Mein werthester Herr und Freünd.
Die beyden jungen Herrn aus Zürich sind mir fataler Weise entgangen. Sie suchten mich den Tag vor ihrer Abreise zweymal vergebens in meinem Hause und den folgenden Tag suchte ich Sie des Morgens vor 7 Uhr in dem ihrigen und fand sie nicht mehr. Also werden Sie diesen Brief nebst dem Päkgen viel späther bekommen. Ich enthalte mich deswegen Ihnen von unsern großen KriegesNeüigkeiten zu schreiben, welche als denn, wenn dieses an Sie kommt, alt seyn dürfften. Mich dünkt, daß unsre Armee von einem Helden geführt wird, der in den Geschichten wenig seines gleichen hat. Wenigstens sind die Verrichtungen unsrer Trupen in Böhmen etwas, dergleichen die Welt wol schwerlich jemals gesehen hat. Ich habe große Hoffnung, daß der König auch in dem Frieden, der nicht gar sehr ferne seyn dürffte, eben so groß seyn werde.
Diesen Helden hat Rabner, durch eine kindische Ziererey zu sehen versäumt, der König verlangte ihn zu sehen, und der wizige Kopf hatte über den Marquis d’Argens der ihn zur Audienz führen sollte so viel zu bedenken, daß endlich alles versäumt worden.
Die Brandenburgische und Preüßische Länder müßen an feürigen Genien einen gänzlichen Mangel haben, wenn nicht die Thaten Friedrichs wenigstens einen Horaz und einen Virgil erweken. Zu unserm Glük ist Schönaich ein Sachse, sonst hätten wir bald sein drittes Heldengedicht. Sein Heinrich der Vogler ist gleichsam vor meinen Augen verlegt und ausgebeten worden, aber es ist mir nicht eingefallen ihn zu sehen.
Ich glaube, daß ich Ihnen noch kein Wort von der Monime geschrieben habe. Ich halte sie freylich für weit stärker als Gellerts seine, aber ich gestehe Ihnen doch, daß der Vers, die Sprache und Mine dieses kleinen Gedichts mir für kleine Erzählungen zu Hoch ist. Ich hätte die Monime mehr für ein kleines Episodium aus einer Epopee, als für eine Erzählung gehalten. Sollte aber außer Ihnen oder Wieland jemand dieses Stük gemacht haben, so würde ich mich sehr darüber freüen, daß die Schweiz mir noch unbekannte Dichter von so hoher Mine hätte.
Ich bin noch nicht im Stande dem Hrn. Dr. Hirzel die Rechnungen und den Bestand wegen der Fabeln zu schiken, weil die hiesigen Theilnehmer sich gar zu nachläßig zeigen. Ich habe noch von keinem einzigen die Rechnung über die Exemplare, die er verkaufft hat, und von etlichen auch nicht einmal ihren Beytrag. Hier ist man jezo mit gar nichts, als mit dem Krieg beschäfftiget. Hr. Gleim, dem ich 30 Exempl. geschikt, hat mir gleich geschrieben, daß er sich der Sache eyfrig annehmen werde, aber seit dem habe ich weiter nichts gehöret. In Braunschweig habe ich niemand gefunden, der theilnehmen wollten. Hr. Zachariä hat geschrieben, daß er und s. Freünde diesen alten Dichtern ein kleines Almosen durch Hr. Gleim wollten zukommen laßen, ich weiß nicht ob es geschehen ist. Auf mehr als 25 rthlr. baares Geld müßen Sie von meiner Collection nicht zählen. Ich will mein möglichstes thun, diese Sache bald richtig zu machen.
Ich habe seit 6 Wochen in einer so großen Zerstreüung gelebt, daß es mir frömde vorkomt, die Feder in meiner Hand zu sehen. Ohngefehr 14 Tage war ich krank. Zu derselbigen Zeit kam meine Frau mit einem Töchterchen nieder, die ich in gutem Vertrauen Victorie genennt habe. Die schönen Frühlings Tage lokten mich auf die Spaziergänge, diese in Gesellschaften p. p. Deshalb ich jezo ganz leer an Gedanken und noch nicht wieder tüchtig bin die Arbeit an meinem Lexico fortzusezen, mit welchem es sich wol noch ein Jahr und mehr verziehen dürffte.
Von meinem beyliegenden Discours Academique geben Sie meinen guten Freünden in Zürich einige Exemplare und ein paar oder 2 schiken Sie mit Gelegenheit nach Winterthur. Lesen Sie ihn aber nach Proportion eben so geschwinde durch, als ich ihn gemacht habe. Denn es ist eine Arbeit von weniger, als 12 Stunden.
Leben Sie wol mein werthester Hr. und Freünd und grüßen Sie unsre gemeine Freünde von mir. Schreiben Sie mir aber doch etwas weniger selten, als seit einiger Zeit geschehen ist. Ich verharre mit so viel Zärtlichkeit als Hochachtung
Ihr ergebenster
Sulzer
Berl. den 8 May 57.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Anonym Über Friedrich den Großen I 1807, S. 359 f. (Auszug).
J. G. Sulzer, Pensées sur l'origine et les différens emplois des Sciences et des Beaux-Arts.