Brief vom 20. Februar 1766, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 20. Februar 1766

den 20sten Feb. 1766.

Ich sah jeden posttag einem Brief von meinem theuresten entgegen der mich versichere, daß Sie noch nicht zu unserm Künzli gehen wollen. Es ist billig, daß Sie mir den Rang lassen, sie bey ihm anzukündigen. Ich habe sachen in bereitschaft, welche sie noch auf diser Erde sehen müssen; in einer andern Erde würden sie Ihnen gewiß nicht sehr nahe gehen. Noch 3. 4. monathe, so bin ich damit fertig. Aber sie müssen noch vielmehr für ihr geschmakwörterbuch leben. Ich kann den Gedanken nicht ohne pein denken, daß es unvollendet zu grund gehen sollte. Und ihre liebsten, besten Kinder! – –

Meinen Brief vom 14 Jan. haben sie doch durch die Post empfangen? Diesen bringet der junge geschikte maler Graf bis Dreßden; er hatte durch Hagedorn eine anständige Station erhalten der er vollkommen würdig ist.

Ihren brief an Füßli nach Lion hab ich, augenbliklich, auf die Post gegeben. Seine rudes manieren machen ihm böse leute. Die Zürcher, die ihm in Paris und Lyon begegnen, klagen, daß er sie nicht für Compatrioten erkenne. In Lyon hat er abgeschlagen ein Kind zu taufen. Mechel hat aus Paris geschrieben, daß er Horreurs gezeichnet habe. Er schreibet seinem Vater nicht einen Buchstaben. Ich blieb fast der einzige in Zürch, der ihn vertheidigte. Lav. Heß und andere haben ihm predigervorwürfe gemacht. Er hat sie mit Indignation beantwortet. Ich habe ihm auch Wahrheiten gesagt, doch auf eine Art daß er mit mir allein zufrieden ist. Er hat Lav. geschrieben daß er mich dafür belohnen wolle. Das ist seine sprache. Ich bin mit seinen Briefen aus Lyon zufrieden. Der kann kein schlimmer mensch seyn, der sich solche Freunde in London gemacht hat, wie Armstrong und die andern sind. Er hat mir die Ode an Pistorius geschikt. Er klagt sehr daß man ihm keine Noachide geschikt hat. Izt schik ich mein eigenes Exemplar. Er hat Rousseau in Paris gesprochen. Seine Hauptneigung ist, daß er verachtet. Er sagt, daß er einige Zeilen aus der Messiade, und eine Idylle Geßners übersezt, und damit die Ehre dieser beyden gerettet habe. Er will den Engländern auch Bodmern zu kennen geben. Er hält nichts auf Webb, den on painting Vögeli übersezt hat, der izt auf die Messe kommen wird.

Haben Sie nicht ungefehr die Vorrede wider gefunden die sie vor die Noachide hatten sezen wollen, man könnte sie vielleicht vor meine Calliope sezen? Das sind meine gesammelten epischen kleinen Gedichte, ohne die übersezten. Denn ich habe einen Verleger.

Die Gesetzgeber, die wir nach Genf schiken sind noch hier. Bauteville konnte wegen Krankheit nicht dahin gehen, bis izt. Der petit Conseil langet nach der souveraineté sehr augenscheinlich; aber man will nicht sehen. Es ist ohne Exempel, daß Citoiens, die so viel ursache haben zu schreyen, sich mit solcher decence betragen haben.

Wir haben ein wochenblatt, den Erinnerer, von Füßli und Lavater. Sie schreiben mit ungewöhnlicher freiheit. Beynahe sind es personalitäten. Die Männer von Prudenz glauben daß sie mehr verderben als verbessern.

Ein Gerücht will uns zu fürchten geben, daß die bauern von Schwyz mit den bauern von Entlibuch complotieren.

Man wird ihnen doch geschrieben haben, daß ihre Mitbürger von W. die Macht des kl. raths bestimmt wissen wollen? Die sache soll doch ein wenig zu schaffen machen. Es ist der charakter der Regierungen, daß sie sich selbst allen patriotismus, alle weisheit, alle gute neigungen für das wolseyn des Vaterlands zuschreiben, und bey andern leuten nichts als unverstand, unreine absichten, Wildheit, aufruhr bemerken.

Es ist doch erstaunlich wie stark Füßli sich im Englischen gemachet hat! Nur ein Genie konnte dises; und einem Genie muß man seltsamkeiten verzeihen.

Winkelmann geht nicht nach Berlin; ehender sehen wir ihn einmal in der Schwyz. Grüssen sie mir meinen lieben Wägeli; sein Jean Schoulthess kömmt im Aprill nach hause, mir ist er abgestorben wie Wieland. Aber Wägeli bleibt der meine.

Leben Sie munter, damit ich selbst nicht schwächlich lebe.

Ihr guter Bo.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13b.

Eigenhändige Korrekturen

übersezt, und
übersezt habe, und
sie vor die
sie auf vor die

Stellenkommentar

anständige Station
Anton Graff, der spätere Ehemann von Sulzers Tochter Auguste, trat im April 1766 auf Vermittlung Christian von Hagedorns die Stelle des Kurfürstlich-Sächsischen Hofmalers in Dresden an.
Mechel hat aus Paris geschrieben
Nicht überliefert. Christian von Mechel pflegte u. a. eine umfangreiche Korrespondenz mit Hans Martin Usteri in Zürich. Die Überlieferung setzt allerdings erst im Jahr 1767 ein.
Horreurs gezeichnet
Vgl. Johann Heinrich Füsslis Rechtfertigung im Brief an Lavater vom 19. Februar 1766: »Wenn ich die größten Laster male, so tue ich, es sei denn, daß ich eine kleine Recommendation untersetze, mehr nicht als was Sophokles und Swift in verschiedener Weise vor mir getan.« (Füssli Briefe 1942, S. 126).
Er hat sie mit Indignation beantwortet
Vgl. ebd.
hat Lav. geschrieben
Ebd.
Ode an Pistorius geschikt
J. H. Füssli, An den Probst Pistorius Auf Rügen. London, May 1765. Schreiben nicht ermittelt.
den on painting Vögeli übersezt hat
Hans Konrad Vögelins Übersetzung von Daniel Webbs Inquiry on the beauties of painting erschien unter dem Titel Untersuchung des Schönen in der Mahlerey und der Verdienste der berühmtesten alten und neuen Mahlern im Verlag Orell und Gessner 1766.
den Erinnerer, von Füßli
Zu der von Lavater und Füssli (vom Feuermörser) herausgegebenen und 1767 verbotenen Wochenschrift vgl. Volz-Tobler Der Erinnerer 1997.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann