den 16. Febr. 1771
Mein liebster Sulzer.
Der Verfasser beygelegten blattes hat eine absolute Zuversicht auf seine Erfindung. Er ist ein Messerschmid und der redlichste Mann, dem sie von Herzen gut seyn müssen. Hiesige physicalische Gesellschaft hat schwierigkeiten bey seinem Werk gefunden, die sie nicht will auflösen lassen. Er beruft sich immer auf die that. Er bittet, daß Sie ihm sagen, ob sie die unmöglichkeiten auch erbliken. Wenn sie verlangen so schiket er Ihnen einen Riß, und entdeket Ihnen sein Geheimniß. Er hat auf sie mehr Vertrauen als auf alle hiesige soi disans connoisseurs. Er ist ein practicus und kein theorist.
Wir erwarten alle Tage Orellen, und durch ihn briefe von Ihnen. Ich habe in diesem Frost der Jahrzeit und meiner jahre ein Gedicht geschrieben zu beweisen, daß mein Geist 40. jünger ist als mein Körper. Ich kann stehen, gehen, sehen, lesen, schreiben, essen, trinken, schlafen; das ist noch mehr als dichten. Aber unser armer Waser! Er ist immer niedergeschlagen.
Ist es wahr daß unser Müller nach Magdeburg versezt worden? Ist Wieland Kanzler der Universität Giessen? Läßt man ihm seine Geschichte der Menschen so genossen hingehen? Ich habe dagegen in meiner Helvetischen Gesellschaft – entonnirt; nein, – philosophirt. Ich habe projekte in gedanken, die ich ausführen kann, wenn ich noch ein jahr bey den lebenden bin.
Unsere Schulreforme geht den gang der schneke, doch geht sie. Wir giessen auch die Gestion unserer öconomischen ämter um. Die neue Einrichtung ist die Verurtheilung der alten.
Die theurung ist noch immer gestiegen, der Mütt Kerne gilt Fl. 15. Der Laib Brod von 1 1⁄4 13. Für die Bürger ist gesorget, daß sie den Laib um 6. bekommen, aber für die landleute ist noch nichts geschehen. Alle genommenen Maßregeln haben gefehlt. Man hat nichts vorgesehen. Alle Victualien sind nach proportion des brodpreises gestiegen. Die Fabriken liegen. Wer noch fabricirt hat am lohn einen drittel abgebrochen. Wir erfahren daß eine Nation dependent ist, wenn sie die subsistenz nicht aus ihrem lande ziehen kann. Jeder kleine graf in Schwaben sperrt die ausfuhr. Unsere Landleute haben sich in den Kopf gesezt nach preussisch Pommern auszuziehen. Man hat sie hinterhalten ohne ihnen Brod zu geben. Ich fürchte, man werde noch die saat essen.
Unser Doctor Hirzel ist in eine Tracasserie verwikelt worden. Ein junger Chirurgus, den er in seinem Hause hatte, betitelte den stadtarzt Meyer einen Castrieroperator, weil er par castrationem den bruch curirt. Meyer verklagte ihn bey der Reformationskammer als einen lästerer. Man erkannte der junge Mensch sollte 24. stunden auf das Rathshaus gesezt werden, als ein Verleumder abbitte thun, vier Mark silber Busse zahlen und die stadt meiden. Man wollte dem Doctor mit diser strenge Weh thun, er hatte mit seinem offenen herz und mund Grosse beleidigt. Meyer war doch mit dem urtheil nicht zufrieden und apellirte an den Rath. Dises schafte dem jungen Chirurgo Zeit einzupaken und zu verreisen, eh etwas von dem urtheil exequirt war. Die ganze Facultät der Medicin war gegen den Doctor.
Lavater ist von den Pforten des todes zurükgekommen. Er schwazt, er prediget, er singt beständig die Wunderkraft des Glaubens, er hat doch nur einige Weiblein erobert. Sein Enthusiasmus tödet ihn noch.
Erzählen sie Hr. Wegeli: der antistes von St. Gallen gab sich bewegungen den autor des Origine des principes, als er sich nach St. Gallen geflüchtet, gefangen sezen zu lassen, als einen Atheist. Es wär auch geschehen wenn diser nicht wäre verreiset gewesen. Dann hätten wir den zweyten Tom von Servet bekommen.
[→]Klopstok fera tousjours sa messiade, et il ne l’aura faite jamais.
In Winterthur giebt man mir kein Zeichen von leben.
Ihr ergebenster
Bo.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13b.
Schreiben und Abhandlung eines namentlich nicht genannten Messerschmiedes aus Zürich.