Brief vom 14. September 1749, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 14. September 1749

Ich hoffe Hr. Schuldheiß werde wol jezo bey Ihnen seyn. Er wird ihnen, m. Freund, viel umständliches von ihren hiesigen Freunden erzählen können, daß sie sich manchmal einbilden werden in Zürich und Winterthur zu seyn. Ich verspreche mir viel angenehmes von den Besuchen, die Hr Schuldheiß bey den deutschen beaux esprits ablegen wird. Und was für ein gutes Werk hat er gethan, wenn er von Leipzig einen Tour nach Langensalz gemachet hat! Ich bin seit Junius ohne Briefe von Klopstok, und das macht mich ein wenig unruhig.

Ich weiß nicht ob der kleine Zusaz zum Pigmalion, der hierbey liegt, noch früh genug kömmt. Vermuthlich hat die Erzählung noch mehr dergleichen lüken, die ausgefüllt werden sollten: Aber ich bin gegen dises werkgen ein wenig kaltsinnig geworden.

Ich schmeichle mir immer ein wenig daß dem Kaufmann, an welchen Hr Schuldheß zum Dach mein päkgen in welchem der Misanthrope, die fables pour les enfans &c. waren, noch das gewissen gerührt worden. Sie werden ihm doch wol sagen dürfen, daß besagter Hr Schuldheiß das päkgen zu seinen wahren geleget habe. Der jüngere Hr. Tscharner hat das ganze erste Buch der Messiade französisch gemacht, und fährt in diser Arbeit mit vieler Geschiklichkeit fort. Ich will dem neuen französ. Ambassador, der von den quarante de l'academie franc. ist, eine Abschrift davon in die Hand fallen lassen. Ich will auch ihnen ein gutes stük davon senden, daß sie es dem Hn von Maupertuis zeigen. Vielleicht kömmt die Messiade durch disen Weg dem Könige vor die Augen.

In dem Liebhaber der Wissenschaften, dessen verfasser der Bauzner Naumann ist, steht ein Artikel von meinem Pigmalion, man will darinne etliche suizerismos, und paralogismos od. ⟨paractironymos⟩ bemerket haben; sehen sie, wenn es nicht zu spät ist, ob etwas daran sey, und machen die nöthigen veränderungen mit voller freiheit. Vergessen Sie nicht Mädchen statt Mädgen zu schreiben, damit der gute Bauzner nicht auf die Gedanken falle man rede von kleinen Maden. Der Donner rollte eine stimme gehet ohne Zweifel an, wiewol Naumann nicht weiß, wie das zugehet: Sehen sie ob es sich sagen lasse, eine reißende Stimme, oder ob man geschikter setzte, eine schmetternde Stimme. Ich sollte deutlicher gesagt haben, daß die Natur als sie durch einigen Wetterstral die grossen Klösser weissen und schwarzen marmors gesprengt, schon eine Höle mit überhangender Deke, u. eine Gallerie, auf rohen pfeilern p. vorgearbeitet hätte; alsdenn wäre es vermuthlich dem Bauzner nicht so unglaublich vorgekommen, daß Pigmalion aus diesem Spiele der Natur in wenig Monaten (man darf doch wol zehen annehmen) einen saal u. eine galerie mit corintischen und ionischen Säulen herausgearbeitet hätte.

Im übrigen handelt der Bauzner ein wenig unbillig da er sagt: Elise habe auf die lehre von dem süssen liebesspiel geantwortet: Wie geschieht mir! Sie sagt dise worte bey dem ersten Überfalle des schlafes. Ich habe geglaubt es sey natürlicher, daß sie bey dem Anfall des schlummers fürchtete, sie verlöhre ihr neues Wesen wider, als daß diese furcht in der Entzükung der liebesumarmung entstühnde. Ich sollte vielleicht auch deutlicher gesagt haben, daß Elise ein absonderliches werk ist, das einen eignen Autor gehabt, der nicht in allen umständen bey den Nachrichten bleibt, die Pigmalions verfasser angegeben hat. Aber man muß auch etwas den denkenden köpfen überlassen. –

