliße, und bitte, sie weiter an Hn von Hagedorn zu befödern. Ich erwarte, daß dieser held bäldest die fürsten der barbarie und die erstgebohrnen Söhne der dummheit anfalle. Stoppe macht selbst auf dem Bloksberg eine zu schlechte Figur, und ist unter den seinigen selbst homo obscurus.

[→] Speciosa dehinc miracula promat
Antiphatem, Scyllamque et cum Cyclope Charybdim.

Ich kan nicht anders als Ew. Theil an der Freude geben die mir neulich ein eigenhändiger Brief des redlichen Hn Samuel Königs, dißmahligen professor philosophiæ zu Franeker verursacht hat. Er hat ein jährliches Gehalt von 1200. holl. gulden; und sie haben ihm Gulden 800 an die Reisekosten gegeben. Er rühmt nicht daß die philosophie noch die Mathematik in Holland große progresse gemacht habe.

Ich wünsche daß Hr Dr. Haller künftige Ostern zu Bern das baret fände, nach welchem ihm das Herz so stark blutet. Adieu

Ich habe die Ehre zu verbleiben

Ew. gehors. und ergebenster
Dr.
Joh. Jacob Bodmer

Zürich den 14. Hornung 1745.

Postscr. damit der Brief nicht zu schwer werde, habe die zweyte feuille des Misodeme nicht einschlißen dürffen. Ich will sie aber bäldest mit dem folgenden in einem Päkgen überschiken.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13a. – E: Zehnder-Stadlin 1875, S. 386–388.

Einschluss und mit gleicher Sendung

Zwei Exemplare von J. J. Bodmer, J. J. Breitinger, Martin Opitzens Gedichten. – Mehrere Stücke der Freymüthigen Nachrichten. – S. Henzi, Amusemens de Misodème.

Eigenhändige Korrekturen

verlaßen
scheinen verlaßen

Stellenkommentar

Der Autor
Der Herausgeber der Zeitschrift Amusemens de Misodème war Bodmers enger Freund Samuel Henzi. Beide standen seit 1743 auch in brieflichem Austausch. Vgl. Henzis 27 Briefe an Bodmer in der ZB (Ms Bodmer 2b.1).
satyrische Schrift
Bodmer verfasste 1745 unter dem Pseudonym Daniel Stoppes die satirische Schrift Aufrichtiger Unterricht von den geheimsten Handgriffen in der Kunst Fabeln zu verfertigen, die sich gegen den schlesischen Dichter richtete.
Dunces
Von engl. »Dunc« (»Dummkopf«). Der Begriff Dunces, auch Dunse oder Dunsen, wird in Anlehnung an Alexander Popes Dunciad, die u. a. von Bodmer ins Deutsche übersetzt wurde, in den Briefen häufig als Bezeichnung für schlechte Dichter verwendet.
Ihm ein Denkmal aufzurichten
1745 gab Bodmer Langes und Pyras Thirsis und Damons freundschaftliche Lieder heraus. Eine Publikation der nachgelassenen Schriften Pyras kam allerdings nicht zustande.
Gleditsch
Bodmer bezieht sich auf den jüngsten Inhaber der Leipziger Verlagsbuchhandlung, Johann Friedrich III. Gleditsch, der 1744 verstorben war. Möglicherweise wusste Bodmer noch nichts davon. Der Verlag wurde dennoch als »Gleditschens Buchhandlung« weitergeführt.
Barbarie
Bodmer verwendet hier das französische »Barbarie« für Barbarei.
abentheurliche Critische Kalender
[J. J. Schwabe], Neuer critischer Sack-, Schreib- und Taschen-Allmanach, 1744. Bodmer vermutet hier als Verfasser den in Regensburg lebenden Anhänger Gottscheds, Johann Christoph Schwarz, der 1742 Des Publius Virgilius Maro Aeneis, ein Heldengedicht in eben so viele Deutsche Verse übersetzet und mit einer Vorrede [...] des Herrn Professors Gottsched begleitet publiziert hatte.
πῶς βακχεύει, πῶς χοροβατία
Übers.: »Wie Bacchantisch, wie das Gehen zum Reigen«.
selbst auf dem Bloksberg
Vermutlich Anspielung auf Daniel Stoppes Fabel Das Thal und die Berge im 1740 erschienenen zweiten Buch von dessen Neuen Fabeln. In Bodmers Mahler der Sitten erschien 1746 auch die gegen Gottsched und Triller gerichtete Satire Sonderbare Verfassungen auf dem Blocksberge.
Speciosa dehinc miracula
Hor. ars, 144–145. Übers.: »um danach spektakuläre Wunder an den Tag zu bringen/ Antiphates, die Skylla und mit dem Kyklopen Charybdis.« (Horaz, Über die Dichtkunst, 2018, S. 623).
eigenhändiger Brief
Vgl. Samuel Königs Brief an Bodmer aus Franeker vom 1. Januar 1745, in dem er von einer vierwöchigen Reise durch die »vornehmsten Stadte von Holland« berichtete und daß er »hernach eine Vocation [Berufung] von der Provinz Friesland, als Profeßor Philosophiae nach Franeker erhalten« habe. Über sein Befinden schrieb er: »Ich bin ruhig, und werde es mehr sein wann Ich meinen ersten Cursum werde vollendet haben, und meine Collegen sind brafe und conversable Leüte, obwohl eben keiner davon, weder ein Bernoulli noch ein Bodmer, noch ein Henzi ist.« (ZB, Ms Bodmer 3.13).
das baret fände
Albrecht von Haller wurde 1745 Mitglied des Rates der 200, dem Vorgänger des heutigen Großen Rates von Bern.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann