Mein theurester Sulzer.
In den Frosten vorigen Januars und dem stärkern Froste meiner Jahre hab ich den Adelbert von Gleichen gedichtet. Ich selbst halte ihn für poetisch genug zu beweisen, daß die Musen mir noch hold sind. Wenn ich von Richtern, wie des Sophokles waren angeklagt würde, daß ich kinderte, so hoffte ich Ihnen damit meinen gesunden Verstand entdeket zu haben. Aber gegen die Richter von unsern Zeiten hab ich so viel mißtrauen, daß ich zu blöde bin ihnen zu bekennen, daß dises werk eine Frucht meiner so sehr gehäuften jahre ist. Ich fürchte die Zurufe, solve senescentem, und,
[→]So fahrt denn fort noch alt zu singen,
Und singt Euch um die Ewigkeit.
Ich habe den muth nicht, das stük jemandem von meinen ältern oder jüngern Freunden, wenn es gleich leute von geschmak sind, zu zeigen. Doch kann ich auch die väterliche Liebe zu diser geburt meines verwelkten lebens so sehr nicht unterdrüken, daß ich es den Ratten zum Aasse hinwerfe. Bessern Rath weis ich nicht, als daß ich sein schiksal Ihrem ausspruche unterwerfe. Pflegen sie es, wenn es sie gutdünkt, und lassen es in die hände und die bekanntschaft guter und freundschaftlicher Menschen kommen; oder machen sie ihm ein schnelles und kurzes Ende, durch Feuer, oder Wasser, in pasteten oder papillotes. Ich will es noch gelaßner verbrandt, erseuft, ermordet sehen, als verhöhnt, verleumdet, verlästert. Nur daß sein Ende nicht durch meine hand befödert werde.
Ihr Ergebenster
Bodmern
Zürch den 24sten Februar 1771
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13b.
Vermerk Sulzers am oberen Rand der ersten Seite: »den 24 Febr. 71.«