Die Regenten von Bern werden Henzis Verzicht wol nicht druken. Es sind zu viel specialia von den alten verfassungen u. Rechten der bürgerschaft p. darinnen enthalten. Er starb als ein Held, ganz gesezt und bey sich selbst. Im Ausführen bemerkte er wie der Reichsvogt in seinem ⟨schäbigten⟩ Cerimonien Habit eine possierliche figur machte, zumal da er sehr läppisch zu pferd saß. Er warf mit andern Zusehern die Augen auf ihn, und lachte so herzlich darüber als sonst einer, nahm doch bald sein serieux wider an sich. Der Nachrichter schlug den ersten streich in die schultern, Henzi wandt sich gegen ihn u. sagte: Meister das war doch ein ungeschikter streich. Der jüngere Hr. Schuldheiß Steiger, sein alter freund, bedauerte ihn herzlich, und hätte ihn gern gerettet. Micheli du Crêt, der Verbesserer der Barometer, der auch implicirt gewesen, ist auf das feste Schloß Arburg eingeschlossen worden.

Adieu mon cher amy

votre tres h. et fidele
Bodmer

Zürich den 14 Septemb. 1749

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Anschrift

A Monsieur Soulzer à Berlin par Courtesie

Vermerke und Zusätze

Vermerk Sulzers am oberen rechten Rand der ersten Seite: »14 Sep. 49.«

Eigenhändige Korrekturen

stük davon senden
stük davon künftig senden
Zweifel an, wiewol
Zweifel ⌈an⌉, wiewol
zehen annehmen
zehen set annehmen

Stellenkommentar

jüngere Hr. Tscharner
Vincenz Bernhard von Tscharner übersetzte die ersten drei Gesänge von Klopstocks Messias ins Französische. Vgl. dazu Süpfle Geschichte des deutschen Kultureinflusses in Frankreich 1886, S. 204 f. Das Manuskript der nicht gedruckten Übersetzung gilt als verschollen. Allerdings blieb ein Teil des Manuskriptes mit dem Titel le troisième chant du messie in Bodmers Besitz und befindet sich noch heute in seinem Nachlass (ZB, Ms Bodmer 40.29). Vgl. auch den Brief Tscharners an Bodmer, Frauenfeld, 8. Oktober 1748, in dem er die Übersetzung ankündigt: »Ich hatte bey Lesung des Meßias einen flüchtigen Gedanken gehabt, einige Stellen daraus als einen Versuch zu übersezen; Sie haben den selben auf ein neües bey mir erwekt, und ich habe mit aller Beschleunigung die Erfüllung Ihres Verlangens besorgt. [...] Allein Sie wißen was Übersezungen auf sich haben, überdiß ist der Meßias von einer Art Gedichte die sich am schwersten in einer ander'n Sprache ausdrüken laßen. Voll von neüen, zusammengefügten Worten, womit er seine erhabensten Bilder beseelt, und die einem jedem Begriff so genau entsprechen, daß sie gleichsam sein Wesen ausmachen. Mehrtheils Worte die man ohne Umwege, und in aller ihrer Krafft nicht übersezen kan. Ich wünschte daß sich jemand um den Meßias und die Franzosen so verdient machen würde als Sie sich um den Milton und die deütschen verdient gemacht.« (ZB, Ms Bodmer 5b.7, Nr. 2).
neuen französ. Ambassador
Antoine René de Voyer de Paulmy d'Argenson, der auch Mitglied der Académie Francaise war.
In dem Liebhaber der Wissenschaften
Vgl. die entsprechenden Ausführungen zu Bodmers Pygmalion in Naumanns Liebhaber der schönen Wissenschaften, 1748, Bd. 2, S. 361–366.
rede von kleinen Maden
Vgl. ebd. S. 361, Naumanns Anmerkung über den Mädchenfreund: »Es wundert uns, daß er nach einer unrichtigen Schreibart ein Mädgenfreund oder ein Freund von kleinen Maden genennt wird.«
Klösser
Klöß. Bezeichnung für ein Stück Stein oder zusammengeklebte Erde. Vgl. J. C. Adelung, Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches, 1775, Bd. 2, S. 1642.
so unglaublich vorgekommen
Vgl. C. N. Naumann, Liebhaber der schönen Wissenschaften, 1748, Bd. 2, S. 363.
jüngere Hr. Schuldheiß Steiger
Christoph Steiger war 1747 zum Berner Schultheiß gewählt worden. Henzi hatte ihm im selben Jahr ein Gedicht gewidmet.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann