Brief vom 28. Februar 1759, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 28. Februar 1759

Friederich sorget für die allgemeinen angelegenheiten so vorsichtig und von dem Alles vorsehenden so beglückt, daß wir ganz ruhig und ohne furcht unsere stunden wider den Musen und ihren allerliebsten Einhauchungen geben dürfen. Ich zwar mehr als sie, den die grosse Welt, der hof, die Zirkel in ihren Wirbel hingerissen haben: Sie sind diesem Wirbel so nahe gekommen daß man darinnen ihre verdienste entdekte, und sie für einen mann erkannte den man nöthig hätte. Nec ita male. Halten Sie der Vorsehung still und thun dem menschlichen Geschlechte da wo sie sind, die grossen dienste, die gegenwärtige ausserordentliche Epocha erfodert und erleichtert. Es ist ohne zweifel providential daß Deutschland einen Friderich hat, Frankreich einen Montesquieu, einen amy de l'homme, einen Helvetius, Engelland einen Brown, – Aber zu einem Friederich hat Deutschland einen Sulzer nicht übrig. Ich darf nicht mehr sagen, denn ich will uns aufmuntern und nicht loben.

Gewiß habe ich für die verlohrnen Hexameter zu viel ängstlichkeit bezeiget. Es war mir bange daß sie in profane Hände gefallen seyn mögten. Die niederträchtigen Gegner die W. in Berl. hat, die auch meine sind, könnten dergleichen Dinge dahin schicken, wo sie lästerungen heissen würden. In dem Pake, das mit ausgehendem Merzen 1758 auf die Fuhr gekommen, waren der Tod Abels, Neujahrsstük von 1758. Hagenb. diss: de servis, Gessn. diss. de triangulis, und etliche freymüthige nachrichten.

Man hat freilich hier den verf. der bibl. der schönen W. und K. Wahrheiten gesagt, die ihnen verhaßt sind: Doch war noch keine Dunciade, keine Zuschrift an Hr. Sak, keine Sympathien, als sie sich in den briefen von dem Zustand der schönen Wissensch. schon unnüze machten. Und noch früher in den Epigrammen auf die Züricher, auf den Noah p. Die leser mögen sehen auf welcher seite die unanständigkeiten seyn. Ein grosser theil derselben wird sehr vermuthlich die partey der Berliner nehmen, und wir werden nicht verwehren können daß sie uns nicht mit Koth besprüzen. Wieland könnte von ihnen am meisten zu leiden bekommen, wenn er genöthiget würde sein Etablisst. in Brandenburg zu suchen. Es sind hier jünglinge, denen die Flügel stark wachsen, an welchen ich mir nach meinem Ende schüzer vorhersehe. Aber sie werden sich zuerst durch ernsthafte stüke bekannt machen.

Wird es auch eine sünde seyn, die mit IrreligionsBeschuldigungen gestraft werden muß, wenn man hier Ramlers Ode pedantisch findet. Er sagt wunderbarere sachen von den Najaden als von Friederich. Er kann diese nicht loben ohne δεους ἀπο XXX und er weis nichts zu loben, als daß er geschlagen hat. Dise herren sind zu klein, als daß sie in die seele Friederichs sehen könnten. Ihm fehlt ein Pindarus.

Von Kleist hat seinen Cissides Geßnern geschikt. Wir erwarteten Bilder, Empfindungen, situationen, die einen Menschen der so nahe bey Friedrichen ist und ihn im schlachtfeld sieht, vor augen liegen müssen; und wir finden weniger als wir söhne der Ruhe uns im Cabinete vorstellen können. Nicht eine entfernte Anspielung auf den König! Das Metrum ist ein unansehnliches verschen mit seinem den und und am Schlusse der Zeile. Der Erfinder der Vorsylbe vor dem Hexameter, womit er über die priesterin von Delfos rencherirt hat, sollte sich nicht so verleugnet haben. Und wie wenn wir noch die peccata ommissionis zälen wollten? Wie mag es doch kommen daß männer, die in ihren urtheilen vom Colombo, Noah, Abraham, Abel so viel delicatesse fodern, so wenig psychologie, so schlechte Kenntniß des grossen und des wahren verrathen! Ich liebe und ehre den Hrn. von Kl. und glaube, daß ich gerade izt sehr gut bey ihm stehe. Er hat mir neulich sehr freundschaftlich auf eine freundschaftliche zuschrift geantwortet. Auch in seinem Cissides hat er mir ein Zeichen seiner achtung gegeben. Es thut mir nur leid, daß er nichts bessers zu loben gefunden. Ein officier sollte keine oder ungemeine Verse schreiben, und sich nicht so mit Belesenheit zieren. Seine freunde waren schwach oder ungetreu, daß sie ihn nicht warneten. Geßner hat ihm mit vieler bescheidenheit hierüber geschrieben. Wir wissen wol daß Gleim, Kleist, Lessing sehr vertraut zusammen sind. Lessing hat Genie, aber wenig psychologie, wenig gefühl vom Einfältigen Grossen. Hingegen viel falsche delicatesse.

Sie haben gewiß W. Joh. Gray in einer von ihren sinnlichen Zerstreuungen gelesen, sonst hätten sie ihr ein schärferes urteil gesprochen. Die Inconsistenz in dem Charakter, das Kleine, das widersprechende, das springerische in ihren sentimens verdienten eine starke Antung.

Wir hatten erwartet daß die Lessinge ihre Rache an diesem stüke auslassen würden: Aber leute, die die Miss Sara und den Henzi für meisterstücke geben, sehen die fehler in der Johanna Grai, die ihre eigenen sind, gar nicht. Es ist kein gutes Zeichen, daß auch die Rachgier sie nicht scharfsichtiger machet. Da ich so verurtheilend schreibe, müssen sie nicht fürchten daß ich selbst rachgierig sey, oder die turlupinades der Nicolai zu herzen nehme. Ich habe Wiel. wenigst zu einem kaltsinnigen wo nicht großmüthigen Empfange seiner Gegner gestählt. Er ist bereit für die gute sache zu leiden. Gewiß wird er nicht wieder schelten, man nenne denn scheltungen unangenehme Wahrheiten die man der aufrichtigkeit und den Sitten schuldig ist.

Wir hatten Gedanken ihn zu Richardson zu schicken, er sollte das vehiculum der deutschen literatur für Engelland werden. Aber eine geschichte, die ihm neulich begegnete, hat uns dieses vorhaben in einem sehr gefährlichen lichte gezeigt. Er selbst fürchtet die Fremde und vornemlich das Meer.

Man muß mir doch erlauben von dem Herzen und dem Kopfe sehr klein zu denken welche in Wielands Hexametern nicht eine ungewöhnliche menge poetischer schönheiten von den besten arten entdecken. Ich getrauete mir davon Abhandlungen zu machen, die nicht auf Apostrophen, ausrufe, Credit und Ansehn gegründet seyn sollten. Aber meine Verbindung mit ihm und seine jugendliche wiewol freundschaftliche Lobschrift des Noah verbieten mir diese materie. Die Johanna Gray ist beynahe sein schlechtestes werk. Er scheint zu persongeziemenden Reden nicht aufgelegt. Er machet Mine daß er meine Maria von Engelland publiciren wolle. Im vorigen monate ist mich eine Begierde angekommen ein trauerspiel von Griechischen personen zu schreiben. Das stück bedarf nur noch einige Züge der feile. Ich will es nicht ins publicum schiken, bevor sie es beurtheilet haben.

Der Marie Jones Jacob and Rahel ist mir zugekommen. Wieland hat das ding übersezt. Es ist herzlich schlecht. Mit den sachen die auf die Ostermesse gehen, will ich Ihnen eine gute Abschrift von den verlohrnen Hexametern schiken womit sie aber ganz sorgfältig umgehen müssen, damit der verf. nicht entdekt werde.

Gerad izt hat man hier Gleims ode auf Zorndorf empfangen, sie ist so stark, daß wir ganz davon eingenommen sind. Ich gedenke ihn in einem eigenen schreiben darüber zu complimentieren. Ich werde ihn mit vollem Herzen loben. Ich will ihn mit Lobe sättigen. In seinen Romanzen hat uns das unwürdige Sujet, und in den Fabeln der menschliche Charakter der Thiere verdroßen, im übrigen erkannten wir die grosse Eigenschaft des Naifen, in welcher er herrschet. Mein lob sollte die Würkung thun, daß er nimmermehr sich mit geringhältigern Materien abgebe.

