[→]Auch dieses Blatt, mein theürester, wird Ihnen durch den Dr. Hirzel zukommen; dem ich nochmals über die Angelegenheit des Schwagers meines Schwiegersohnes schreibe. Er hat sich sehr freündschaftlich anerbeten diese Angelegenheit zur seinigen zu machen, und ich ersuche ihn in meinem Namen den Hrn. Burgermr. Heidegger, Hrn. Statthalter Hirzel, Hrn. Sekelmr. Orell und RathsHrn. Rahn, die Sache zu empfehlen. Diesen Hrn. konnte ich, wie ich muthmaßete den Hrn. Statthalter Escher nicht zugesellen. Und doch wünschte ich die Sache auch diesem Hrn. in meinem Namen zu empfehlen.
Seit dem ich so viel Muße habe, als Sie, mein theürester, und so einsam lebe, als Sie, sind Sie auch meine einzige Gesellschafft. Der neüe von Bürkli gedrukte Noah ist mein Lesebuch und ihre Briefe an mich, die ich alle Abschreibe sind meine Beschäfftigung. Dieses versezet mich einen guten theil des Tages gerade vor Ihnen über an ihren Pult. Denn jeden Brief schreiben Sie nun, in dem ich ihn nachschreibe, in meiner Gegenwart. Ich überlaße Ihnen selbst bey sich zu empfinden, was für vergnügte Stunden mir dieses macht. Aber ich habe sie bey diesen trüben Herbsttagen auch nöthig, da ich den ganzen Tag in meine Stube verschloßen und einsam bin. Wegelin, der mit mir unter einem Dache wohnt, ist ganz weit unter einem Hauffen Historischer Bücher vergraben, und arbeitet nun erstlich seine Introduction, die den ersten Theil seiner großen Geschichte ausmacht, zur Preße fertig zu machen. Müller sizt wie ein Murmelthier in seiner Höle, und läßt mir so oft ich nach ihm frage, sagen, er habe Arzneyen zu nehmen. Aber er ist gewiß kranker am Gemüth, als am Körper, wie wol dieser elend genug aussieht. Zum Unglük ist er seiner Leidenschafften so wenig Meister, daß er sich immer neüe Plagen macht.
Ich denke, daß Sie nicht lange nach diesem Brief auch den zweyten theil meiner Theorie bekommen werden, und es ist mir eine sehr angenehme Vorstellung, daß er Ihnen einige angenehme Stunden machen werde. Doch werden Sie auch wahrnehmen, daß mir gegen dem Ende das Feüer ausgegangen ist. Bey meiner izigen Muße thut es mir nun leid, daß ich keine Copey von ihrem Adelbert habe nehmen laßen. Vielleicht würde ich izt daraus ein Drama machen, das Ihnen doch beßer gefallen würde, als Cymbelline. Würklich hatte ich schon eine Esquisse des Plans gemacht. Lachen Sie, oder ärgert es Sie, daß Cymbelline vor den Augen der allgemeinen deütschen Bibliothecaren einige Gnade gefunden hat? Ich denke man hat nicht gewußt von wem das Stük ist, und doch habe ich kein Geheimnis daraus gemacht. Dafür werden sie mir für die Sünden, die ich durch meinen zweyten Theil verdoppelt habe, eine desto schärffere Züchtigung geben. Aber ich sage voraus: Non dolet. Es soll sich ein neüer ärgerer Petronius aus der Gleimischen Schule hervorthun. Weil ich diese cujonerien nicht lese, auch nicht zu Gesicht bekomme, so weiß ich dieses nur durch das Gerüchte. Dieser Tagen habe ich den 2tn Theil der Spaziergänge von Bluhme gelesen und Gefallen daran gefunden. –
Es scheinet, daß Hartman in Mitau alle seine Collegen mit seiner Ungeduld und Hefftigkeit angestekt habe. Alle schrieben mir, daß sie mit 300 Ducaten und freyem Getrayde an einem so theüren Orte, wie Mitau nicht leben könnten. Sie beschrieben mir die dortige Theürung fürchterlich und foderten mich auf dem Herzog Vorstellungen zu thun. Dieses hatte ich kaum gethan, als ich zuverläßig und ganz umständlich erfuhr, daß in Mitau alle LebensMittel, so wie ich es geglaubt hatte, ehe mich diese Herren des Gegentheils versicherten, sehr wol feil und nur die objets de luxe theüer wären. Dieses hat mich in nicht geringe Verlegenheit versezt und ich bereüte die gethanen Vorstellungen. Doch hat der Herzog es sehr gut aufgenommen. Aber ich werde mich nicht leicht wieder verführen laßen, einen Faux-pas zu machen.
Ich umarme Sie von Herzen.
JGSulzer
den 22 Oct. 74.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.
Herrn Prof. Bodmer
Übersandt als Einschluss in einem Brief an Hans Caspar Hirzel.