Brief vom 16. Mai 1750, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 16. Mai 1750

Ich habe eben eine gute Gelegenheit, dasjenige noch nachzuholen, was ich in meinem lezten Schreiben, das ich in großer Eile geschrieben, vergeßen habe. Man macht ihnen mit unrecht chicanen über die Linsenförmigen Cristalle, denn sie sind ja gut so wol Microscopia als Telescopia abzugeben, also ist der Vers, den sie einschalten wollten überflüßig. Ja er macht die Sache noch unwahrscheinlicher. Denn es ist leichter, wie ich dafür halte, einen Telescopium von lauter erhabenen Gläsern zu erfinden, als eines von erhabenen und holen. Ich möchte das Gleichniß, das sie bey Japhet gebraucht nicht mißen. Wenn es aber möglich wäre es kürzer zu machen, so wäre es wol gut. Die Verse, die sie dafür sezen wollen, sind unvergleichlich. Sie haben aber auch in dem 3 Gesang Gelegenheit sie anzubringen, wenn sie hier nicht gut sollten stehen können. Ich habe einen Brief in die Crit. Nachrichten gegeben, darin ich den Noah blos auf einer moralischen Seite betrachte. Ich hoffe daß dieser die Leser wegen der Hauptabsicht ihres Gedichts auf den rechten Weg führen soll. Hr. Gleim schreibt mir folgendes „Verrathen Sie mir doch den Verfaßer des Noah! Ich liebe ihn so sehr, daß es ihm nicht gleichgültig seyn wird, wenn ich es ihm sagen kann. Wie viel schönes, was für artige Scenen, welche Exempel der Liebe enthält der neüe Gesang. Ich bin so davon eingenommen, daß ich iezt fast nichts anders Lesen kann. Unsern Langen habe en passant, (auf dem weg nach Leipzig) besucht. Sein Geschmak wird immer schlechter. Ich habe mich mit ihm über den Noah gezankt, an dem er nichts schönes findet. Ist das zu begreiffen?” Nun habe ich ihm den Verfaßer verrathen.

Er schreibt mir auch, daß Klopstok nach Braunschweig an Eberts Stelle beruffen worden, der jezo des Prinzen Hofmeister ist. Wird dieses nicht etwa seine Reise nach der Schweiz verhindern?

Dr. Hirzel macht Gedichte wie Lange, wenn ihn einer ins Feüer sezt, so fließen sie ihm schnell aus der Feder, hernach bleibt er wieder kalt, bis ein andrer kömmt ihn aufzuweken.

Ich habe verwiechenen Dienstag an Hrn. Schultheiß beym Dach einen Brief für Sie eingeschloßen.

Morgen werde ich mit Hr. Schultheiß und den Zürchern die hier sind die lezte Abendmahlzeit in Berlin halten.

Kleists Frühling ist mit seinen andern Gedichten hier wieder gedrukt, aber blos 100 Exemplare. Der Vorsaz, Menalk, das Gedicht an Hrn. von – die Stürme wüten nicht mehr p, das Landleben und die Sehnsucht nach der Ruhe aus den Beyträgen sind mit dabey. – Übermorgen Reise ich aufs Land um den Hrn. Spalding zu sehen, von dem ich auch sagen möchte

die beste Seele, die in den Körper gestürzt ist.

Ich verharre

Ihr ergebenster Dr. Sulzer.

Sonnabend vor Pfingsten

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – E: Körte 1804, S. 141–143 (Auszug).

Datierung

Der von Sulzer als Datum angegebene »Sonnabend vor Pfingsten« war der 16. Mai 1750.

Anschrift

An Herrn Profeßor Bodmer in Zürich

Vermerke und Zusätze

Siegel.

Stellenkommentar

einen Brief
Vermutlich Aufgefangener Brief, bey Gelegenheit des Heldengedichts der Noah in den Critischen Nachrichten, Nr. 43, 23. Oktober 1750, S. 413–416.
Gleim schreibt mir folgendes
Originalbrief nicht ermittelt. Gleim erfuhr schließlich sowohl von Sulzer als auch von Ramler, dass Bodmer der Verfasser war. Vgl. Ramler an Gleim, Berlin, Mitte Mai: »Den Verfaßer des Noah weiß ich. Ich will sie aber rathen laßen, wenn Sulzer noch nichts verrathen hat. Es ist der mittelste Buchstab im a. b. c.« (Schüddekopf (Hrsg.) Briefwechsel zwischen Gleim und Ramler 1906, Bd. 1, S. 227).
schreibt mir auch
Der Brief Langes ist nicht überliefert.
lezte Abendmahlzeit
Vor der Abreise nach Suckow in die Uckermark und anschließend mit Zwischenstationen in Quedlinburg und Halberstadt in die Schweiz.
Übermorgen Reise ich aufs Land
Sulzer reiste auf das im Besitz des Grafen Arnim befindliche Gut Suckow in der Uckermark. Vgl. Ramler an Gleim, Mitte Mai 1750: »Spalding wird sich nur bis nach der Uckermark auf des jungen Herrn v. Arnimbs Gut Succow begeben. Herr Sulzer wird ihn da zwey Tage sehen.« (Schüddekopf (Hrsg.) Briefwechsel zwischen Gleim und Ramler 1906, Bd. 1, S. 227).

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann