Mein theürester Freünd.
Es ist eine sehr seltsame und wie ich selbst gestehe gar sehr ungeschikte Sache, daß ich Ihnen so gar selten schreibe, da ich doch täglich nicht nur an Sie denke, sondern mir selbst sage, daß ich ihnen schreiben soll. Aber so ein seltsamer Mensch bin ich, daß es mir kaum möglich ist währender Zeit, da ich in ernsthaften Geschäften bin, auch nur die kleineste Arbeit dazwischen zu thun. Seit mehr als 6 Monaten bin ich ungemein mit Arbeit beschweert gewesen. Ich habe einen Theil meines Werks zum Druk fertig gemacht, wovon würklich izt ein Alphabet abgedrukt ist; dazwischen bekam ich wieder ordres vom Hofe mehr als ein Gymnasium in Lehrern und Lehrmethoden zu untersuchen, und dann was die meiste arbeit macht, Leüthen, die nichts verstehen oder nichts verstehen wollen, speciale Methoden ganz pünktlich vorzuschreiben, wie sie selbst denken und lehren sollen.
Bey allem dem, muß ich doch noch meine besondere Geschäfte auch thun. Dadurch nun werde ich, sobald ich einmal einen Theil des Tages auf diese Sachen verwendet habe, so sehr Träge, daß ich den andern Theil deßelben schlechterdings in einem solchen Müßiggang zubringen muß, daß ich nicht einmal einen Brief schreiben kann, und so werde ich gegen meine Gesinnungen an meinen Freünden zum Schelmen. Man muß so viel Nachsicht und Geduld mit mir haben, wie Sie mein theürester, um mir dieses nicht übel zu nehmen. Ich erkenne den Werth dieser gütigen Nachsicht von Ihnen so sehr, daß sie mich würklich innigst rühret. Es ist beynahe unverschämt sie zu bitten, mir nicht gleiches mit gleichem zu vergelten, und doch kann ich mich nicht enthalten, diese Bitte an Sie zu thun.
Neüigkeiten werden Sie bey den Ihnen erzählten Umständen schwerlich von mir erwarten. Man hat mir gesagt, daß das, was ich schon längst vermuthet habe, eingetroffen ist, daß die Freündschafft zwischen Gleim und Jacobi zu Ende ist: vermuthlich wird es Wieland und Riedel eben so gehen. Jener hat einen Amadis unter die Preße gegeben und mit diesem Werk wird er von der comischen Muse abschied nehmen. Ich hoffe, daß er uns hernach noch wichtige Dinge liefern wird. – Für Meister ist es doch schade, daß unter die gute Quelle sich so viel wildes Waßer mischt. Er hat würklich ein schönes Genie, und doch kann ich mich mit seinen Sachen nicht vertragen. Dem vernehmen nach, hat ihr Profeßor Steinbrüchel eine Samlung Lateinischer Sentenzen und größerer Memorial Stellen für die Schulen verfertiget. Da ich eben damit umgehe ein solches Buch zu veranstallten, so würde mir die Nachricht, daß jenes entweder gedrukt, oder dem Druk nahe ist, sehr wichtig seyn.
Füßli hat mir aus Rom geschrieben. Er hat alle Studia nur auf die Mahlerey eingeschrenkt und sagt mir, daß er izt blos durch Arbeit seiner Hände seinen Freünden und Gönnern zu zeigen habe, daß er noch etwas werth ist. Es keimt ein Großer Meister in ihm auf. Groß wie Michelangelo und Raphael waren.
Ich bin vor einiger Zeit in Magdeburg gewesen, um das dortige Schulwesen, besonders im Closter Bergen in Augenschein zu nehmen und nun werde ich wieder mit einer Reise von derselben Art nach Stettin und Hinterpommern bedrohet. Bey solchen Umständen kann freylich mein Werk nicht schnell fortgehen und auch an der inneren Güte nicht so werden, wie es seyn sollte.
Wenn Hr. Müller Ihnen nicht schreibt, so ist es Hypochondrie. Er hat freylich verschiedentlich gegen Dummheit und gegen Boßheit zu kämpfen, hat aber dabey solche Unterstüzung, daß ihm der Sieg immer gewiß ist. Deßwegen aber wird er doch verdrießlich.
Geben Sie mir doch, mein theürester bald erfreüliche Nachricht von ihrem Wolbefinden und laßen Sie mich dabey merken, daß Sie nicht verdrießlich über meine Nachläßigkeit sind. Ich umarme Sie von ganzem Herzen.
JGSulzer
Berlin (denn diesen Sommer kann ich nicht einmal meinen Ländlichen Siz genießen) den 13 Julij 1770.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.
Monsieur Bodmer Membre du Grand Conseil et Professeur à Zurich frco. Nrnberg
Siegel.