Ich werde zu einem Speditor. Ich kann des Hrn. Orellen nicht loos werden. Hiermit kommen die zwey stücke für seinen Advocat Krausen; wenn sie der bemühung mit diesem Geschäfte sich entledigen wollen, so heissen sie Hrn. Krausen ihm directe antworten. Seine addresse ist Friederich Orell, altgerichtschreiber in Weinfelden, Zürich. Er läst ihnen sehr danken und verspricht seine Erkenntlichkeit mit vollem munde.

Die Fragen wegen des getraiddörrofens sind von der physicalischen Gesellschaft hier. Ich weis nicht warum ihr Haupt, Hr. Canonic. Geßner, sich nicht durch einen eigenen Brief an Sie gewandt hat.

Hr. Geßner wird den Kosten des Hagedornischen portraits durch Hn Reich bezahlen lassen. Er ist voller Empfindungen Ihrer Gütigkeit für ihn.

Ich habe niemals schreiben können, aber seit einiger Zeit gehet es noch schlimmer. Ich hatte Kleisten dreissig Hexameter geschickt, den Frommen Entwurf, und den räuberischen Prinzen, von beyden sagt er daß er sie nicht habe entzifern können; doch kann ich mich nicht enthalten, hier etwas neues auf Fermor beyzulegen; es wird sie doch so sehr freuen, als die Orellischen schriften.

Unsere Freunde in Winterthur athmen lauter Freude, seitdem diese stadt einen so würdigen schuldheiß bekommen hat. Er verdiente das Haupt in einem Souverainen Canton zu seyn. Wenn wir einen von unsern beyden Burgermeistern verlieren, so werden wir mühe haben einen Sulzersgleichen zu finden.

Aber auch Winterthur wird in einer künftigen Wahl mit einem ungleich schlechtern Mann zufrieden seyn müssen. Wir sind voller hoffnung daß sein Hr. sohn, der Hr. Rathssubstitut die stadtschreiberstelle erhalten werde.

Mein schwager Orell bezahlt seine schuld Orell und Comp. Buchhändlern.

Die medaille, die Conrad Gessnern vorstellt, ist von Hans Jac. Geßner, unserm verstorbnen Münzmeister, sein sohn der izt münzmeister ist sagt mir daß der stämpfel davon zerbrochen sey, er habe einen neuen in der arbeit, sobald der fertig sey, wolle er mir mit den verlangten zwey stüken aufwarten.

Leben sie mit neuer munterkeit, und wenn Ihnen meine briefe nicht beschwerlich sind, so können sie durch ihre allerliebsten Antworten so viele von mir herausloken, als sie gerne haben wollen.

Br. den lezten Febr. 1759.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Einschluss und mit gleicher Sendung

Hexameter auf Wilhelm Graf von Fermor.

Stellenkommentar

einen amy de l'homme
Bezug auf Mirabeaus mehrbändiges, ab 1756 erschienenes Werk L'ami des hommes, ou traité de la population.
seinen Cissides Geßnern
Vermutlich mit einem Brief vom 5. Oktober 1758 (DHM, Inv.-Nr. 1988/297).
neulich sehr freundschaftlich
Kleists Brief an Bodmer vom 6. Oktober 1758 (Sauer (Hrsg.) Briefe von Kleist 1880, S. 524–526).
Antung
Ahndung.
in einem eigenen schreiben
Bodmers Brief an Gleim vom Februar 1759 (GhH, Hs. A 311).
den Frommen Entwurf, und den räuberischen Prinzen
Bodmers handschriftlich überlieferte Texte Die fromme Politik und Der räuberische Prinz (ZB, Ms Bodmer 31.7.III.2.).
neues auf Fermor
Verse auf Wilhelm Graf von Fermor, General der russischen Armee, nicht ermittelt.
so würdigen schuldheiß
Johannes Sulzer wurde am 12. Februar 1759 zum Winterthurer Schultheiß gewählt.
hoffnung daß sein Hr. sohn
Wolfgang Dietrich Sulzer, Stadtschreiber von Winterthur in den Jahren 1759 bis 1794.
sein sohn der izt münzmeister
Johann Jakob Gessner (1713–1770), Numismatiker und Professor am Carolinum. Vgl. zu ihm auch Brief letter-sb-1765-02-26.html.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann